Reckon :: Emphatisch, furios: Collett besingt die Misere des kleinen Mannes
Was treibt eigentlich „Miss Canada“? Jason Collett vermutet, dass sie’s wohl schon zum nächsten mies bezahlten Job im Westen verweht hat, wo angeblich schwarzes Gold aus der Erde fließt (die es dabei ruiniert). „Miss Here She Was“, wie der Mann aus Toronto sie auf seinem sechsten Solowerk lieber nennt, wird so zur plakativen Symbolfigur einer auch im ganz hohen Norden allumfassenden Krise. Die bringen Collett und Howie Beck (produzierte schon „Idols In Exile“ und „Here’s To Being Here“) trotz allgegenwärtiger Streicher in oft knapper Form auch mal schön lässig zum Tanzen. Doch meist ist sie so unmerklich präsent wie schleichendes Gift im Blut.
Apropos: „There’s no blueblood in the kitchen, in the mines, in a soldier’s coffin comin home from the front lines“, singt Collett und empfiehlt – abgeklärt und emphatisch zugleich – „Don’t Let The Truth Get To You“, während Slide-Licks sein Fingerpicking umspielen. Ähnlich bringt „Talk Radio“ die Misere des kleinen Mannes in sieben Zeilen stoisch nach Hause, wo in „Ask No Questions“ aber auch nur die Lüge des untreuen Gatten wartet. Wenn er (ganz) anders kann, schmückt Collett sein nicht mal zweiminütiges „Black Diamond Girl“ mit subtilem Afro-Echo, bekennt zu pulsierendem Ska-Pop „I Wanna Rob A Bank“, und das Paarungsszenario „You’re Not The One And Only Lonely One“ kann man sich prima in einem längeren Dance-Mix (Maxi-Single!) vorstellen. Agit-Prop, it ain’t. „My Daddy Was A Rock n‘ Roller“ (ein Remake in eigener Sache) klingt dann bis in den Gesang hinein wie ein verschollen geglaubtes Ian-Hunter-Juwel, ein Abgesang mit furioser Pointe. „He never kissed no ass unless it was my mother’s“, schließt Collett.
Schöner Service für Novizen: „Reckon“ kommt mit einem „11 Essential Cuts“-Best-of aus früheren Werken als Beilage ohne Aufpreis. (Arts & Crafts/Rough Trade) Jörg Feyer