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222 Songs – die privaten Rolling-Stone-Playlists: Arne Willander
Die Lieblingslieder der Rolling-Stone-Autoren.
1970 geboren, seit 1994 Redakteur beim ROLLING STONE. Schrieb und schreibt auch für "Rock World", "Welt am Sonntag", "B.Z.", "Berliner Morgenpost", "Rookie" und "Cicero". Er lebt in Berlin.
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privat.
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1970 geboren, seit 1994 Redakteur beim ROLLING STONE. Schrieb und schreibt auch für „Rock World“, „Welt am Sonntag“, „B.Z.“, „Berliner Morgenpost“, „Rookie“ und „Cicero“. Er lebt in Berlin.
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By The Time I Get To Phoenix – Glenn Campbell
Wenn ich nach Phoenix komme, wird sie aufstehen, denkt der
Mann. Dann findet sie den Zettel an der Tür. Sie wird lachen, wenn sie die Passage liest, in der ich schreibe, dass ich gehe – denn
ich habe sie schon so oft verlassen. Wenn ich nach Albuquerque komme, wird sie arbeiten. Mittags macht sie wahrscheinlich eine Pause und ruft bei mir an, aber sie wird nur das Tuten hören. Wenn ich nach Oklahoma komme, wird sie schlafen, sich sanft umdrehen und meinen Namen flüstern. Und sie wird weinen bei dem Gedanken, dass ich sie wirklich verlasse, obwohl ich es ihr immer mal wieder sagen wollte. Sie wusste einfach nicht, dass ich tatsächlich gehen würde.
Das ist das Lied „By The Time To Get To Phoenix“, wahrscheinlich 1965 geschrieben vom jungen Jimmy Webb. Der Bursche aus Oklahoma war bei Motown angestellt, aber dort wusste man mit dem Stück ohne die übliche Struktur nichts anzufangen, gab es zur Probe einigen Sängern und vergaß es. Webb verließ bald die Soul-Schmiede und gab den Song an Johnny Rivers, einen jungen Star des Rock’n’Roll.
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Dessen Version wurde von Glen Campbell gehört, einem Gitarristen und Sänger, der bei Sessions der Beach Boys gespielt hatte und eine eigene Karriere anstrebte. 1967 wurde „By The Time I Get To Phoenix“ ein Hit, und Campbell sang auch Webbs Meisterstücke „Wichita Lineman“ und „Galveston“. Das verrückte „MacArthur Park“ schnappte ihm der irische Schauspieler Richard Harris weg, der 1968 einen Nummer- zwei-Hit damit hatte.
„Phoenix“ wurde später von Harry Belafonte gesungen, von Frank Sinatra und Dean Martin und von Reba McEntire. Jimmy Webb nahm eigene Platten auf, doch die schönsten Songs fehlten darauf, weil er sie vergeben hatte, und er schrieb nie wieder so wunderbare Songs wie in den späten 60er-Jahren. Heute tritt er manchmal am Piano in Clubs auf. Glen Campbell wurde mit „Rhinestone Cowboy“ berühmt und spielte in einem Film neben John Wayne; nie sang jemand „Phoenix“ ergreifender als dieser sonnengebräunte, strahlende, frömmelnde Cowboy mit Apfelbäckchen. Eine Arschgeige. Ein Genie.
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Backstreets – Bruce Springsteen
Alles, was man über die Jugend und die Liebe wissen muss, erfährt man von „Born To Run“. Und „Backstreets“ ist der Song über Freundschaft und Verrat, über den Sommer und den Strand, die Dunkelheit und das Tanzen und die Posen. Springsteen schrieb eine Poesie, die einen für jede Dichtung verdarb, wenn man jung genug war: tausend Rock-Songs und Klischees, verdichtet zu einem Klang aus Hall und Verzweiflung und Trotz. „Remember all the movies, Terry, we’d go see/ Trying to learn to walk like the heroes we thought we had to be.“
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Powderfinger – Neil Young
„Look out, Mama, there’s a white boat comin’ up the river“: Von allen großen Neil- Young-Songs ist „Powderfinger“ die sentimentalste und nihilistischste Geschichte; ein Western, der zurückführt zu Davy Crockett und „Lederstrumpf“ und den Filmen von John Ford. Der Junge hat von Anfang an keine Chance; Vater, Bruder und Big John sind nicht da, und er hebt trotzdem das Gewehr, „then I saw black and my face splas hed in the sky“. Aus dem Irgendwo spricht er: „Think of me as one you’d never figured.“ Neil Young spielt den Song seit 35 Jahren immer mal wieder, aber ich vergaß zu atmen, als Margo Timmins ihn mit den Cowboy Junkies sang.
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Bestandaufnahme – Heinz Rudolf Kunze
Das Lied erschien auf Kunzes unschlagbarem Debüt-Album; er schrieb es mit 23. Über solche Songs heißt es stets, sie hätten nichts von ihrer Bedeutung, Aktualität, Wahrhaftigkeit ein- gebüßt, was hier nicht stimmt: „Bestandsaufnahme“ verströmt die Stimmung, den Stillstand, die Desillusionierung von 1980. Aber es ist auch der Song eines jungen Mannes über das Älterwerden, ein Versuch über die Müdigkeit, ein Abgesang auf das Hippietum und die sozialdemokratischen Blütenträume. „Wir sehen Tote und wir stellen uns die Frage, wieviel an Frist uns zum Gewinnen noch verbleibt/ Was kommt danach? Wir konstruieren eine Antwort, die uns das kalte Grausen in den Nacken treibt/ Allmählich finden wir, dass selbst Familienfeiern gar nicht so schlimm sind, wie man früher immer fand.“
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Jolly Coppers On Parade – Randy Newman
Der teuflische Randy Newman hat bestimmt über die merkwürdigsten Themen geschrieben, die je Eingang in ein Lied fanden. „Jolly Coppers On Parade“ ist der eine vollkommen glückliche Moment in seinem von Reflexion vergifteten Werk, in dem die Welt ihre Unschuld wiedergewonnen hat: „They’re coming down the street/ They’re coming right down the middle …“ Man hört die Stimme des aufgeregten Jungen, das Klavier gleitet maßvoll beschwingt, es tänzelt, die Polizeiparade kommt näher, der Himmel ist blau, die Fahrzeuge blitzen, alle jubeln, „Oh mama, that’s the life for me“, lass mich Polizist werden, lass mich wie ein Engel vom Himmel herabsteigen!
