John Carpenter im Interview: „Ich mache den neuen ‚Halloween‘-Soundtrack“

Horrorkino-Legende John Carpenter über das Comeback des Slasher-Films, seine neue Karriere als Musiker – und über die Antwort auf die zweitwichtigste Frage des Universums.

Mit „Halloween“, „The Fog – Nebel des Grauens“ und „Das Ding aus einer anderen Welt“ schuf John Carpenter in den vergangenen 45 Jahren Klassiker des Horrorfilms. Am 16. Januar wurde er 70 Jahre alt – und er ist so umtriebig wie lange nicht: Er führt als schlohweißer Popstar die von ihm komponierten elektronischen Soundtracks live vor und veröffentlichte in den vergangenen zwei Jahren drei Alben, eines mit seiner Filmmusik. Nun kehrt Carpenter noch einmal zu „Halloween“ zurück: Er produziert das Remake seines berühmtesten Films – und komponiert wiederum den Score.

Für Ihre „Anthology 1974–1998“ haben Sie den Score von „Halloween“ neu eingespielt. Wie schreibt man Musik, die Herzrasen verursacht?

Sie macht Sie nervös? Sehr gut! Aber keiner kann beantworten, warum man durch Musik erschrickt. Der 5/4-Takt des Stücks wird gelobt, doch was sagt uns das?

Hat Sie wirklich Mike Oldfields „Tubular Bells“, das in „Der Exorzist“ Verwendung fand, inspiriert?

Da sehen Sie: Musik, so friedliche wie diese, findet in anderen Kontexten zu neuer Bedeutung. Aber ich kann ja nicht mal richtig spielen! Mein Vater war ein Musik-Professor, brachte mir die Violine bei, doch ich entdeckte die Synthesizer. Bei meinem Frühwerk, „Assault – Anschlag bei Nacht“ und „Halloween“, fehlte mir das Geld, ich nahm die Scores innerhalb von drei Tagen auf.

Sie sagen stets, Sie könnten nicht spielen, Ihre Kompositionen – manche weltberühmt – seien Notgeburten. Sie kokettieren doch.

Wirklich nicht. Für „Das Ding“ (1982) und „Starman“ (1984) konnte ich endlich zwei Meister engagieren: Ennio Morricone und Jack Nitzsche, ich war heilfroh. Meine eigenen Soundtracks wären aber auch nicht besser geworden, wenn ich mehr Zeit gehabt hätte.

Es gab Gerüchte, Sie hätten sich mit Morricone nicht verstanden, und sein elektronischer Score, der wenig nach ihm klang, sei das Ergebnis starker Beeinflussung gewesen.

Wir kamen gut miteinander klar, und wenn wir uns nicht verstanden haben, dann nur, weil wir zwei verschiedene Sprachen sprechen. Ich kann kein Italienisch, er kein Englisch. Sein Soundtrack ist wundervoll, aber beim Schneiden des Materials merkte ich, dass manchen Szenen weitere, subtile Musik gut täte, also machte ich mich an die Arbeit.

Außerdem arbeiten Sie mit Rockmusikern zusammen.

Dave Davies, der Kinks-Gitarrist, spielte 1994 das Riff in „Die Mächte des Wahnsinns“. Nun gehört dessen Sohn Daniel – mein Patenkind – zu meiner Band. Auch ein fantastischer Gitarrist. Dieses Vater-Sohn-Gespann brachte etwas, das man nicht kaufen könnte: einen Drive.

John Carpenter 1982, damals war er 34 Jahre alt.

In diesem Jahr feiert „Sie leben“ 30-jähriges Jubiläum. Er gilt als Kommentar zur turbokapitalistischen Reagan–Ära: Außerirdische beherrschen uns durch geheime Kaufbefehle. Wo sind heute die Regisseure, die mit ihren Filmen Trump kommentieren?

Warten Sie mal ab, er ist erst seit einem Jahr im Amt. Drehen dauert. Das kommt noch. Mein Studio wünschte sich 1988 ein traditionelles „Invasion Movie“: Menschen töten, „Krieg der Welten“, aber mir war diese Idee zu schlicht. Ich fand, wenn die Aliens schon landen, dann sollte ihre Motivation Macht durch Geldgewinn sein. Ich besetzte Roddy Piper, den Wrestler, in einer Rolle als einfacher Arbeiter, weil es das in der Infiltrations-Science-Fiction noch nicht gab. Ich zeigte Unterschicht statt Mittelschicht. In Werken wie „Invasion der Körperfresser“ sind Ärzte die Hauptfiguren – weil durch sie das Außerirdische zügiger erklärt werden kann. Mich wunderte nur, dass Kritiker die Kapitalismus-Botschaften, „Gehorche!“, „Konsumiere!“, als subliminal bezeichneten. Die Befehle standen doch groß gedruckt auf allen Billboards. Nun, der Film stieg auf Platz eins der Box-Office-Charts ein.

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Für das neue Musikvideo zu „Christine“ führten Sie erstmals seit 2010 wieder Regie. Sie verwendeten den Oldtimer aus Ihrem Film von 1983, den vom Teufel besessenen Plymouth Fury, eine Mordmaschine, die nun eine junge Frau verfolgt.

Das Revival von „Christine“ war ein riesiger Spaß, aber die verdammte Karre wollte bei diesen Dreharbeiten einfach nie anspringen! A Pain In The Bum!  Christine hatte noch immer die abgedunkelten Fenster. Wer weiß, was hinter ihren verschlossenen Autotüren passiert.

Sie hassen es, ihre Filme anzusehen, weil Sie heute so viele anders machen würden. Zum Beispiel?

Ich bin kein Perfektionist, aber ich achte extrem auf meine Fehler. Im „Dorf der Verdammten“ gehen Christopher Reeve und eines der besessenen Kinder auf einen Friedhof, es war ein wunderschöner, sonniger Tag. Ich ließ das Ganze einfach laufen, das Licht spielte im Gras. Ich fragte mich: Wann soll ich „Cut“ rufen, sollte ich die Szene gar beschleunigen? Das sind Dinge, die mich jetzt beschäftigen, anderen vielleicht nie auffällt.

Einer Ihrer Filmfehler führte zur bis heute meistdiskutierten Frage des Horror-Kinos: „Ist Childs oder McReady das ‚Ding’“? Das Filmende des „Ding aus einer anderen Welt“ zeigt zwei Überlebende, aber weil die Szenen-Beleuchtung beider Darsteller unterschiedlich ausfiel, schlossen viele daraus, dass sich einer der beiden mit dem Monstervirus infiziert hat.

Ich bin stolz darauf, dass die Fans darüber diskutieren, ich sehe das nicht als Fehler.

 Im Interview mit ROLLING STONE vor vier Jahren haben Sie sich versehentlich verraten, als Sie sagten, dass überhaupt einer der beiden infiziert …

Ich habe was? Nein, es gibt überhaupt keine Gewissheit darüber, ob und ob überhaupt wer sich angesteckt hat. Der Film lässt keinerlei Rückschlüsse zu. Punkt. Wie der angebliche Absturz eines UFOs in Roswell: Keiner kennt die Antwort.

McReady jedenfalls ist nicht das „Ding“, so sieht’s aus!

Aha. Woher wollen Sie das wissen?

Er sprengt das Endmonster in die Luft, und bevor Schluss ist, sitzt er erschöpft im Schnee.

Interessant. Aber Ihnen ist schon aufgefallen, dass es einen Schnitt gegeben hat? Was passierte also dazwischen? McReady tut vielleicht nur so, als wäre er noch ein Mensch.

Wenn McReady das „Ding“ wäre, würde er also, ganz alleine im Bild, schauspielern? Für wen sollte er diese Show abziehen – dem Zuschauer? Außerdem hätte er danach doch den einzigen Überlebenden, Childs, angegriffen.

Mmh-Mhm. Und das wissen Sie woher?

Es entspräche dem bisherigen Verhalten des Monsters im Film. Worauf sollte es denn auch warten? Wenn überhaupt, ist Childs das „Ding“ – sein menschlicher Gegner McReady ist schutzlos und erfriert.

Aber einen Eins-zu-Eins-Angriff habe ich vorher auch nicht gezeigt.

Ihr Mythos schöpft aus diesen ewigen Diskussionen der Horror-Nerds. Wieso dämpfen Sie selbst Erwartungen, unterbinden vage Deutungen?

Es ehrt mich, dass die Fans darüber brüten! Aber die Frage nach dem Ende ist doch völlig bedeutungslos, Dude. Und es ist mir persönlich auch egal. Meine Freunde sagen: McReady ist das „Ding“. Wir wissen nur eines: Das Monster lebt weiter. Jüngst ist ein „The Thing“-Brettspiel erschienen: Würfeln Sie die Schicksale neu aus!

Ihr berühmtester Film wird 40: „Halloween“. Hat sich William Shatner je bei Ihnen bedankt?

Eine Captain-Kirk-Karnevalsmaske vom Grabbeltisch wurde zu der berühmten Maske des Halloween-Mörders Michael Myers! Shatner ist ein echter Colonel. Schon so lange dabei, vielleicht wird er ewig leben. Die Maske war schrecklich billig und verfehlte ihren ursprünglichen Zweck – wer erkennt Ähnlichkeiten zwischen Kirk und Myers? Gut, wir bleichten das Gummi, vergrößerten die Augenlöcher …

Jamie Lee Curtis spielte die Gegnerin. Mit ihr wurde der irreführende Begriff „Scream Queen“ etabliert …

Absolut irreführend! Und ein Klischee. Jamie Lee schrie doch nicht die ganze Zeit herum, sie handelte planvoll. Eine starke Frauenfigur.

Szene aus „Halloween“ von John Carpenter
Szene aus „Halloween“ von John Carpenter

Nun wird ein neuer „Halloween“ ins Kino kommen – der elfte, aber der mit größter Spannung erwartete. Curtis spielt wieder die Hauptrolle.

Ich verrate es Ihnen: Ich bin auch wieder an Bord, ich schreibe den Soundtrack!

Mit den Regisseuren George A. Romero und Tobe Hooper sowie dem Schauspieler Harry Dean Stanton verstarben 2017 enge Freunde.

Wir alle bewegen uns Richtung „Great Screening Room in the Sky“. Harry Dean, den ich in „Christine“ und „Die Klapperschlange“ besetzte, war so lange dabei, wurde 91, trieb sich in Hollywood schon vor dem New Hollywood rum. Er singt in unzähligen Filmen – manchmal dachte ich, er nahm Rollen nur an, um zu singen! Immer eine Gitarre zur Hand. Zuletzt sprach ich ihn auf einen Film an, den er mit Steven Seagal drehte. Er fragte: „Und? Wie gefiel dir … wie ich darin singe?“ Er war ein Southern Boy, besessen vom Singen. Und er rauchte. Riesige Mengen Marihuana. Auch das habe ich an ihm geschätzt. In meiner „Klapperschlange“ spielte er einen Mann namens Brain, der Name war Programm. Brain war ein Poet, dachte, er wäre Lord Byron.

Ihre Konzerte beginnen mit „Escape From New York“ (dt. „Die Klapperschlange“) und einer Einstellung der Twin Towers von 1981.

Das Manhattan in meinem Zukunftsszenario war ein Gefängnis für Schwerverbrecher (schweigt lange). Es schmerzt, dass die Zwillingstürme nicht mehr da sind. In dem Film landet unser Held mit einem Flugzeug auf einem Wolkenkratzer. Nach Nine Eleven wurde der Film aus dem US-Fernsehen verbannt.

Bei Ihren Konzerten stehen Sie hinter dem Synthesizer, auf den Leinwänden dahinter spielen sich Blutbäder ab. Sie kauen 90 Minuten lang seelenruhig Kaugummi. Denken Sie dabei an Ihre Filme?

Um Gottes willen, nein! Ich habe nur einen Gedanken: Hoffentlich vergeige ich nicht die Songs! Manchmal schaue ich in die erste Reihe. Ich flirte mit den Girls. Und wenn das Publikum aufstöhnt, dann weiß ich, das liegt an dem Horror auf der Leinwand hinter mir.

Drehen Sie jemals wieder einen Kinofilm?

Es gibt keine konkreten Pläne, aber wer weiß. Hey man, und wenn nicht? Ich bin jetzt 70, und ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet.

Silver Screen Collection Getty Images

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