Prince

Sign ‘O‘ The Times

Wie aus vielen gigantischen Entwürfen, allesamt eingemottet, dennoch ein kleines Meisterwerk wurde. Prince entlässt The Revolution und veröffentlicht 16 Songs voller Vielfalt, spirituell wie sexuell.

Viele bezeichnen „Sign ‘O’ The Times“ als den größten Triumph von Prince, sicher war es eine Platte, die unter großen Schmerzen geboren wurde. Am Ende der Streitigkeiten mit seinem Label Warner Music ging er in sein Studio, drei Tage vor Heiligabend 1986, und nahm noch einen letzten Song für sein Doppel-Album auf. „U Got The Look“ sollte die Wunsch-Single der Plattenfirma sein. Griffig, mit einfachem Schlagzeug vorangetrieben; einer Co-Sängerin (Sheena Easton), die eigentlich nur zusehen, nicht singen wollte, und kontrolliertem Freestyle von Prince’ alter ego Camille, was bedeutete, dass er mit hochgepitchter, nicht mehr Mann oder Frau zuzuordnender Stimme sang: „Boy versus girl in the world series of love“. Ein Hit, wie gewünscht.

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Aber mit „Sign ‘O’ The Times“ war Prince nicht zufrieden. Er hatte die Dreifach-LP auf Druck des Labels auf zwei Scheiben zusammenkürzen müssen. „Alles Größere als das? Ist nicht zu vermarkten!“, sagten die Bosse. Erst dann wurde aus dem riesigen „Crystal Ball“ das kleinere „Sign ‘O‘ The Times“. 16 Songs, die mit einer Gesamtdauer von knapp 80 Minuten auch auf eine CD statt zwei gepasst hätten. Und der „Crystal Ball“? Blieb eine von Prince erdachte Fantasiewelt. Die einen kirre machen könnte, weil man bis heute so wenig davon weiß. Prince verwarf das Konzept und schwieg. Er veröffentlichte später zwar das gleichnamige Lied, aber auf „Sign ‘O‘ The Times“ verweist nur noch „Hot Thing“ kurz auf die Unterwelt: „Tell them you’re going 2 the Crystal Ball, tell them you’re coming home late, if you’re coming home at all.“

Überhaupt kam im produktivsten Jahr seiner Karriere am Ende wenig herum. Prince nahm das „Camille“-Album auf, es blieb unveröffentlicht. Es gab die gemeinsam mit The Revolution angegangenen Werke „Roadhouse Garden“ und „The Dream Factory“, dazu das jazzige, instrumentale „The Flesh“-Projekt. Blieben auch unveröffentlicht. Das einzige Kaufprodukt des Jahres 1986, „Parade“, erschien im März und enthielt Lieder des Vorjahres. Immerhin zwölf Songs in knappen 41 Minuten.

Goodbye, Revolution

Etliches 1a-Material der nie veröffentlichten Alben wurde dann zu B-Seiten, die viel zu wenig Aufmerksamkeit erfuhren. „Feel U Up“ erschien drei Jahre später auf der „Partyman“-Single, der Camille-Hype war da längst vorbei. Das terrorisierende „Shockadelica“, einst gar Vorabsingle-Anwärter, wurde „If I Was Your Girlfriend“ zur Seite gestellt. Die großen Epen von 1986, die Kunstfigur Camille? In Einzelteile zerfetzt.

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1986 ja musste ersteinmal „Parade“ bewältigt werden. Wenige Monate nach Platten-Veröffentlichung, dem begleitenden Kinofilm „Under The Cherrymoon“ sowie einer Tournee kam die Trennung von The Revolution. Wendy und Lisa wollten nicht mehr. Prince kam ihnen typischerweise (die Ehre!) zuvor und löste die Band auf, bevor sie Tatsachen schaffen konnte. Zum Ende des Jahres musste der 28-Jährige also beweisen, dass er es auch wieder alleine schaffen konnte, ohne die alte Truppe.

Aus heutiger Sicht unvorstellbar, dass für den Titelsong „Sign ‘O‘ The Times“ ursprünglich folgende Tracklist-Platzierung in der Triple-LP „Crystal Ball“ vorgesehen war: Seite 5, Song 4. Irgendwie also: eine Nummer von vielen, versteckt.

