Ariel Pink – Von den Beatles traumatisiert

Für den Avantgarde-Musiker Ariel Pink sind Psychotherapie und Popgeschichte kaum zu trennen. Dass er erst jetzt seine Sexualität entdeckt, mag jedoch auch reiner Zufall sein

Wenn man sich unvorbereitet in ein Album von Ariel Pink begibt, wundert man sich zunächst: über die Fülle von Ideen, über die eigenartige Mischung von Sixties-Psychedelik und Throbbing-Gristle-Noise zum Goth-Light von The Cure, die glattpolierten Studiosounds von Hall & Oates oder Steely Dan, über die Veränderungen in Textur und Temperatur, die an experimentelle Rocker von Rundgren bis zu Zoogz Rift erinnern – die alle zusammen auch mal in einem einzigen, verrauschten Song auftauchen können.

„Man muss vor allem mit der Geschichte vertraut sein“, krakeelt seine Stimme im Telefon aus L.A. herüber, wo er gerade eine Freundin zum Einkaufen verabschiedet. „Dann sieht man sie wie in einem Film. Wie im schnellen Vorlauf kann man ihre Zeitlichkeit erfassen, ihre organische Entwicklung, mit den Wurzeln und den Ästen, die sich als Genres ausdifferenzieren – wobei die Umsetzung natürlich notwendigerweise die eigene Interpretation ist. Aber wir wiederholen im Grunde in alle Ewigkeit die Traumata von John, Paul, George und Ringo, obwohl wir sie hinter uns lassen wollen.“

Pink, geboren 1978 als Ariel Rosenberg in L.A., begann in den mittleren Neunzigern, seine selbst produzierten Homerecordings auf Kassetten zu veröffentlichen. Aus dem Subunderground von Los Angeles trat er 2004 ein heraus, als Animal Collective seine frühen Alben neu auflegten – als die erste Musik eines anderen Künstlers auf ihrem Label Paw Tracks.

Im vergangenen Jahr erschien sein achtes Album „Before Today“, veröffentlicht vom Indie-Major 4AD, für das auch das aktuelle „Mature Themes“ eingespielt wurde. Was in all seiner Unübersichtlichkeit nun noch mehr auffällt, ist eine Vorliebe für Musik, die eigentlich durch ihre Produktionsstandards bekannt ist und seit Punk lange als käsig oder überambitioniert verpönt war. „Für moderne Ohren klangen diese Sachen, als ich anfing, einfach irrsinnig fremd“, sagt er. „Dabei waren Steely Dan und auch Hall & Oates so experimentell wie Stockhausen. Alles wird Underground, seltsam und beunruhigend, wenn man es aus dem Kontext nimmt. Das interessiert mich, diese Verwerfungen in der Popgeschichte. Ich suche nach diesem unbewussten Aspekt, als Hommage und Interpretation. Aber eigentlich bin ich einfach nur ein altmodischer Traditionalist.“

Das Motiv einer unbewussten Geschichte zieht sich nicht nur durch seine Musik. Im Gespräch zögert er keinen Moment, sein Leben als „traumatisiert von Therapie“ zu beschreiben. Seit dem fünften Lebensjahr musste er dem Psychologen Auskunft geben, in der Jugend habe er sich lieber mit Wissenschaft, Kunst und Philosophie beschäftigt, und er entwickele gerade erst das sexuelle Bewusstsein, das andere Leute in ihren Teens erforschen. Dafür „aber mächtig“, wie er stolz hinzufügt.

Auf der Bühne wirkt Ariel Pink höchst androgyn, einige seiner Songs wie „Menopause Man“ oder „Symphony Of The Nymph“ und auch sein Referenzspektrum deuten auf weitergehende Gendertheorien hin. „Ich mache mich darüber lustig. Intelligente Menschen können doch sowieso mit dieser genital definierten Idee nichts anfangen“, lacht er. „Aber ich bin so stabil heterosexuell, dass es eigentlich paradox ist, dass ich überhaupt Musik mache. Persönlich habe ich mich lange als völlig unsexuelles Wesen gefühlt. Die androgynen Einflüsse in der Musik deuten natürlich die libidinöse Verstrickung mit dieser Sphäre an. Aber Musik ist für mich eine sublimierte Fantasie, Flucht und Verführung – es gelten die Gesetze des Traums, wo Fragen nach Wahrheit oder Fäschung, Wirklichkeit und Erfindung nicht zählen.“

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