Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Ironische HipHop-Moves

Bruce Springsteen, Phil Collins und was die Töchter gerade hören: Protokoll eines Musik-Stammtischs dreier 50-Jähriger via Zoom.

Folge 224

An jedem letzten Donnerstag des Monats treffen sich seit gut einem Jahr Guido, Jens und Bernd, drei Freunde um die fünfzig, via Zoom-Konferenz zum Musik-Stammtisch. Zuletzt waren die monatlichen Pop-Konferenzen mit Bierbegleitung allen drei Teilnehmern ein wenig fad geworden. Für das diesmalige Distanztreffen haben sich die Freunde um neue Impulse bemüht und beschlossen, die gegenwärtigen Lieblingslieder ihrer 18-jährigen Töchter zum Diskussionsgegenstand zu machen.

GUIDO: Also wir hatten ja gesagt, dass wir diesmal nicht über Bruce Springsteen oder Neunziger-Alternativeock sprechen.

JENS: Hatten wir.

BERND: Wobei Bob Dylan ja diesen Monat ja achtzig wird.

JENS: Trotzdem, Bernd! Also ich habe wie verabredet meine Tochter gefragt, welchen aktuellen Song sie gut findet.

GUIDO: Hammer! Und?

JENS: Sie hat gesagt, dass sie überhaupt keinen aktuellen Song gut  findet.

BERND: Was hört die denn stattdessen?

JENS: Bruce Springsteen.

GUIDO: Okay … Also meine Tochter hat mir einen Song genannt: „Gravity“ von Brent Faiyaz & DJ Dahi feat. Tyler, The Creator. Wollen wir uns das kurz zusammen anhören?

Das Stück wird gehört. Während es läuft, bemühen sich Bernd und Jens um ironische HipHop-Moves. Nach knapp vier Minuten ist der Track vorbei.

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JENS: Tja …

BERND: Ich weiß nicht.

GUIDO: Aber das ist doch super! Ist halt so modernes ’n’B-Zeugs mit ’nem Rap-Part. Wir haben doch damals in den Neunzigern auch ’ne Weile HipHop gehört.

JENS: Aber kapiert, worum es wirklich ging, haben wir nicht. Ich schäme mich im Nachhinein so ein bisschen für meine nachgeäfften HipHop-Moves aus den Neunzigern.

BERND: Ich schäme mich auch für deine HipHop-Moves aus den Neunzigern.

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GUIDO: Also ich hab das Gefühl, dass die da heute nicht so verkrampft sind wie wir.

BERND: Weil’s bei diesen modernen Hip-Hop-Sachen aber auch um viel weniger geht.

GUIDO: Hm, ist das nicht reaktionär?

JENS: Was hat dir deine Tochter denn für einen aktuellen Lieblingssong  genannt, Bernd?

BERND: Gar keinen. Die redet grad nicht mit mir. Ist komplett anti.

GUIDO: Gott sei Dank, dann muss man sich um das rebellische Potenzial der Jugend zumindest in deinem Haushalt keine Sorgen machen!

JENS: Als ich vor ein paar Monaten im Plattenladen war, kam da so ein Paar rein. Keine zwanzig waren die. Und wisst ihr, welche Platten die mitgenommen haben?

BERND: Sag!

JENS: Womack & Womack, Simply Red und Matt Bianco.

GUIDO: What!?

BERND: Dann sind die das auch, die schuld sind, dass heute „Africa“ von Toto als toller Song wiederentdeckt wird.

GUIDO: Ach du Scheiße! Wird er?

JENS: Ja, genau wie Phil Collins.

BERND: Das sind aber nicht die 20-Jährigen. Phil Collins wird eher von unserer  Generation wiederentdeckt. Also von ehemaligen Phil-Collins-Hassern. Die merken einfach jetzt, wo der nicht mehr allgegenwärtig ist, dass er eigentlich ganz gute Songs geschrieben hat.

GUIDO: Hat er?

JENS: Na ja, „In The Air Tonight“ ist schon super.

Jens und Bernd imitieren den „In The Air Tonight“-Drumbreak.

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GUIDO: Sorry, aber daran ist gar nix super.

BERND: Vielleicht kann man Musik ja erst aus der Distanz fair beurteilen. Losgelöst aus ihrer Zeit.

GUIDO: Das würde ja bedeuten, dass das Konzept Pop mit allen Aufladungen und Zuschreibungen seiner jeweiligen Zeit Quatsch ist und es am Ende doch nur darum geht, ob ein Lied schön ist oder nicht.

JENS: Mist, vielleicht ist Pop ja doch tot!

Eine Pause entsteht.

GUIDO: Wer ist dafür, dass wir doch wieder über Bruce Springsteen sprechen?

Alle drei heben die Hand.

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