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Auf dem veröffentlichten Doppelalbum wurde das Stück dann zu Recht der Opener. Prince warf in „Sign ‘O‘ The Times“ alles hinein, was ihm zur Verfügung stand. Wie „Kiss“ ein Jahr zuvor erhielt das Lied einen nie für möglich gehaltenen, nie vorstellbaren Drummachine-Rhythmus. Genial, wie Prince mit „Oh Yeah“ das Lied schlicht, wie mit einem Understatement, einleitet, und dann singt – nein: erstmals rappt. Über Aids, Ghettos, Drogen, Gang-Gewalt, die Challenger-Katastrophe.

Als Womanzier warf Prince mit Superlativen um sich. Bei dringenden Themen aber, das geriet oft in den Hintergrund, wählte er eine reduzierte Sprache, eine, die die Dinge auf den Punkt bringt. Die Sprache des kleinen Mannes: „It’s silly, no? When a rocket ship explodes, and everybody still wants 2 fly.“

Mit Politik tat Prince sich bislang schwer, es war nicht wirklich seine Welt. Nun wurde er mit Marvin Gayes Anti-Vietnams-Liedern von „What’s Goin’ On“ (1971) verglichen, wenngleich Prince in den folgenden 16 Liedern nur wenig über den Zustand außerhalb seiner eigenen Welt singen würde. Er trug jetzt auch Brille. Das wirkte etwas doof, etwas zu gewollt „belesen“, aber seine Kostümierungen wechselten damals so schnell, dass man eigentlich nicht meckern sollte.

Die Mann-Frau

„Sign ‘O‘ The Times“ würde zumindest diejenige Platte sein, in der er Frauen aus verschiedenen Rollen heraus anspricht: als Antänzer („Hot Thing“), Beherrscher („It“), aber auch als Kind („Starfish and Coffee“), treuer Ehemann („Forever In My Life“), nicht zuletzt als Verlierer („Strange Relationship“) und Zweifler. „U could burn up my clothes, Smash up my ride“ skandiert er hochtrabend in „Adore“, um dann ganz schnell hinterherzuschieben: „well maybe not the ride!“. In „If I Was Your Girlfriend“ wurde Prince, ein Höhepunkt seiner Transgender-Fantasie, zur Mann-Frau. Kein anderer Star seines Kalibers hätte sich das 1987 getraut. Man hätte es aber wohl auch keinem abgenommen.

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„Sign ‘O‘ The Times“ gilt als Prince’ Meisterwerk, weil er darin eine Vielzahl von Stilen vereinte. Sie alle erschienen wie skelettiert, in Demo-Form, was sie greifbarer wirken ließ. Ein „Nur ich und mein Drumcomputer“-Gefühl, was Prince zuletzt auf „1999“ fünf Jahre zuvor zuließ. Wir hörten Prä-Grunge („The Cross“), Rockabilly, natürlich Funk, Soul („Slow Love“), und in „The Ballad Of Dorothy Parker“ eine kunstvolle Fusion aus Literatur-Anspielungen, Human-Beatbox-Küchengeräuschen und Joni-Mitchell-Zitat. Hier war wirklich so viel drin wie noch nie.

Gäbe es bloß kein WWW

Das Elend des Internet, mit seinem allen Menschen verfügbar gemachten Wissen anderer, entzaubert „Sign ‘O’ The Times“ leider ein wenig. 1987 noch wirkte das Doppelalbum mit den 16 in alle Richtungen ausstrahlenden Songs wie der so genannte „Befreiungsschlag“. Heute aber lässt sich nachlesen oder in Bootlegs hören, woher die Stücke stammen – und aus welchem Repertoire Prince dieses Meisterwerk zusammenstellte. „Strange Relationship“ und „I Could Never Take The Place Of Your Man“ etwa schrieb er bereits Anfang der 1980er.

Wenig bekannt war auch, dass Prince viele der Stücke mit den Revolution-Mitgliedern, die er bald entlassen sollte, komponierte. „The Cross“ etwa oder „Starfish and Coffee“. Verärgert sollen Wendy Melvoin und Lisa Coleman gewesen sein, die lange Zeit an „Strange Relationship“ und dem Arrangement der Sitar feilten – Prince entfernte das Instrument und machte daraus sein Solo-Stück.

