Gaz Coombes im Interview: „Als Gage gab’s sechs Bier – ich fühle mich den Pubs ewig verbunden“

Der Sänger von Supergrass über Diversität, Kriegshelden, sein eigenes Studio und die neue Soloplatte

„Turn the car around“ heißt das neue, vierte Album von Gaz Coombes, dem Sänger von Supergrass, der mit seiner ehemaligen Band zwar noch in großen Hallen tourt, mit ihr aber keine neue Musik mehr macht. Neue Stücke veröffentlicht die 46-jährige Britpop-Ikone nur noch auf Soloalben. Die kommende Platte, seine erste seit fünf Jahren, verknüpft Sixties-Beat-Bombast („Don’t Say It’s Over“) mit Introspektionen in der Corona-Isolation („Overnight Trains“) und Geschichten über Menschen, die auf dem Höhepunkt ihres Ruhms in einen Krieg ziehen müssen („Sonny the Strong“). Ein Gespräch über Pub-Helden, korrektes Benehmen im Netz und heldenhafte Boxer.

Ein früheres Supergrass-Boxset hieß „The Strange Ones“, nun singen Sie „Long live the Strange“. Anderssein gehört zur Popkultur – verdienen Außenseiter dennoch mehr Aufmerksamkeit?

Der Song beruht auf ein Erlebnis mit meiner Tochter, wir besuchten in Oxford ein Konzert von Cavetown, dem Transgender-Musiker. Dieser Abend hat mich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Wie privilegiert ich eigentlich bin. Und was das für eine Zeit ist, in der wir leben. Sie können sich vorstellen, wie divers das Publikum aufgestellt war – und doch wirkte alles bescheiden und down-to-earth, toll. Ich habe mich auch immer „strange“ gefühlt, seit Beginn meiner Karriere mit Supergrass 1995.

Die Gesellschaft wird diverser – gleichzeitig nimmt der Hass auf „die Anderen“ zu.

Ich versuche mich nicht zu sehr in den Sozialen Medien zu engagieren, schaue mir aber an, was meine Töchter da so machen. Die Gefahren für die Psyche sind bekannt – allein durch die Bilder, die sich im Netz auftun. Das Internet hat einen Nachgeschmack. Es bietet ungeahnte Freiheiten für den individuellen Ausdruck, aber damit geht auch eine Stigmatisierung derjenigen einher, die sich darin verwirklichen wollen. Doch gegen die Feindseligkeit kann jeder was tun. Einfach aufhören, ein Idiot zu sein. Tief durchatmen, bevor man wütend in die Tasten haut.

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„Not the only things“ ist inspiriert von ihrer autistischen Tochter. Wie unterhalten Sie sich mit ihr über Ihre Songs?

Es ist die Fortsetzung meines Stücks „The Girl who fell to earth“ von 2015. Meine Tochter interessiert sich vor allem für meinen Gesang, die Melodien. Klingt wie selbstverständlich, aber nach meiner Beobachtung interessieren sich jüngere Menschen heute eher für Basslinien oder den Schlagzeugrhythmus. Bei den Liedern von Harry Styles machen sie eine Ausnahme. Da war ich auch im Konzert, das wird aus vollen Kehlen mitgesungen.

„Sonny the Strong“ handelt von Boxern. Auch Morrissey, Springsteen, Dylan und Paul Simon besingen sie. Was fasziniert Sie daran?

Während der Pandemie habe ich sehr viele Dokumentationen geschaut. Geschichten, in denen Prominente, wie Elvis, auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs für den Militärdienst rekrutiert werden. So wie mein fiktiver Sonny, der Boxer. Mit Vitali Klitschko muss sich in Kiew ein echter, ehemaliger Boxer im Krieg behaupten.

Im Video zu „Don’t say it’s over“ singen Sie in einem Pub vor alten Menschen. Dass sich hierzulande Indie-Musiker in Eckkneipen präsentieren, ist eigentlich ausgeschlossen. Warum sind die Verbindungen britischer Musiker zum Pub so tief?

Zunächst behandelt das Lied die Frage nach ewiger Liebe, deshalb besetzte ich ältere Darsteller für den Clip. Ich liebe die Sozialdramen Mike Leighs oder „This is England“ von Shane Meadows. Ich mag Großbritannien grim und gloomy. Dieses England sehe ich jeden Tag, ich lebe darin. Ich trat schon in Pubs auf, als ich das noch gar nicht durfte. Als Gage gab es sechs Bier. So was prägt, ich fühle mich den Pubs auf ewig verbunden.

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Mit Supergrass traten Sie beim Gedenkkonzert für Taylor Hawkins in Wembley auf. Es muss schwer sein, als Solosänger kleinere Brötchen zu backen, oder?

Nein, alles gut. Wir sind Freunde und touren, aber im Studio funktionierten Supergrass nicht mehr. Wir lösten uns 2010 bei den Aufnahmen zu einer neuen Platte auf. Natürlich kann ich mir vorstellen, dass es unsere Fans traurig macht, uns auf der Bühne zu sehen – und dennoch veröffentlichen wir kein neues Werk. Ich bin froh genug über unser altes Zeug. „I Should Coco“ macht mich stolz, ein großes britisches Album, „In It for the Money“ auch, und in Teilen auch das dritte, unser „Supergrass“-Album. Neue Musik soll es nicht geben, aber ich bin auch kein „Never say never“-Mensch.

Sie haben ihr eigenes Studio aufgemacht. Ist es ein Klischee, dass man zu gemütlich wird in der Musik, wenn man vom Wohnzimmer aus mit Schlappen in den Aufnahmeraum laufen kann?

Natürlich liebe ich Check-ins in teure, exklusive Studios. Aber ich bin produktiver mit meinem eigenem. Ich muss nur die Straße vor meinem Haus überqueren. Vielleicht ist es etwas herausfordernder für meine Familie – sie weiß ja nicht, wann ich wiederkomme. Während der Aufnahmen ließ ich Filme auf einer Leinwand abspielen, wie „Gremlins“. Gut für meine Band. Sie konnte dann beim Spielen den kleinen Monstern zusehen, statt beim ständig auf die Instrumente schauen zu müssen!

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