Happy Birthday, Steve Earle!
Rock- und Countrysänger Steve Earl wird 60. Wir gratulieren mit einem Porträt über den Sänger, den nichts kleinkriegen kann.
aus ROLLING STONE 10/1997:
Statt Drogen ein eigenes Label: Steve Earle kehrt zum Country-Rock zurück
von Jörg Feyer
Er hat die Drogensucht besiegt und sein neues Album „El Corazon“ im Gepäck.
Deutlich ist der jahrelange Raubbau an Körper und Seele dem massigen Gesicht abzulesen. Ansonsten aber ist alles wie vor zehn Jahren: Mit Steve Earle fuhrt man kein Interview – man lauscht seinem Vortrag. Zuweilen umständlich, immer detailverliebt und mit flinker Zunge, arbeitet sich der seit 1974 in Nashville lebende Texaner an jedem noch so kleinen Themen-Brocken ab.
Und erstaunlich dabei ist, daß ein Drogenkonsum, der andere unter die Grasnarbe gebracht hätte, seinem Erinnerungsvermögen nichts anhaben konnte. Sein geplatztes Deutschland-Debüt auf einem verregneten Country-Festival anno ’87 rekapituliert er ebenso mühelos wie jene legendäre Anekdote aus einem Steak-House in Nashville. Danach soll Steve Earle seinem damaligen Mentor Tony Brown das gute T-Bone-Stück ins Gesicht geworfen haben, als der ihm eröffnete, er könne bezüglich des Albumcovers nicht mehr hinter ihm stehen; Jimmy Bowen (damals der MCA-Boss) bestehe auf dem üblichen Porträt. „Er führte mich also in dieses Steak-House, um mir hier zu sagen, daß er den Schwanz eingezogen hatte. Und es war obendrein noch ein Laden, den ich ihm vorher empfohlen hatte!“
Earle beharrt darauf, daß er das Steak nur auf den Boden geschleudert habe und gegangen sei. Am nächsten Tag rief Earle Irving Azoff an, den Chef von Brown wie Bowen, und bekam „das verdammte Album-Cover. Es war einer dieser kleinen Kämpfe, die ich glaubte, fuhren zu müssen.“
Nicht, daß ein cleaner Earle, der glaubt, wegen seiner genetischen Disposition und reichlich Gelegenheiten „auch als ein Versicherungsvertreter“ süchtig zu werden, heute zum Musterknaben avanciert wäre. Er sieht nur jenseits der 40 einfach nicht mehr viel Sinn darin, seine Rest-Energien als Enfant terrible in Grabenkämpfen mit einer Industrie zu verpulvern, die „genausogut auch Socken verkaufen“ könnte. Earle:
„Rodney Crowell und ich sahen uns Milos Formans ,Amadeus‘-Film an. Wir dachten sofort: ,Verdammt, ein Film übers Musikgeschäft – und es hat sich absolut nichts verändert!'“ Künstler, so Earle, sollten „nur nicht rumjammern darüber, daß die Karten so verteilt sind wie sie es sind. Das ist nur eine Entschuldigung für das Scheitern, weil man zuvor nicht mal auf den Tisch gehauen hat.“
Heute teilt Earle mit seinem E-Squared-Label lieber selber ein paar Karten aus und genießt die wiedergewonnene Kreativität Auf seinem neuen Album „El Corazon“ wartet er in „Here I Am“ auch wieder mit einem ganz persönlichen Manifest auf. Und der ebenso wahrhaftigen wie bitterkomischen Lieblingszeile: „I took everybody apart to see how they work.“ Hat er inzwischen auch herausgefunden, wie er selbst funktioniert? „Diese Zeile bezieht sich darauf, daß man mir – berechtigt oder nicht – vorgeworfen hat, mein Leben und das anderer Menschen ruiniert zu haben, damit ich etwas habe, worüber ich schreiben kann (lacht). Ich glaub zwar, daß das nicht wirklich stimmt, aber effektiv betrachtet, wird’s wohl so gewesen sein.“ Doch während andere nach ihrem Entzug Blockaden hatten, schreibe er „so gut und ausdauernd wie nie zuvor.“ Earle: „Es ist ein Geschenk. Und das habe ich mißbraucht. Vermutlich sind mir deshalb ein paar schlimme Dinge passiert. Aber jetzt passe ich schon ein bißchen besser darauf auf.“