ROLLING STONE hat gewählt: Die Alben des Jahres 2025
ROLLING STONE kürt die besten Alben des Jahres 2025.
Die Alben des Jahres 2025: Mit Texten von Jens Balzer, Maik Brüggemeyer, Jörg Feyer, Birgit Fuß, Max Gösche, Jan Jekal, Frank Lähnemann, Ina Simone Mautz, Sassan Niasseri, Ralf Niemczyk, Gunther Reinhardt, Robert Rotifer, Jörn Schlüter, Nikta Vahid-Moghtada, Marc Vetter, Arne Willander, Sebastian Zabel & Jürgen Ziemer

Pulp, „More“
Sehr lange, 24 Jahre, gab es kein Pulp mehr. Die letzte Platte der Band aus Sheffield schien „We Love Life“ zu bleiben. Aber dann mehrten sich die Anzeichen dafür, dass Pulp zurückkehren. Und das taten sie dann. Das Album heißt „More“. Manche Songs wurden schon vor vielen Jahren geschrieben, ja für „We Love Life“. Das hört man natürlich nicht, denn seit „His ’N’ Hers“ eignet ihrer Musik eine seltsame Überzeitlichkeit, in der Pop, Disco und Dancehall zu wundersamen Gebilden moduliert werden. Die Platte beginnt mit „Spike Island“, dem Ort, an dem Jarvis Cocker 1990 bei einem Festival die Stone Roses hörte. „I was born to perform/ It was a calling/ I exist to do this: shouting and pointing.“ Der theatralische Fingerzeig war immer Cockers typische Geste auf der Bühne.
Das Festival auf Fire Island war der Urknall für die Rave-Bewegung, die Cocker inspirierte und zu „His ’N’ Hers“ führte, ein Unterschied ums Ganze gegenüber den früheren Pulp-Platten. Was am meisten erstaunt an „More“, das ist die Art, wie Jarvis Cocker sich in einen Crooner verwandelt hat, der „Farmers Market“ sehnsuchtsvoll spricht-singt. „Tina“ ist herrlich dramatisch und schmalzig, „Slow Jam“ wirklich sehr langsam und intensiv wie ein Song von Isaac Hayes. „Ain’t it time it started feeling?“, flüstert Cocker am Ende. „My Sex“ ist ein fiebriges Rezitativ mit quasikirchlichem Kinderchor: „Love is invisible to the naked eye/ When it’s raised in the dark by two people’s minds.“
Am meisten an so grandiose Songs wie „Mis-Shapes“, „Live Bed Show“ und „Something Changed“ erinnert das emphatische „Got To Have Love“, wieder mit dem Pink-Floyd-Chor. Noch einmal buchstabiert Cocker „L.O.V.E.“ wie in „F.E.E.L.I.N.G.C.A.L.L.E.D.L.O.V.E“ auf „Different Class“. Es gibt sogar eine Klavierballade, „The Hymn Of The North“, im Stil von Paul Weller. „Please stay in sight of the mainland/ I’ll be watching from the shoreline/ I’ll be singing you this song.“ In diesem Jahr ist „Different Class“ 30 Jahre alt geworden. Man kann so viele Anglerhüte tragen, wie man will – es ist die beste englische Platte jener Zeit. Nun wurde sie wieder aufgelegt samt einem Konzertmitschnitt. Wenn man die Magie von Pulp begreifen will, sollte man das Konzert „Live aus dem Alabama“ von 1996 sehen. Jarvis Cocker grüßt seine Mutter aus dem Fernseher. Und weil es Fernsehen ist, so Cocker, kommt „Common People“ am Schluss. Pulp war die Band, die Kraftwerk mit ABBA und Tony Christie versöhnte. Die Musiker spielten wie eine Wand, davor turnte Jarvis Cocker. „More“ ist auch ein Statement über das Altern. „Grown Ups“ ist das eigentliche Zentrum der Platte.
„Why did Mowgli decide to come out of the jungle?/ (…) Trying so hard to act just like a grown-up/ And it’s so hard/ And we’re hoping that we don’t get shown up/ (…) I know it’s all about the journey/ Not the final destination/ But what if you get travel-sick/ Before you even left the station?“ Rich Jones und Emma Smith haben die wunderbaren Streicher-Arrangements geschrieben, Candida Doyle spielt ihre patentierte Farfisa-Orgel. Richard Hawley ist schon lange nicht mehr bei Pulp – aber für diese nostalgische Platte hätte er zurückkommen können. Dem vor zwei Jahren verstorbenen Gitarristen Steve Mackey ist das Album gewidmet. „More“ endet mit „A Sunset“, „I scanned the menu options/ I did not have a choice/ I’d like to teach the world to sing/ But I do not have a voice.“ Mit dem Reklamespot von Coca-Cola und dem Chor der Welt, der „I’d Like To Teach The World To Sing“ intoniert, endet die Serie „Mad Men“. Don Draper taucht ins Meer. Im Fold-out-Cover von „More“ steht: „This is the best we can do. Thanks for listening.“ Danke ebenso. AW