Dream Theater: Grammy-Gewinner John Petrucci und John Myung im ROLLING-STONE-Interview

Die frisch gekürten Grammy-Gewinner Dream Theater im ROLLING-STONE-Interview

Riesenerfolg für Dream Theater: Am 3. April 2022 wurde die New Yorker Band mit ihrem ersten Grammy Award („Best Metal Performance“ für den Song „The Alien“) ausgezeichnet. Die Gruppe, die 1985 unter dem Namen „Majesty“ gegründet wurde, gilt seit vielen Jahren als die bekannteste und erfolgreichste Progressive-Metal-Band der Welt, besonders Gitarrist John Petrucci und Bassist John Myung sind Vorbilder für ganze Generationen junger (und nicht mehr so junger) Instrumentalisten. ROLLING-STONE-Autor Markus Brandstetter sprach einige Tage vor der Grammy-Verleihung mit Petrucci und Myung über Tour- und Probenprozesse, komplizierte Songabläufe, Geschäftsmodelle — und das Grammy-prämierte Monsterstück „The Alien“.

Instagram Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Instagram
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

ROLLING STONE: Wie bereiten sich Dream Theater auf eine Tournee vor, besonders wenn es zuvor eine längere Pause gab? Wie sieht die Probenphase bei Ihnen aus?

John Petrucci: Es waren jetzt zwei Jahre Pause, das ist schon verrückt. Aber eigentlich ist jede Tournee ist mit einer Menge Vorbereitung verbunden. Wir gehen schließlich immer dann auf Tour, wenn wir ein neues Album vorstellen. Eines der ersten Dinge, die wir im Vorfeld machen ist, uns mit unseren Designern und unserem Lighting Director Steve Baird, unserem Produktionsmanager und unserem Tourmanager zusammenzusetzen und die Art der Produktion zu besprechen, die wir auf die Beine stellen wollen. Das beinhaltet eine Menge Design, Artwork und damit verwandte Dinge. Außerdem produzieren wir ja auch Videos. Es geht also schon Monate vorher los. Wir müssen sicherstellen, dass wir diese Diskussion lange im Voraus führen, damit wir die Art von Show zusammenstellen können, die wir wollen — und natürlich eine Setlist erstellen können, mit der alle einverstanden sind. Ich weiß, dass John das bestätigen kann: Wir üben viel zu Hause, jeder für sich, bis wir zusammen in den Proberaum gehen — und dann proben wir etwa eine Woche vor der Tournee. Aber das meiste davon wird zu Hause geübt.

Bei einer so komplexen Musik wie der Ihren, die aus so vielen verschiedenen Teilen besteht: Müssen Sie manchmal ihre eigenen Kompositionen neu lernen — vor allem, wenn zwischen Studio und Tour doch eine ziemlich lange Zeit liegt?

John Myung: Auf jeden Fall muss man eine Phase durchlaufen, in der man sich alles nochmal ganz genau ansieht und auch die neuen Sachen des neuen Albums wirklich lernt. Es ist definitiv eine Herausforderung, weil wir eine Menge Musik haben, von der man sich einfach nicht alles merken kann. Zumindest ich kann das nicht. Also definieren wir ganz genau, was wir machen werden. Je eher wir das alle wissen, desto besser — denn desto eher fangen wir an, zu arbeiten. Ich schreibe mir alles auf. Ich habe also eine Art Leitfaden, den ich mir auf mein iPad speichere. Ich mache mir also Notizen …viele Notizen.

Petrucci: Es ist definitiv eine Menge Arbeit. Ich habe angefangen, die isolierten Gitarrenspuren von allen unseren Platten zu sammeln. So kann ich zurückgehen und sie mir anhören, denn wie Sie schon gesagt haben: Wir müssen neu lernen, was wir vor vielen Alben gespielt oder geschrieben haben. Manchmal fühlt es sich so an, als würde man einen Song von jemand anderem zu lernen. Wie habe ich das nochmal auf der Gitarre gegriffen? Also hilft es, diese isolierten Spuren zu haben. Anschließend muss man sich die Zeit nehmen, es zu üben und es wieder auf Vordermann zu bringen. Wenn ich einen Zauberstab hätte, mit dem ich herumfuchteln könnte und mir damit alles wieder in Erinnerung führen würde, dann wäre ich ein glücklicher Mensch. Eines der Dinge, die ich am wenigsten mag, wenn ich mich auf eine Tournee vorbereite, ist, dass ich älteres Material neu lernen muss. Das ist so eine harte Sache. Man braucht viele, viele Stunden, viele Tage, Wochen, Monate, um das zu tun.

Und wie sieht der Auswahlprozess in Sachen Equipment, speziell Gitarren und Bässen aus? Dream Theater haben ja definitiv mehr Gitarren dabei als die durchschnittliche Punkrock-Band.

