Rammstein und die Penis-Kanone: Hintergründe zur „Pussy“-Performance

Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit haben Rammstein für ihr erstes von mehreren München-Konzerten ihren Hit „Pussy“ ausgespart und auch die berüchtigte Penis-Kanone weggelassen. Wir klären auf, warum der Song für die Band so wichtig ist.

Konzerte von Rammstein sind in Deutschland schon seit langer Zeit ein Grund für erhöhte Aufmerksamkeit. Da blicken nicht nur die Die-Hard-Fans auf den Gig. Am Mittwoch (07. Juni) war es sogar noch etwas heftiger: Nach den Vorwürfen gegen Till Lindemann und die Band wurde das erste von mehreren Konzerten in München zum Thema des Tages. Würden Rammstein auf die Anschuldigungen reagieren? Was sagt der Sänger? Verändert sich das Set?

Mehr zum Thema
Alena Makeeva: Wer ist die Frau, die die „Row Zero“ bei Rammstein organisieren soll?

Die Antworten in Kürze: Die Berliner lieferten ihre Show, ohne sich etwas anmerken zu lassen; Till Lindemann war für seine Verhältnisse etwas redseliger und gab subtile Hinweise, dass er froh ist über die Unterstützung der Fans („München, danke, dass ihr hier seid. Danke, dass ihr bei uns seid“) und tatsächlich änderte sich etwas bei der Zusammenstellung der Songs.

„Ohne dich“ gab es zum ersten Mal seit 2019 als Full-Band-Version. Ein Zeichen dafür, dass die Band nun, gemeinsam mit ihren Anhängern zusammensteht, zusammenstehen will? Wichtiger aber noch: „Pussy“, seit vielen Jahren einer der wichtigsten Stücke eines Rammstein-Konzerts und zuletzt Nachfolger von „Ohne dich“ kurz vor der ersten Zugabe, flog genauso wie die dazugehörige Penis-Kanone aus dem Programm.

„Pussy“ vermengt bewusst Sex und Gewalt

Warum also ausgerechnet ohne „Pussy“? Möglicherweise wollen Rammstein so demonstrieren, dass sie die Vorwürfe zahlreicher Frauen, die auch in mehreren Fällen sexuellen oder körperlichen Missbrauch (Stichwort: K.o-Tropfen) mit einbeziehen, ernst nehmen. Bekanntermaßen handelt es sich bei dem Stück um eine recht explizite Angelegenheit. Der Name ist Programm, es geht schlicht und einfach um Geschlechtsverkehr und wie er zustande kommt und abläuft. „You’ve got a pussy, I have a dick, ah/So what’s the problem? Let’s do it quick.“

Im Kanon trashiger Lieder über dirty love mag diese Zeile fast vorbildlich abdecken, worum es Rammstein geht. Natürlich ist der Text bewusst plump und vermengt die ironisierte Kriegsrhetorik der Band, mancherlei bewusst karikierende Deutschtümelei und derbe Erotik miteinander: „Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr!/Schnaps im Kopf, du holde Braut/Steck Bratwurst in dein Sauerkraut.“

Till Lindemann von Rammstein auf der Bühne des „Fields of Rock“ am 18. Juni 2005 in den Niederlanden.

„Pussy“ wurde 2009 auf ihrem sechsten Studioalbum „Liebe ist für alle da“ veröffentlicht, schlug als Single sofort ein wie eine Bombe. Wenn Rammstein mit ihrer Musik auch so etwas wie eine Spiegelfläche für das Zelebrieren von BDSM, Sadomasochismus und eine nicht immer in die Tat umgesetzte, aber in Vorstellungen bebilderte „roughe“ Sexualität sind, dann ist dieses Lied wohl die Nationalhymne dieses mitunter düsteren, aber für eben auch viele faszinierenden Gedanken- und Körperkontinents. Ob sich dahinter auch vor allem „Männerphantasien“ (Klaus Theweleit) Bahn brechen und damit einhergehen mit unheimlichen maskulinen Zwängen, die eine gesunde Sexualität verunmöglichen, wurde schon damals diskutiert.