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Shipbuilding – Elvis Costello
Ein seltsam gefühliges Stück von Elvis Costello, der ja entweder sein Herz ausschüttet oder in Rätseln spricht – aber nicht gerade für seinen Humanismus bekannt ist. Auf „Punch The Clock“ geht es um Wechselbäder der Gefühle, letzte Zuckungen der Jugend, bevor der Ernst des Lebens beginnt. „Shipbuilding“ handelt vom Falkland-Krieg 1982; Robert Wyatt hatte das Stück bereits aufgenommen, als Costello diese Version mit dem unvergesslichen Trompetensolo von Chet Baker herausbrachte. „With all the will in the world/ Diving for dear lives/ When we could be diving for pearls“: ein Schuss vor den Bug der stolzen Seefahrernation England.
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I’ve Loved these Days- Elvis Costello
Sehr versteckt in Billy Joels Werk, in dem an jeder Ecke ein Lieblingssong verborgen ist: „I’ve Loved These Days“ beschließt das Live-Album „Songs In The Attic“, ursprünglich erschien er auf „Turnstiles“. Eine Lebensbilanz, eine Erinnerung an goldene Tage: „We drown our doubts in dry champagne/ And soothe our souls with fine cocaine …/ We’ll have to change our jaded ways.“ Billy ist natürlich ein sentimentaler Hund – aber in seinem Klavierspiel hört man immer ein unmittelbares Wissen um die menschliche Verfassung und ein Pathos, das einen im Innersten berührt (weil man ein sentimentaler Hund ist).
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Kathleen – Townes Van Zandt
Townes Van Zandt gilt immer als Existentialist, doch „Kathleen“ ist ein Lied der Todesmystik: „There’s crystal across the sand/ And the waves, they take my hand/ Soon I’m gonna see my sweet Kathleen.“ Er singt das ohne Theatralik, aber die präzise gesetzten Streicher verraten das Unheil nach den famosen ersten Zeilen „It’s plain to see, the sun won’t shine today / But I ain’t in the mood for sunshine anyway.“ Später war der große Songdichter von jeder Jenseitshoffnung verlassen. In der melodramatischen, romantischen Version der Tindersticks von 1994 wogen die Streicher noch lange weiter.
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Drive – R.E.M.
Das schönste der elegischen Lieder auf „Automatic For The
People“, dem strahlenden Vermächtnis von R.E.M. „Drive“ erschien 1992 und war eine ganz und gar unwahrscheinliche Single mit einem Video, das einen Mann zeigt, der über den Köpfen einer wogenden Menge weitergereicht wird. Stagediving war eine Sache, die man sich bei Michael Stipe nur als Kunstaktion vorstellen konnte. In „Drive“ singt er: „Hey, kid, rock’n’roll, nobody tells you where to go.“ Entfremdung. Ennui. Verstörung. Orientierungslosigkeit. Das Akkordeon. Die Streicher. Michael Stipe sagt, es sei bloß eine Hommage an „Rock On“ von David Essex. Aber Stipe kann viel erzählen. Maybe you rocked around the clock. Tick-tock.
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Reel Around The Fountain – The Smiths
Das Debüt-Album der Smiths war, wie alle wichtigen Platten, das Antidot gegen Schule, Spießbürgertum und Liebeskummer; Morrisseys Lyrik bündelte alle Plagen und Klagen zu einem Strauß des Missvergnügens. „Reel Around The Fountain“ ist ein Song über Renitenz und Sadomasochismus, Sehnsucht und Obsession. Zu Morris- seys süßestem Gesang und Gewimmer hört man Johnny Marrs Gitarrenspiel – im Jahr 1984 so fremdartig wie eine Zither –, das perlende Piano von Paul Carrack und das Pfeifen der Orgel. „Fifteen minutes with you, oh I wouldn’t say no“: Es bricht einem das Herz – und das ist erst der Beginn des Albums.
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Die zehn Lieblingslieder von Birgit Fuss
1972 geboren, ist seit 2000 Redakteurin beim ROLLING STONE, mit dem sie von Hamburg über München nach Berlin gezogen ist. Vorher schrieb sie vor allem für die „Hamburger Morgenpost“ (und eine Magisterarbeit über R.E.M.).
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Die zehn Lieblingslieder von Wolfgang Doebeling
1950 geboren, schrieb lange für das Berliner Stadtmagazin „tip“ und ist seit 1994 Autor beim ROLLING STONE. Er moderiert auf radioeins die Sendung „Roots“. 2012 erschien seine Interviewsammlung „Pleased To Meet You“ (Wilhelm Fink). Er lebt in Berlin.
Die zehn Lieblingslieder von Maik Brüggemeyer
1976 geboren, arbeitet seit 2001 als Redakteur für den ROLLING STONE und schreibt über Musik, Literatur und Film. Sein erster Roman, „Das Da-Da-Da-Sein“, erschien 2011 im Aufbau Verlag. Er lebt in Berlin.
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