Das Bild von Prince als Besieger, Ego-Genie, als einer, der schwierigste Umstände meisterte, als einer, der Songs aus dem Handgelenk schüttelte, stimmte für „Sign ‘O‘ The Times“ nur bedingt. Ein letzter Gruß an The Revolution immerhin war „It’s Gonna Be A Beautiful Night“, die erste (endlich!) von Prince auf einem Album veröffentlichte Live-Aufnahme, von 1986 aus dem Pariser Le Zenith. So kam auch die „Parade“-Tour, von der es bis heute keinen offiziellen Mitschnitt im Handel gibt, zu Ehren. Von allen nicht als Studioversion verfügbaren Stücken aus dem Prince-Universum ist „It’s Gonna Be A Beautiful Night“ vielleicht die beliebteste.

Die Demos waren gut genug

Natürlich machte er 1986 – Zoff mit The Revolution hin oder her – weiterhin täglich Musik. „Witness 4 The Prosecution“ nahm Prince einen Tag vor dem Split auf (der Song ist unveröffentlicht). Ein Triumph wurde der Funk-HipHop „Housequake“, einen Tag nach der Trennung eingespielt. Das war eine Ansage, und zwar an die Menschheit. Das Stück ist so wild, anarchistisch und dennoch so präzise, dass keiner es covern könnte, ohne sich lächerlich zu machen. Als Prince bei einem Mini-Gig im Paisley Park seine neue Band und die Songs vorstellte, warf er den Leuten sogleich dieses Stück vor die Füße – und gab mit den ersten Zeilen das Kommando vor, er bestimmte, wer das Sagen hat: „Shut Up! Already, Damn!“.

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Der Legende nach hat Prince, verärgert über die Diskussionen mit dem Label, dieses Album geradezu hingeschludert. Stimmt nicht. Wie seine Ingenieurin Susan Rogers nie müde wurde zu betonen, steckte er mehr Geld denn je in die Produktion. Aber Prince blickte neuartig auf seine Tonbänder. Wie nie zuvor oder danach würde er Fehler akzeptieren und in der Nichtperfektion gar Schönheit entdecken. Das Netz ist voll mit Anekdoten über Einstellungsfehler, die die Aufnahmen beeinflussten. Über den Schneesturm mit Stromausfall, der „The Ballad Of Dorothy Parker“ veränderte. Die daraus entstandenen Effekte – verzerrter, hinkender Gesang – ließ Prince einfach so. Und „Dorothy Parker“ sowie das gleichermaßen unfertig klingende „Forever In My Life“ zählen heute zu seinen beliebtesten Songs.

Die größte Ironie lag also darin, dass „Sign ‚‘O’ The Times“ global verehrt wurde, Prince aber bewusst freizügig, wenn nicht nachlässig mit der Musik umgegangen war. Es kündigte sich auch eine leichte Müdigkeit an. Für die vier Singles drehte er, die Bedeutung von MTV in den Spätachtzigern ignorierend, nur ein einziges richtiges Video, für „U Got The Look“.

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Den Clip zum Titelsong gab er aus der Hand, dieser bestand nur aus Schriftzügen (heute würde man Lyric-Video dazu sagen), und „I Could Never Take The Place Of Your Man“ wurde mit der Aufnahme aus dem „Sign ‘O‘ The Times“-Konzertfilm illustriert. Damit verweigerte Prince sich, rechnet man die letzten zwei „Parade“-Singles „Anotherloverholenyohead“ und „Girls and Boys“ (mit Material aus „Under The Cherrymoon“) aus dem Vorjahr mit dazu, nun schon für fünf Auskopplungen der Kamera. In der wichtigsten Ära des Musikfernsehens fast eine Unverschämtheit.

Europa ja, Amerika nein

Ein Jahr hat nur zwölf Monate, und innerhalb dieser nur zwölf Monate gelang es Prince in jedem Jahr der 1980er, 1983 ausgenommen, ein Album und Konzerte unterzubringen – immer neuer Sound, immer neues Image. Am 8. Mai des Jahres begann also die „Sign ‘O‘ The Times“-Tournee. Sie dauerte keine zwei Monate, umfasste aber 34 Auftritte. Die Amerikaner heulten vor Wut, denn Prince konzentrierte sich auf Europa, wo die Menschen ihn mittlerweile noch etwas mehr liebten.

