Pink – I’m Not Dead
Man hat bei ihr immer ein bisschen den Reflex, ein Taschentuch mit Spucke anzufeuchten und ihr damit diverse ungeklärte Dreckkrusten von den Wangen zu rubbeln. Jederzeit könnte Pink in einer beliebigen Fernsehvorabendserie die ungestüme, extratrotzige Hausarrest-Tochter geben, die den hübschdoofen Nachbarstöchtern heimlich Kaugummis ins Haar klebt. Musikalisch macht Pink genau das in „Stupid Girls“, der mittelguten ersten Single von „I’m Not Dead“: Es geht gegen ihre Showbiz-Kolleginnen mit den blonden Extensions und kleinen Hündchen, die sich mehr aufs Hinternschwanken als aufs Künstlerische verlegt haben. „Outcasts and girls with ambition/ That’s what I wanna see“, kratzbürstelt Pink gegen sie. Halbkrawallig stänkern, gut und schön – allerdings zeigt sie uns danach leider nicht, wie’s denn die schlauen Mädchen machen.
Statt dessen versumpft „I’m Not Dead“ trotz oder aufgrund bunter Produzentenschar weit gehend im Wischiwaschi: Es gibt die Klimperklavier-Schmierenballade („Nobody Knows“), Melanie-C-Bryan-Adams-kompatiblen Schmonzrock („Long Way To Happy“), das Klagelied der jugendlichen Ausreißerin („Runaway“) – schablonierter Kram, nur durch Pinks struppige Stimme dem Beliebigkeits-Grabbeltisch enthoben.
Die obligatorische Abrechnung der musikalisch bzw. textlich schon reichlich durchgenudelten harten Kindheit und Jugend der Sängerin („Conversations With My 13 Year Old Self“) langweilt nur noch, die Klimax-Hechelei aus dem Masturbationslied „Fingers“ bedient gerade die Sex-sells-Routinen, die ein paar Lieder zuvor angeprangert werden. Ein eigenartiger Fall ist „Dear Mr. President“, die Akustik-Lagerfeuerprotestballade an Bush, die Pink zusammen mit den Indigo Girls singt und in der der Präsident unter anderem befragt wird, ob er ein „lonely boy“ sei und wisse, wie man sich als armer Mensch ein Bett aus einem Pappkarton baue. Abgeschlossen wird das Sammelsurium von einem Duett mit dem Vater, einem Lied, das jener damals in Vietnam geschrieben hat. Böse Pink, gutes Kind.