Edgar Bronfman kauft sich wieder einmal eine Plattenfirma. Derweil versucht die Konkurrenz, die KRISE IM MUSIKGESCHÄFT mit Elefantenhochzeiten und Massenentlassungen zu kompensieren.

Im Wochenend-Feuilleton-Salon der „Financial Times“ dürfen schon mal, sagen wir, The Strokes für Abwechslung sorgen. Schließlich gehört es zum guten Ton, ab und an den Rock’n’Roller raushängen zu lassen.

Die wahre Musik spielt längst anderswo. Auf den vorderen Seiten des lachsrosa Blattes, dort, wo die Wirtschaftsnachrichten – zumindest in Sachen Tonträger-Industrie – seit Jahren nichts Gutes mehr zu verkünden haben. Die Lage zum Jahreswechsel: misslich. Sehr misslich. Minus 10,6 Prozent verkaufte CDs im ersten HalbjahrTO weltweit. Das fünfte Jahr mit einem dicken Minus in Folge – von 1998 bis 2002 schrumpfte der globale Umsatz um knapp sechs Milliarden Dollar. Der weltgrößte Musikkonzern Universal hat gerade hunderte Mitarbeiter entlassen (allein in Deutschland über 60) und angekündigt, bis zum Ende des ersten Quartals 2004 weitere 800 Stellen streichen zu wollen. Offizielle Stellungnahme der Konzernspitze: „Universal bewertet ständig sein Geschäft neu, um das effizienteste und wettbewerbsfähigste Musikunternehmen der Welt zu bleiben.“ So kann man den fatalen Abmagerungsprozeß natürlich auch umdeuten.

Der Rest der ehemaligen „Big Five“ – BMG, Sony, Warner und Capitol-EMI – suchte sein Heil zunächst in der gegenseitigen Umarmung. Fusionsgespräche allerorten, jeder mit jedem. Monatelanges Brodeln in der Gerüchteküche. Bis im Oktober Bertelsmann und Sony als erste die Ehe – oder zumindest die ferlobung – verkündeten. Mit Sony BMG entsteht, wenn auch nicht ganz ohne Zwang und konzerninterne Kritik, ein neuer Branchen-Primus. Mit einem Marktanteil von über 25 Prozent könnte er die Führungsrolle von Universal übernehmen. Die Befürchtung, dass diese Elefantenhochzeit von den Kartellwächtern der EU verhindert würde, ist mit dem dramatischen Markteinbruch fast ganz verschwunden.

Was auch mit dem Scheitern der Tändelei zwischen zwei weiteren Riesen zu tun hat: EMI und Warner. Letzteres Unternehmen, im Besitz des schwächelnden Medienkonglomerats Time Warner, stand zum ferkauf. Der Versuch der Übernahme durch den britischen Konkurrenten Capitol-EMI, der allein auf Musik setzt und damit stärker als die Mischkonzerne Sony, Bertelsmann und Vivendi Universal unter Zugzwang steht, scheiterte an einem zu niedrigen Gebot. Gerade mal 1,6 Milliarden Dollar hatte der EMI-Chairman Eric Nicoli den Amerikanern in Aussicht gestellt.

Damit schlug einmal mehr die Stunde für einen alten Bekannten im Kreis der Branchenmogule: Edgar Bronfman junior. Gemeinsam mit einem Bieterkonsortium legte er nochmals eine knappe Milliarde Dollar drauf- und bekam den Zuschlag. „Die fünfte Chance für Edgar“, kommentierte umgehend die „Financial Times“ das Comeback des Milliardärs mit dem Hang zum Showgeschäft. Nicht ohne minutiöse Aufzählung der bisherigen Misserfolgsserie des neuen Bosses von Madonna & Co.

Erster künstlerischer Gehversuch mit 17 als Produzent des Hollywood-Streifens „The Blockhouse“ – Flop. Vater Edgar Bronfman, Mehrheitsinhaber des Spirituosenkonzerns Seagram und Großinvestor bei Metro-Goldwyn-Mayer, deckt die Verluste ab. Und ermöglicht einen neuen Anlauf, diesmal mit Jack Nicholson in der Hauptrolle. Hop. Der Junior zieht Anfang der Wer Jahre zwar in die Chefetage des Schnapskonzerns ein, aber seine Vorliebe für die schönen Künste (Bronfman jr. komponierte Songs u.a. für Celine Dion und Dionne Warwick) lässt ihn nicht los. Seagram erwirbt für 5,7 Milliarden Dollar 80 Prozent von MCA und verkauft dafür Anteile am Chemie-Riesen DuPont Als ihm später Aktionäre vorrechnen, dass dies ein mieses Geschäft gewesen sei, meint Bronfman jr. nur, die Chemieindustrie sei „langweilig“. Flop Numero vier.

Kurzweiliger wird es, als MCA in Universal umbenannt, mit Polygram verschmolzen und die Mediensparte von Seagram an den französischen Giganten Vivendi (Kern: die Pariser Wasserwerke) verkauft wird. Die Bronfman-Familie muss dafür die Schnapsdestillerien verkaufen und erhält im Gegenzug Vivendi-Aktien. Die, wie sich bald herausstellt, durch Missmanagement und marktferne Gigantomanie rasant an Wert verlieren. Innerhalb weniger Jahre hat Bronfman jr. 80 Prozent eines riesigen Familienvermögens verspielt.

Dass er jetzt trumphierend im Chefsessel von Warner Music (der Name soll erhalten bleiben, es handelt sich nunmehr laut „New YoYork Times“ um die „größte US-Independent-Musikfirma)“ sitzt, dürfte von Vater, Onkel und sonstigen Verwandten mit größerer Sorge denn je verfolgt werden. „Das ist die größte Demonstration von Egomanie und Stupidität“, so der Kommentar eines Mitbewerbers, „seit man Milli Vanilli beim Schwindeln vorm Mikrofon erwischt hat.“

Das Bieterkonsortium um Bronfman jr. wiederum beteuert, mit drastischen Kostenreduktionen und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle auch in Zukunft die Kasse klingeln zu lassen. Der Backkatalog, das historische Familiensilber von Warner, ist auch nicht zu verachten. Könnte gut sein, dass Edgar gerade im frisch bezogenen Chefbüro sitzt und die Musikanlage testet, volle Lautstärke, die „Financial Times“ im Papierkorb. „Keep On Rockin‘ In The Free World“! Oder doch eher „It’s The End Of The World As We Know It (ButIFeelFine)“? Walter grobchen

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