Der Schatten auf der Seele

Auf DVD: die zweite Staffel der bitteren Psycho-Krimi-Reihe "Hautnah - Die Methode Hill" mit dem großartigen Robson Green.

Es sind diese winzigen Momente des Verschrobenen und Absurden, die der Brite comic relief nennt. Robson Green, der mit unbewegter Miene und korrektem Scheitel den Psychologen Tony Hill spielt, schaut auf ein kleines Aufnahmegerät, das ihm gerade in einem Paket zugestellt worden ist, darauf eine Grußbotschaft. Green schaltet auf Aufnahme und ruft „Hallo!“ hinein, dann spielt er es ab. Danach ruft er „Ich bin Tony!“, hört sich das an und antwortet: „Hallo, Tony!“ Bei anderer Gelegenheit brät er in seiner Wohnung Toasts in der Pfanne und verbrennt sich, als das Telefon klingelt und er zum Apparat stürzt.

Die Tolpatschigkeit dieses Mannes ist zugleich seine letzte Rückbindung an die bürgerliche Existenz eines etwas schludrigen Junggesellen, der sein Leben mit der Untersuchung des Perversen und Paranoiden zugemauert hat. In den vier Filmen der zweiten Staffel von „Hautnah – Die Methode Hill“ gibt es noch die Hoffnung auf eine Heirat, wenn Hill auch nur den Platz eines verstorbenen Freundes einnehmen soll. Zugleich gilt die einzig mögliche Liebe der herben Blondine Carol Jordan (Hermione Morris), der einsamen Inspektorin, die ihn bei Mordfällen als Profiler heranzieht.

Mit der Zeit sind diese Fälle immer komplizierter und irrer geworden, und jetzt, nach 23 Fällen, gibt es gar keine mehr: Die Produktionskosten von 750 000 Pfund je Folge seien zu hoch, so ist zu hören. Nun hat zwar die Finanzkrise in Britannien besonders verheerend gewütet, doch war das Geld für Herumstehen, Reden und Autofahren bisher stets gut angelegt. „Wire In The Blood“ orientiert sich an Romanen von Val McDermid, doch tatsächlich wurden nur drei verfilmt. Der enigmatische Originaltitel ist kein idiomatischer Ausdruck, sondern stammt laut McDermid von T.S. Eliot: der „Draht im Blut“ als Metapher für einen Adrenalinschub. Robson Green versteht den Ausdruck als genetische Anlage für Psychose und Verbrechen.

„Between the idea/And the reality/ Falls the shadow“: Auch das schrieb T.S. Eliot, der heute nicht sehr populäre Dichter des „Waste Land“. Tony Hill lebt in einem Schattenreich, das er bei den Tatort-Begehungen erkundet und dann durch empathische Anverwandlungen an die Psyche des Täters zu seinem eigenen macht:

Durch die seelische Mimikry hofft er die Motivation der Täter zu erfassen — und irrt nicht selten. Doch sogar in einem abstrusen Fall von religiösem Wahn, der auf die Wirklichkeit übergreift, hütet sich Hill vor einer Kategorie wie dem „Bösen“: Alles menschliche Handeln beruht auf dem Prinzip von Ursache und Wirkung, keine Abnormität ist außerhalb des Vorstellbaren. Das Festhalten an der Rationalität auch in den bizarrsten Missbrauchs- und Tötungsfällen unterscheidet Hill vom gesunden Volksempfinden ebenso wie vom Abscheu der Polizisten, die in der Regel als tumbe Tölpel durch das fiktive Bradfield eilen und stets zu spät

kommen. Die Stadt, die in West Yorkshire angesiedelt sein soll, ist ein Kompositum. Sie wirkt mal provinziell wie ein Sprengel in einer Miss-Marple-Klamotte, mal wie ein Höllenpfuhl an der britischen Küste, dann wieder wie eine beschauliche Universitätsstadt mit schäbigen Studentenkneipen und dunklen Winkeln. Kurzum, Bradfield ist natürlich überall, und es gibt keine spezifischen Verbrechen für bestimmte Landstriche. Auch die Büros der Polizei sehen jedesmal anders aus, werden gegen Ende der Reihe immer moderner und technisierter —“Hautnah“ begann im Jahr 2003.

Dass die Filme von „Wire In The Blood“ brutal und blutig sind, ist allerdings nur zu wahr. Vergewaltigungen, Entführungen, Verstümmelungen gehören zur polizeilichen Routine, und die Autoren lieben Sonderfälle der Perversion, bei denen etwa der Ödipus-Komplex, der Hass auf junge Geschäftsfrauen und die Bindung an eine biedere Hausfrau aufs Unheilvollste zusammenfallen: Alles Schlampen außer Mutti! Aber gerade dieser groteske Fall bleibt ungelöst, der ekle Mörder kommt am Ende nicht zu dem belagerten Hotel.

Die hartleibige und unsentimentale Hermione Norris wurde nach der vierten Staffel gegen die hübsche und im Habitus weniger englische Simone Lahbib als Alex Fielding ausgetauscht. Doch die gegenseitige Anziehung bleibt, obwohl Fielding gern auf Hills Mitwirkung verzichten möchte. Ein von Tony Hill bewunderter Mentor zeichnet eine psycho-soziale Skizze von dem Verhältnis, bei dem Hill als narzisstischer Angeber erscheint, der die Polizistin ins Bett quatschen will – eine Deutung, die dem Zuschauer (wenn auch in wohlwollender Weise) schon selbst gekommen ist. Der brillante Psychologe erweist sich dann als perverser Widerling, der in einem Inferno aus Alkohol, Pornografle und Mordlust untergeht, nachdem seine akademische Karriere zerscherbt ist. Die zerstörerische Wirkung vollzieht sich dennoch an Tony Hill.

Familienväter, Mütter mit Migrationshintergrund und Gefängnisaufseher entpuppen sich in „Wire In The Blood“ als perfide Lügner und Fallensteller. Entführung, Mord und Erpressung inszenieren sie als abgefeimtes Spiel, das über den Tod hinaus wirkt. Einmal versucht Hill, einer Kindesmörderin die Grabstellen zu entlocken, damit die Familien schreckliche Gewissheit bekommen. Die Frau erinnert sich bruchstückhaft und falsch, während die Polizei die Landschaft umgräbt. Und Tony Hill muss sich stets in die Mörderin einfühlen, um am Ende nichts als Leichen zutage zu fördern.

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