Myung: Was das Equipment angeht, so ist das etwas, das sich ständig weiterentwickelt. John hat zum Beispiel eine neue achtsaitige Gitarre, die er auf dem neuen Album verwendet hat — auf einem Stück namens „Awaken The Master“. Es ist ein Mix aus bekanntem und neuem Equipment. Wir gehen nie mit dem gleichen Equipment auf Tour. Es wird immer ein bisschen experimentiert, wir treiben es immer dahin, wo wir es für das Beste halten. Das ist auch ein schöner Teil unserer Arbeit, es sorgt immer für Abwechslung.

Petrucci: Ich gehe immer mit den aktuellen Signature-Modellen von Ernie Ball auf Tour. Wir haben zum Beispiel gerade ein Modell zum 20-jährigen Jubiläum herausgebracht. Also bringe ich dieses Modell mit. Dann, wie John schon sagte, die Achtsaitige sowie einige neue Farben. Ich bringe auch ein paar ältere Gitarren mit, aber ich versuche, die neuesten und aktuellsten Signature-Modelle vorzustellen, die ich habe. So können die Leute, wenn sie von einer neuen Farbe hören oder ein neues Design auf einer Website finden, auch wirklich sehen, wie ich diese Gitarre live spiele und wie sie tatsächlich aussieht.

Youtube Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Wie viele sind es dann tatsächlich?

Petrucci: Ich weiß es nicht gerade nicht genau. Ich habe vielleicht acht oder zehn Gitarren dabei. Ich muss für jede Stimmung eine Ersatzgitarre dabei haben. Ich habe zwei Achtsaitige, zwei Siebensaitige. Wir spielen einen Song, der auf D heruntergestimmt ist, also muss ich zwei D-Gitarren haben, es gibt immer ein Backup. Das ist der Grund, warum da schon ganz schön was zusammenkommt am Ende.

Myung: Ich habe vier Bässe dabei.

„A View From The Top Of The World“ ist seit fast fünf Monaten draußen — hatten Sie schon die Möglichkeit, mit etwas Abstand wieder reinzuhören — oder machen Sie das nach Abschluss der Studioarbeiten ungern?

Petrucci: Wissen Sie, wir haben es uns davor so oft angehört — ich habe es mir bestimmt 100 Mal angehört, beim Mixing, beim Mastering und so weiter. Irgendwann hört man es sich einfach nicht mehr an.  Der Prozess ist so intensiv, fünf, sechs Monate lang, da muss man es einfach mal ablegen.

Myung: Das stimmt. Ja, absolut. Ich meine, wir haben im Moment ja auch nur begrenzt Zeit am Tag.

Das Album wird von einem wahrlich furiosen Start — den ersten Riffs von „Alien“ — eingeläutet. Balladen fehlen dieses Mal gänzlich. War es eine bewusste, konzeptionelle Entscheidung, dieses Mal keine Ballade zu veröffentlichen?

Petrucci: „The Alien“ war der erste Song, den wir für „A View From The Top Of The World“ geschrieben haben. Das hat den Ton für das Album vorgegeben. Wir waren damit einfach zufrieden. Es gab schon diese eine Idee, die eine Ballade hätte werden können, aber es fühlte sich nicht so an, als hätte es das gebraucht. Es war keine bewusste Entscheidung, dass wir keine Ballade auf diese Platte packen. Wenn es Sinn gemacht hätte, hätten wir es getan. Aber als wir das ganze Material fertig hatten, fühlte es sich komplett an, es gab keinen Grund, einen bestimmten Stil von Songs zu erzwingen. Ich weiß nicht, ob du das auch so empfunden hast, John, aber ich hatte auf jeden Fall das Gefühl, ja, das ist gut so, wie es ist.

Myung: Richtig, es war fast bis zu einem gewissen Grad so, dass man nach dem ersten Track den Ton für das Album wusste. Es spricht dann für sich selbst und sagt uns, was der nächste Song sein sollte oder was wir tun sollten, wie das Gleichgewicht im Raum ist. Es gibt also diesen Aspekt, bei dem wir alle irgendwie im Einklang mit etwas sind, das sich von selbst schreibt.

Youtube Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Sie sind vor einiger Zeit in das neue Dream-Theater-Headquarter eingezogen, das, soweit ich es verstanden habe, eine Mischung aus Studio, Proberaum und Bandraum ist. Können Sie ein wenig über diesen Ort erzählen und wie es ist, dort zu arbeiten?

