A Very Good Year: ROLLING STONE & GENERATION RIESLING mit Tom Schilling & The Jazz Kids

Auf Einladung des Deutschen Weininstituts und des ROLLING STONE sprachen im Venue Berlin vier junge Winzer über ihre Profession und Leidenschaft, Tom Schilling sang berückende Rock‘n‘Roll-Chansons – und Wein wurde auch getrunken

Die Gläser wurden schon am Nachmittag gebracht: Viele, viele Paletten mit schlanken und bauchigen Gefäßen, viele hundert davon, anmutig blitzblank. Am Abend dann wurde eingeschenkt: Die Weinprobe, das Tasting war umstandslos, ohne Belehrung und ohne jenes putzig-verstiegene Vokabular, das so gern parodiert wird, aber womöglich ein Genuss an sich ist. Beim Wein kommt der Genuss zu sich selbst: Das Trinken ist das eine, das Schwenken, das Bedenken und das Reden sind immanente Freuden des Konsums.

Und wenn der Wein die Zungen so löst wie bei den vier jungen Winzern (und einem Sommelier) auf der Bühne des Venue, dann ist die Schilderung des Handwerklichen, von Landschaft, Wetter, Dauer und Güte ein Pläsier an sich. Christof Ellinghaus, der in Berlin die Cordobar (und das Plattenlabel City Slang) betreibt und ein veritabler Weinkenner ist, führt als Alterspräsident launig und lässig durch das Gespräch.

„A Very Good Year“ – das Video:

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Es mag wortkarge, verkauzte, erdverbundene Winzer geben, die Rebstock und Keller monomanisch vorführen – hier sitzen vier eloquente, verschmitzte Jungmänner, keiner von ihnen jenseits der 30, bei denen die Profession auch eine Kommunikationskunst ist: Es hat eine Lebensart. Lukas Krauß (Weingut Krauß), Andreas Weigand (Weingut Weigand), Nico Espenschied (Weingut Espenhof) und Jason Groebe (Weingut Bergkloster) sprechen in weichen hessischen und fränkischen Dialekten, aber es ist eine Sprache, die jeder versteht.

Man begreift etwas von der immerzu beschworenen Entschleunigung, wenn man hört, dass der Winzer mit der Ernte ein Jahr leben muss – es gibt keinen zweiten Versuch, der Wein muss verkauft werden. Die Elemente, das Haptische, das Sinnliche – die Männer unter den Mützen und Hüten haben einen undogmatischen Zugriff auf ihre Arbeit und deren Früchte. Auch der Rausch darf und soll sein: Keiner verbietet sich selbst das Trinken im Keller. Der einfache Wein „zum Saufen“ sei durchaus erlaubt – und es gebe auch auf einem Weingut eine ordentliche Flasche für fünf Euro. Christof Ellinghaus fragt nach der früher unter Connaisseuren verpönten „Bio“-Klassifizierung: Heute ist sie eine Selbstverständlichkeit. Und mit entschiedenem Selbstbewusstsein wird konstatiert, dass die Hegemonie des italienischen Weißweins beendet ist: Man trinke deutschen Riesling – eine Entwicklung, die Alfred Biolek in seiner Kochsendung schon vor 15 Jahren konstatierte. Ein süffisanter Seitenhieb: Ihr Wein sei übrigens vegan – in Berlin müsse das ja gesagt werden!

Auf der Bühne sitzt auch Dagobert, ein geheimnisumwobener schweizerischer Dichter und Sänger, der in Habitus und Diktion an Falco erinnert. Dagobert ist hier der Advocatus diaboli und Scherzbold: Unter dem Einfluss von Wein sei ihm noch nie ein Songtext gelungen. Die Winzer hier seien alle sympathisch, aber sie wollten ja etwas verkaufen, stichelt er. Woraufhin Ellinghaus darauf verweist, dass Dagobert ja bald eine neue Platte veröffentlicht und auch etwas verkaufen wolle. In Berliner Kneipen, so der Künstler, würden ihm stets unerquickliche Weine serviert. Wo es diese guten Tropfen denn gebe – in Edelrestaurants, in Hotels, in Supermärkten? Na: zum Beispiel hier! Und Dagobert bestellt von der Bühne herab noch ein Glas Wein. Schmeckt ihm also.

Wie das denn mit der Musik sei, fragt Ellinghaus – Rauschzustände könnten ja auch mit ihr erreicht werden. Rammstein, Lindenberg, Kendrick Lamar – alles sei erlaubt, hört man, nach Stimmung und Präferenz. Und bei der Arbeit ertöne ebenso Musik wie beim Verkosten.

Folgt Verkosten am großen Holztresen.

Und dann singt Tom Schilling mit seinen Jazz Kids die fabelhaften Geschwind-Chansons von dem Album „Vilnius“. Es sind wild-melancholische Couplets und Balladen, nostalgischer Twang und Schwof, dramatisches Schlager-Bravado, perlende Gitarre, rasendes Schlagzeug und delirierende Tanztee-Orgel – kein Jazz (von einem Klaviersolo flinken abgesehen), sondern der romantische Rock’n’Roll, der ekstatische Dämmer und die Glut des frühen Nick Cave, der Tindersticks, von Element Of Crime. Schilling, im grauen Dreiteiler, wirft sich in die Songs: „Aber das, aber das, aber das ist kein Liebeslied – und schuld daran bist du.“ Er singt Bettina Wegners „Kinder“, vom schmutzigen Schnee in Berlin und davon, dass die Schwermut ein Meer füllt, ihm genug noch nie genug war. Eine Herzblutmusik.

Und so, beschwingt, beschwipst und getröstet, geht es in den kalten Berliner Herbstabend.

Christoph Voy
Christoph Voy
Christoph Voy
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