Michael Moore: Romanze ohne Happy End

Der Lautsprecher der Systemkritik, Michael Moore, legt mit "Kapitalismus - eine Liebesgeschichte" seinen Kommentar zur Krise vor.

Rolling Stone: Wie legt eigentlich Michael Moore sein Geld an?
Moore: Ganz konventionell auf einem Sparkonto, mit mickrigen Zinsen. Ich habe nie eine Aktie besessen und führe das gern auf meine Ignoranz zurück. Der Gedanke, Geld arbeiten zu lassen, um neues Geld zu verdienen, erschien mir stets bizarr, weil ich besser weiß, wie ich meinen Lebensunterhalt mit Arbeit und guten Ideen verdiene.

RS: Sie begannen die Arbeit an „Kapitalismus – Eine Liebesgeschichte“ bereits vor dem Kollaps des amerikanischen Finanzsystems. Könnte Ihr Film ein Jahr nach Beginn der Krise bereits Schnee von gestern sein?
Michael Moore: Meine Filme zielen nicht darauf ab, den Zeitgeist auf den Punkt zu treffen, vielmehr versuche ich mich universalen Problemen zu widmen und bin meiner Zeit in der Regel weit voraus. „Roger and Me“ drehte ich zwanzig Jahre vor dem Bankrott von General Motors. „Sicko“ ist zwei Jahre alt, nun erst fegt die Debatte um das Gesundheitswesen durch die USA. Als ich George Bush nach Ausbruch des Irakkrieges in „Fahrenheit 9/11“ kritisierte, galt ich vielen als Landesverräter, doch vier Jahre später votierte eine überwältigende Mehrheit gegen seine Politik. Sie sehen – mein Timing war eigentlich immer schlecht und trotzdem fanden die Filme ein breites Publikum und bereicherten die Debatte.

RS: Aber ist zur Finanzkrise nicht wirklich schon alles gesagt?
Moore: Das kann schon sein – aber von wem ist es denn bitteschön verstanden worden? Ich würde mich für durchschnittlich intelligent halten und könnte Ihnen trotz einem Jahr Arbeit noch immer nicht schlüssig erklären, wohin diese Milliarden verschwunden sind und warum es keine funktionierenden Warnsysteme gab. Im Film sehen Sie Experten der Wirtschaft, denen es ähnlich geht. Dieser Tornado überfordert uns alle und es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass er bereits vorbeigezogen ist. Die Zahl der Arbeitslosen und geplatzten Immobiliendeals in Amerika steigt an, auch die Kreditkartenblase droht zu platzen – so ist mein Film leider kein Rückblick mit Happy-End, sondern stellt mit der Systemfrage auch die Zukunftsfrage: Wer kann sich Kapitalismus eigentlich noch leisten?

RS: Was entgegnen Sie Kritikern, die Ihnen unseriöse Motive und Eitelkeit vorwerfen, weil Sie Ihre Opfer etwa mit Überfalltaktik lächerlich machen und selbst sehr auf Lacher aus sind?
Moore: Ich ertrage diese Einwände wie ich auch das geschätzte Dutzend Anti-Michael-Moore-Filme aushalte, die mich diskreditieren wollen. Dass meine Auftritte in meinen Filmen zunehmend problematisch sind, mache ich eher daran fest, dass mich zu viele Menschen kennen und sich die wenigsten überhaupt noch trauen, vor der Kamera mit mir zu sprechen. Andererseits bin ich nun mal der Regisseur und kann keine Praktikanten losschicken, wenn es um Diskussionen geht, die genau ich als Filmer ja anzetteln möchte. Lächerlich mache ich bewusst niemanden, das schaffen Gesprächspartner schon ganz allein. Und als Enkel irischer Großeltern habe ich von Kleinauf eine pessimistische Weltsicht, trage ob sozialer Missstände Wut in mir und entlade diesen Druck mit Humor. Weil es funktioniert: Satire ist ein smarter Weg, um vormals eher gleichgültige Menschen sanft zu politisieren.

RS: Obwohl er nicht mehr im Amt ist, hat George Bush in „Kapitalismus – Eine Liebesgeschichte“ einige denkwürdige Auftritte. Brauchen sie ihn als Feindbild?
Moore: Sie meinen, ob wir einander so komplettieren wie Batman und der Joker (lacht)? Nein, ich denke, ich habe mich genug an ihm abgearbeitet und ein Film über die Auswüchse des Kapitalismus ohne Bush als Schlüsselfigur wäre schlicht unglaubwürdig gewesen. Aber mal abwarten – vielleicht bekommt er in Zukunft regelmäßig ein Cameo (lacht).

RS: Wie haben Sie die Wahl Obamas zum US-Präsidenten wahrgenommen?
Moore: Ich muss ihnen gestehen, dass ich vor Fassungslosigkeit geweint habe, als ich in Michigan in der Wahlkabine stand und Obamas Namen auf der Liste sah. Nach acht katastrophalen Jahren Bush überhaupt nur die Chance zu bekommen, für einen Mann zu stimmen, dessen Vorstellungen von gerechter Politik ich weithin teile, erschien mir wundersam, geradezu surreal. Meine Frau holte mich schließlich wieder in die Realität, als sie mich mit roten Augen aus der Kabine kommen sah und nahe legte, dass ich mich bitte etwas zusammenreißen solle (lacht).

RS: Wird Obama die in ihn gesetzten Erwartungen aus Ihrer Sicht erfüllen können?
Moore: Er tut mir leid, weil er so viele Probleme geerbt hat, die er unmöglich alle wird lösen können, schon gar nicht in den ersten Monaten. Schon werden die Messer gewetzt und die Menschen sind rasch ungeduldig, doch er braucht weiterhin Unterstützung, gerade im Kampf für ein Gesundheitssystem. Doch bei aller Sympathie sehe ich ihn auch kritisch, er besitzt keine Carte Blanche. In meinem Film etwa weise ich darauf hin, dass das Finanzinstitut Goldmann-Sachs im Wahlkampf Obamas großzügigster Spender war. Er muss wissen, dass wir das wissen, wenn er sich entscheidet, wem er letztendlich helfen wird: Der Wall Street oder den amerikanischen Bürgern.

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