Petrucci: Es ist wirklich cool geworden. Das ist etwas, worüber wir schon seit vielen, vielen Jahren gesprochen haben. Aus irgendeinem Grund konnten wir einfach nicht den richtigen Ort finden, das richtige Gebäude oder was auch immer. Wir waren lange aktiv auf der Suche und haben irgendwann aufgegeben. Aber mein Gitarrentechniker Matty arbeitete mit einem Immobilienmakler zusammen, und sie fanden etwas, das sich als perfekt herausstellte. Es liegt in einem Industriegebiet. Man kann sich ein Gebäude vorstellen, das zum Teil aus Lagern besteht, zum Teil aber auch aus Büros. Wir haben also ein paar Wände eingerissen und ein paar andere Vorkehrungen getroffen, und so konnten wir einen Lagerraum, einen Proberaum und eine Lounge einrichten, und wir haben ihn gestrichen, damit er wirklich schön aussieht. Wir haben dort tonnenweise Dream-Theater-Erinnerungsstücke und so. Es ist also auch ein bisschen wie ein Dream- Theater-Museum. Es ist einfach ein großartiger Ort, um abzuhängen und einen Espresso zu trinken, mit der richtigen Musik. Unser ganzes Equipment ist dort. Es ist der zentrale Ort, von dem aus wir so viele Projekte verwirklichen können.

Myung: Es ist etwas anderes, wenn man ständig von Ort zu Ort zieht. Aber wenn man einen Ort hat, den man tatsächlich sein Zuhause nennen kann, wird er zu einer Art Arbeitsplatz. Man kann anders experimentieren, als man es normalerweise tun würde, denn man kann die Dinge aufstellen und muss sich nicht darum kümmern, sie wieder abzubauen. Für uns war es ein Segen, diesen Ort zu finden.

John [Myung], Sie sind bekannt dafür, kaum in den Medien vertreten sein zu wollen. Es gibt zwar Social-Media-Accounts, die sich für Sie ausgeben, aber ich nehme an, das sind Fakes, oder?

Myung: So ist es. Social Media ist einfach nichts, mit dem ich meine Zeit verbringen möchte. Ich verbringe meine Zeit gerne mit anderen Dingen, denn die Zeit ist knapp. Ich meine, ich bin mir durchaus bewusst, dass Social Media ein gutes Tool für Werbung ist. Aber sobald es darum geht, es für mehr als für das zu nutzen, fühlt es sich für mich nicht richtig an. Ich halte mich da also raus, das ist mir einfach lieber.

Was haben Sie während der Dream-Theater-Auszeit gemacht?

Myung: Nun, ich habe einen neuen Bass mit Ernie Ball Music herausgebracht, den John Myung Artists Series Bongo Bass. Und dann habe ich angefangen, mit Ashdown Engineering zusammenzuarbeiten, wir haben ein Distortion-Pedal erarbeitet. Ein wirklich erstaunliches Stück Arbeit ist, von dem ich glaube, dass es noch dieses Jahr herauskommen wird. Ich arbeite auch an einem neuen Signature-Verstärker. Ich bin also immer wieder in der Produktentwicklung tätig — und in der restlichen Zeit übe ich.

John, es ist erstaunlich, wie viele Projekte Sie während der Pandemie verwirklicht haben. Da gab es neben der Dream-Theater-Platte auch Ihr Soloalbum „Terminal Velocity“ und ein neues Album mit Liquid Tension Experiment. Daneben veröffentlichten Sie ein Bartöl, einen Whiskey, eine BBQ-Sauce und auch ein viel gelobtes Gitarren-Plugin mit Neural DSP. Wie kriegen Sie all das unter einen Hut?

Petrucci: Ich bin einfach gerne beschäftigt. Ich fahre zwar schon mal in den Urlaub, aber generell fällt es mir schwer, still zu sitzen. Ich mag es, Dingen nachzugehen und kreativ zu sein. Als die Pandemie zuschlug und Dream Theater nicht mehr auf Tournee waren, bot mir das die Möglichkeit, einige Dinge zu tun, die ich aufgeschoben hatte. Dazu gehört mein Soloalbum wie auch Liquid Tension Experiment. Und all die anderen Sachen, die ich so mache, ob das nun das Bartöl ist oder der Bourbon … das sind alles Dinge, die sich irgendwie organisch ergeben. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, über die Musik hinauszugehen und an diesen Dingen zu arbeiten, die mich interessieren — sei es musikalisch oder als Hobbys und damit mein Markenportfolio zu erweitern. Ich will jetzt nicht zu geschäftlich klingen, aber es hat einfach sehr viel Spaß gemacht. Egal, ob es um Musik oder andere Partnerschaften geht: man lernt unglaubliche Leute kennen, und man trifft viele Gleichgesinnte. Ich finde, egal, ob jemand ein Meister-Destillateur oder ein Meister-Gitarrenbauer: es ist eine gleichgesinnte Mentalität, bei der die Leute sich wirklich für ihre Kunst interessieren. Ich liebe es, auf dieser Ebene mit Menschen in Kontakt zu treten. Es hat also viel Spaß gemacht, sich in diese Richtungen zu wagen.

Daniel Knighton Getty Images
Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates