Califone – Heron King Blues
Die Geschichte zu dieser Platte geht so. Tim Rutilli hat oft von diesem Wesen geträumt, halb Mensch, halb Vogel. Und dann herausgefunden, dass dieses Wesen tatsächlich existierte, zumindest als Druiden-Legende. Danach haben die Briten anno dunnemals große Angst vor einem Reiherkönig gehabt. Und weil die schlauen Römer das irgendwann spitzbekamen, hoben sie einen der ihren einfach auf Stelzen, verkleideten ihn ein wenig und schlugen so ihre zu Tode erschreckten Kontrahenten glatt in die Flucht. Das Wesen aus dem Traum ihres kreativen Taktgebers haben Califone für das Cover von „Heron King Blues“ als künstlerisch ambitionierte Vogelscheuche nachgestellt. Und ihm mit diesen sieben mehr oder weniger improvisierten Tracks im Studio ein bewegtes (Nach-)Leben auf der Tonspur verschafft. Wer Melodien und eine Stimme zum Festhalten braucht, kann hier nur zum Auftakt zugreifen: „Wing Bone“ ist in seiner vergleichsweise gewöhnlichen Americana-Arithmetik geradezu irreführend. Aber macht nicht auch der Moment der Täuschung Fabel und Legende aus?
„Trick Bird“ führt dann sanft zum wahren Zentrum der Platte über. Zu dieser bizarren Rhythmuskulisse aus komisch gestimmten Drums und Percussion, zu abseitigen Loops, die jenseits einer strukturellen Funktion scheinbar noch hinter die Genese ihrer Samples hinabsteigen wollen, während auch Gitarren (Akustik, Slide), Banjos, Hurdy Gurdies, Stimmen die Sound-Grenzen weiter verwischen. Der Teufel steckt hier im Detail – in dem, was man zu hören glaubt, aber kaum greifen, geschweige denn benennen kann. „Sisters Drunk On Each Other“ klingt, als probe eine Funk-Band auf Drogen morgens um fünf in einer Geister-Disco auf der dunklen Seite der Stadt. Und mit dem abschließenden Titelstück begeben sich Califone endgültig und gleich gute 15 Minuten lang auf die Spuren von Captain Beefheart, dessen „Mirror Man“ auch offiziell Pate stand für diesen Trip zu den Rändern der Wahrnehmung. »King Heron Blues“, das natürlich fast gar nichts mit Blues (als musikalischer Form) zu tun hat, ist nicht durchweg gelungen. Doch die Konsequenz, mit der Califone der Legende ein akustisches Gesicht geben, das sich bequemer Deutung verweigert, ist beachtlich.