Das dazu gehörige „Pussy“-Video von Jonas Åkerlund sorgte im Grunde für noch mehr Aufmerksamkeit als das Lied, zeigt es die Band doch bei konkret pornographischen Handlungen. In vielen Ländern wurde der Clip verboten, in den meisten nur zu später Stunde oder in einer zensierten Form gezeigt. Rammstein und vor allem Till Lindemann labten sich, so der Tenor zur Veröffentlichung, an einem Porno-Fetisch, der auch deshalb immer deutlicher wurde, weil das Internet via Youporn anno 2009 (und natürlich auch schon einige Jahre früher) für nahezu jeden rund um die Uhr Fleischbeschau zur Verfügung stellte. Für einige Jahre war das Kokettieren mit Pornos geradezu chic. Es begann die Zeit von Terry Richardson, der sogar die Modefotografie zu einem Sündenbabel umfunktionieren konnte, ohne dass jemand Anstoß nahm.

Youtube Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Sex als Krieg

Die Penis-Kanone, bei der Lindemann auf Konzerten in einer Art Freizeitbad-Variante eine kräftige Ejakulation simulierte (und damit auch den Cumshot symbolisiert, der in vor allem für den männlichen Blick entwickelten Pornos – und das sind eben fast 98 Prozent aller verfügbaren Filme, ob nun Amateurstoff oder nicht – geradezu gezwungenermaßen erfolgen muss), bleibt dann eben auch als martialische Variante bei den Konzerten Rammsteins im Raum, eine Art Kriegsversion des Liebesakts. Womöglich wurde sie nun deshalb auch gestrichen. Lindemann will anscheinend, zumindest nach all den bekannt gewordenen Vorwürfen, nicht mehr vor allen Augen den hyperpotenten Macho geben.

Nimmt man die Veröffentlichung des „Till The End“-Pornos, der den Sänger beim ausschweifenden Oralsex mit zahlreichen Frauen und beim rüden, gewaltverherrlichenden Sex zeigt, in Augenschein, dann kann man durchaus zu dem Eindruck gelangen, dass Lindemann längst nicht mehr nur mit der Faszination von Pornographie (ironisch) spielt, sondern selber Teil dieses visuellen Spektakels geworden ist. Vielleicht auch das adaptiv zu jenem Moment, da die Amateurpornographie sich mit OnlyFans und auch auf Pornhub mit eigenen Porn-Influencern professionalisierte.

Dieser Musiker wollte dann selbst Teil des Business werden (passenderweise wurde der Porno für den Verlag Kiepenheuer & Witsch Grund genug, sich von seinem Lyriker Lindemann zu trennen, auch weil ein Buch des Musikers dort für sexuelle Handlungen missbraucht wird); er scheint der eigenen Pose nicht mehr mit kritischer Selbstdistanz begegnen zu können.

Sagen Rammstein nur deutlich, was andere verstohlen andeuten?

Kommt man jetzt noch einmal auf „Pussy“ zurück, dann wird deutlich, dass hier der Anfangspunkt der Hinwendung Rammsteins zu einer in zahlreichen Songs immer wieder angedeuteten Gewaltsexualität gesetzt ist. „Mercedes Benz und Autobahn/Alleine in das Ausland fahren/Reise Reise, Fahrvergnügen/Ich will nur Spaß, mich nicht verlieben“, heißt es ganz am Anfang des Lieds, als perverse Umdichtung von Kraftwerk-Autoerotik, als mögliche Andeutung, dass diese Band sich immer auf der Reise befindet, dass die Lust ihres lyrischen Ichs immerzu eine der Wanderschaft und eine des grenzenlosen Spaßes ohne echte Liebe ist.


Mehr zum Thema


Man mag Rammstein in Schutz nehmen, dass ihr Sänger hier nur sehr offen etwas ausspricht, was andere Musiker und Bands eben verklausliert in ihren sexuell aufgeladenen Pop-Hits betreiben, also den puren Hedonismus auch in den Betten zu feiern, aber bezieht man all dies einmal auf die nun im Raum stehenden und angeblich enthüllten sexuellen Bedürfnisse Lindemanns, die auf engste Weise mit den Fans seiner Band verschlungen erscheinen, dann ist „Pussy“ sehr wohl die vollbewusste Handlungsanweisung für das, was mutmaßlich in einem dunklen Raum unterhalb der Bühne stattfand. Und deshalb ist es nur folgerichtig, dass Rammstein nicht nur auf den row zero und Aftershow-Partys verzichten, sondern auch auf diesen makaberen, verspielten, überexpliziten signature song.

Weil sie die Anschuldigungen ernst nehmen? Oder weil sie sich als Band eben nicht nur über die Lustgeplagtheit ihres Frontmanns definieren will?

Greetsia Tent WireImage
Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates