Darling Arschloch

Mit dem Roman "Dandy in der Unterwelt" inszeniert sich der englische Millionärssohn Sebastian Horsley als hedonistischer Taugenichts.

Sebastian Horsley trägt Zylinder und Kajal zum schwarzen Anzug trägt und sieht ein bisschen aus wie ein verarmter Zirkusdirektor. Mit das Erste, das er erzählt, ist, dass er gerade aus dem Puif kommt. Später wird er noch erkären, dass er gleich nach seinem Puffbesuch Rachel 2 angerufen hat, um ihr zu berichten, wie es war. Rachel 2 ist seine Muse, seine Liebe, sein Schicksal. Sie heißt Rachel 2 weil die andere bedeutende Frau in Horsleys Leben ebenfalls Rachel heißt. Rachel 1. Ob sie zusammenleben? „Oh no, Cohabitation kills love.“ Und homefucking kills Prostitution.

Sebastian Horsley ist ein Arschloch. Zumindest gibt er sich alle Mühe, eins zu sein. Wenn er zum Beispiel als Prostitutionsexperte ins Fernsehen eingeladen wird. Experte ist er, weil er einen großen Teil seines Millionenerbes in Huren investiert hat, mehr als 1000 sollen es gewesen sein. Zwischendurch hat er sich selbst prostituiert, als Vorzeige-Callboy eines Escort-Service, für den er mit seinem in England recht bekannten Gesicht warb. Mit seinem ruinierten Ruf- auch seine langjährige Hassliebe zu Crack und Heroin ist gut dokumentiert – dem Zylinder auf dem Kopf und reichlich Make-up im leicht verlebten 40-Something-Gesicht lauscht er gelangweilt dem Leid der Betroffenen und lässt dann wissen, dass er keine Prostituierte kenne, die zu ihrer Arbeit gezwungen werde, dass Prostitution ein wunderbarer Beruf sei, wenn nicht gar eine Berufung.

Den Clip von der Talkshow habe ich erst am Tag vor dem Interviewtermin gesehen, zu spät, um das Arschloch wieder auszuladen. Man hätte es wissen können. Horsleys Autobiografie „Dandy in der Unterwelt“ (Blumenbar, 19,90 Euro), benannt nach einem autobionktionalen Wunschtraumsong seines Idols Marc Bolan, ist zwar ein amüsantes Stück Verausgabungs- und Entblößungspoesie mit hohem Gossip-Faktor. Allerdings lassen die akribisch geschilderten Verstöße gegen gängige ethische Übereinkünfte im Allgemeinen und gegen die angebliche Diktatur der politischen Korrektheit im Besonderen vermuten, dass hier einer schreibt, der für ein bisschen Aufmerksamkeit auch seine Großmutter verkaufen würde. Oder seine Eltern. Was er auch tut, in seinem Buch. Sein Vater ist ein steinreicher Trinker, spastisch gelähmt und komplett desinteressiert an seinem Sohn. Die Mutter ist Alkoholikerin und verbringt die meiste Zeit im Bett. Den ungeborenen Sebastian versucht sie mit einer Pillenüberdosis abzutreiben. „Um sich daran zu erinnern, immer noch lebendig zu sein, brauchte sie bisweilen ein Drama.“ So lautet der zweite Satz des Buches, und er fällt uneingeschränkt auf seinen Erfinder zurück. Sebastian Horsley ist ein Drama, war ein Drama und braucht Drama. Eine Drama-Queen, bis hin zum queenie-queeren Sprechsingsang. Seine Verlagsfrau nennt er „darling“, selbst mich nennt er irgendwann „darling“.

Und ich bin versucht, das „darling“ zu erwidern. Aus dem monologischen Stakkato aus Dandy-Aphorismen wird im Laufe unseres Interviews ein Art Gespräch. An die Stelle von Signatursätzen mit erprobter Signalwirkung treten Selbstzweifel. Skrupel. Das Arschloch wird sympathisch, aber man muss auf der Hut sein. Bloß nicht der Dandy-Show auf den Leim gehen. Dandy Darling spielt sein Spiel. Er ist vier Jahre jünger, weißer und eine halbe Erdumrundung britischer als Michael Jackson und hat einen anderen Weg gefunden, mit den Verletzungen der Kindheit umzugehen. Horsley-Dandy legt sich eine Rüstung aus Narzissmus zu, „ein Schutz gegen die Verletzlichkeit, alle Dandies zerfallen am Ende“. Dann sagt er, ganz unter uns, es hört ja keiner: „Eigentlich bin ich ein großer Moralist, nur ein großer Nihilist kann ein Moralist sein.“ Wären alle Freier wie Sebastian, die Prostitution könnte eine Berufung sein. Möglicherweise.

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