„Oh-Wee-oh” sangen die Palast-Wachen im „Zauberer von Oz”, und auch Prince stimmte den Chor auf der Bühne immer wieder an: Es war die „Crystal Ball“-Fantasiewelt, überall Billboards voller Verlockungen, überall Plasmakugeln, die ihre Blitze verschossen. Eine Mischung aus Las Vegas, Harem und Hades. Sie gilt als beste Tour, die er je hinter sich brachte. Prince erkannte das und konzipierte einen Konzertfilm.

Man veröffentlicht Livemitschnitte vor allem fürs Heimkino, dieser Film aber wurde – im Rotterdamer „Ahoj“ sowie im Paisley Park – für die Leinwand gedreht. Im Rollenspiel griff Prince das „Sign ‘O’ The Times”-Album auf. Er war das Raubtier, das die Tänzerin Cat hinter Gittern erlegt („Hot Thing”), er war die unglückliche Mann-Frau, die Cat auf einem Spiegel in Herzform lieben darf („If I Was Your Girlfriend”), er war der Priester in Jeans-Jacke mit Peace-Button („The Cross”). Und er war der „Housequake”-Partykönig, dessen Bewegungen bis heute niemand imitieren kann.

Sein Publikum sprach Prince nur mit „Uptown” an, denn er war der Mann aus Downtown, der die Leute erobern wollte, der Rebell. Und erstmals sahen wir Prince auch als Drummer.

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Wer Bootlegs aus dieser Zeit hört, verliebt sich auch in die späteren Rehearsals von Songs, die Prince und seine Madhouse-Band nicht im regulären Set, sondern nur in den legendären Aftershows aufführen würden. „Strange Relationship“, „Dorothy Parker“, „U Got The Look“ … damit griffen die Musiker doch noch jeden Song der Platte auf. Ausgenommen „It“, kurioserweise dasjenige Lied, das die älteste Livepremiere auf dem Buckel hatte, damals als Rhythmus von „When Doves Cry“ auf der „Parade“-Tour. Die neuen Proben, in der Mitte des Jahres angegangen, legten nahe, dass Prince eine Amerika-Tour in Angriff nehmen wollte.

Alte Rivalität

1987 muss eine schlimme Zeit gewesen sein für den großen Rivalen von Prince, Michael Jackson. Zwar verkaufte sich „Sign ‘O’ The Times“ seit Erscheinen Ende März nur mäßig (zirka 1,5 Millionen Exemplare). Aber nicht zuletzt die fantastischen Kritiken, die Prince für Album und Tournee erhielt, sowie dessen Absage für ein Duett nagten an Jackson. „Bad“ würde im August erscheinen, Jacko blieb am Ball – doch der Gewinner schien längst fest zu stehen.

Es war Prince, der die Rivalität befeuerte, die nach Veröffentlichung von „Bad“, vor allem aber durch das erstmalige Ereignis einer gleichzeitigen Europa-Tournee 1988 (da war er mit „Lovesexy“ unterwegs), noch viel größer werden würde. Hoffentlich hatten beide Musiker das genossen. Damals konnten sie noch nicht wissen, dass sie zur Zeit ihrer nächsten nahezu parallelen Albumveröffentlichungen, „Dangerous“ bzw. „Diamonds and Pearls“, längst nicht mehr so wichtig sein würden. Es war 1991, das Jahr von Nirvana, Metallica, Guns N‘ Roses, R.E.M. und U2. Allesamt Musiker, die nicht mehr so wirken wollten, als seien sie einer Fantasie entsprungen.

Ende 1987 legte Prince „Sign ‘O‘ The Times“ zu den Akten, eine US-Tournee sollte nicht mehr stattfinden. Und er war wieder sauer. Kritiker, allen voran der Musiktheoretiker Nelson George, warfen ihm vor, nicht mehr „schwarz“ genug zu sein. Das konnte Prince nicht auf sich sitzen lassen. Er spielte sein „Black Album“ ein, das in den Folgejahren zum heiligen Gral jener vielen dann doch nicht veröffentlichten Alben werden sollte.

In letzter Minute, die ersten Platten waren bereits gepresst, zog er das „Black Album“ zurück. Viel Produktionsaufwand für Nichts. Die Partne von Warner Music fanden das bestimmt nicht so toll. Aber mit ihnen hatte Prince noch eine Rechnung offen. Diesmal wollten sie ja, aber er wollte eben nicht mehr.

Und der „Crystal Ball“ funkelte dazu, wo immer er auch war, bestimmt vergnügt.

BERTRAND GUAY AFP/Getty Images
Cineplex-Odeon Films