Soul Coughing – Irresistible Bliss
Soul Coughing lieben Filme aus Hongkong. Wenn sie nachts nicht müde genug sind, um die Heimreise von Manhattan in ihre Neighbourhood in Brooklyn anzutreten, schauen sie sich noch einen Action-Streifen von John Woo oder Tsui Hark in Chinatown an. Was das mit ihrer Musik zu tun hat, fragen Sie? Ganz einfach: Soul Coughing wissen, wie wichtig ein spektakulärer Anfang ist. Am besten, die Bombe geht gleich im Vorspann los. Oder anders formuliert: Dem Hörer brettert schon im ersten Song ein Flugzeug an den Kopf.
„A man drives his plane into the Chrysler Building“, sang M. Doughty 1994 mit angespannter Stimme zu Beginn des Soul Coughing-Debüt-Albums „Ruby Vroom“. „Irresistible Bliss“, das Nachfolgewerk, stößt den Zuhörer förmlich zur Seite und beginnt mit der energischen Aufforderung: „Move up to the side and let the man go through.“ Dabei erinnert der nervöse Beat an einen Flummi, der zwischen Decke und Fußboden hin und her zwirbelt „Super Bon Bon“ lautet denn auch der phonentisch passende Titel. Luftholen, Popcorn kaufen und Pinkeln sollte man bei Soul Coughing, bevor der Vorhang aufgeht.
Ihrer Vorliebe für krasse Anfange sind die vier New Yorker also mit dem zweiten Album treu geblieben, ansonsten hat sich bei ihnen alles geändert. Wen wundert das bei einer Band, die mit der Anspannung eines Schlaflosen musiziert. Soul Coughing spielen noch immer einen idiosynkratischen Stil – nenn ihn Blues-Hop, Sampledelic oder Swingin‘ Noise. Doch der Focus hat sich bei ihrem zweiten Album merklich verschoben. Mit ihrem Debüt starteten sie ein weitreichendes Unternehmen, erzählten von den großen Mythen Amerikas; jetzt verengen sie den Blickwinkel und richten ihn auf das siechende Individuum: vom kollektiven Traum zu Klaustrophobie und Trauma.
Große Worte? Nun ja, hören wir noch einmal in ihr Debüt „Ruby Vroom“ hinein: Songwriter M. Doughty, Pulp-Fan und Beat-Poet, weiß um die Konnotationen von Namen. Städte, Straßen, Brücken, Bauten – die Geschichte der USA wird hier noch einmal über schillernd klingelnde Namen aufgerollt. Der notgeile Drehbuchautor fährt an den legendären Studios vorbei, die Williamsburg Bridge gibt den Blick auf Hochhaushaufen New York frei und – aber das wissen Sie ja schon – ein Mann steuert sein Flugzeug ins Chrysler Building. Die Auflistung ließe sich endlos fortsetzen. Aus dem Sample-Keyboard purzeln dazu passenderweise viele Dekaden Musikgeschichte: Die Andrew Sisters und Howlin‘ Wolf, Melodien des Cartoon-Komponisten Raymond Scott und allerlei industrielles Gelärme. Ein Moloch aus Musik.
Nur ein Stück will da irgendwie nicht hineinpassen: Für ,“Janine“ singt eine Frau mit brüchiger Stimme ein Lied durchs Telefon sehr privat, ein bißchen verzweifelt und verrückt. Es steht am Ende der Platte und entpuppt sich rückblickend als Vorgeschmack auf „Irresistible Bliss“, das neue Album. Denn hier geht es zum Großteil um das Leben am Draht. Kommunikation findet nur durchs Telefon statt, wenn überhaupt.
Die Charaktere leben in einem seltsam virtuellen Raum, in dem es kaum Bezüge zur Außenwelt gibt. Auch hier korrespondiert die Sample-Arbeit M’ark De Gli Antonis aufs beste mit dem Thema: Denn welche Quellen er anzapft, weiß er meist selbst nicht mehr. Der Sound-Weirdo greift aus einem Pool von gespeicherten Tönen, die oft schon mehrmals verfremdet worden sind. So wendet sich das Spiel mit den Referenzen ins Selbstreferentielle. Und die Helden von M. Doughty hängen, wie in „Soft Serve“, am Payphone und denken: „Nothing to do but stress words in the dirt“
Soul Coughing nennen „Irresistible Bliss“ ihr „Pop-Album“. Das setzt ein sehr offenes Pop-Verständnis voraus. Sicher, Sebastian Steinberg verkrümelt sich am Standbaß nicht mehr in Jazz-Gefilde, Drummer Yuval Gabay hat seinem Hip-Hop-Beat die Kanten genommen, und die Songs bleiben meist im klassischen Drei-Minuten-Rahmen. Außerdem haben Soul Coughing in JDisseminated“, das einzige Stück mit Sample-Credits, noch einmal die lustig überdrehte Cartoon-Musik von Raymond Scott aufgegriffen – logischerweise stammt die Nummer aus ganz frühen Tagen. Die psychotisch leiernden Streicher in „Lazybones“ – Bernhard Hermann auf Crack – und die enervierenden Industriegeräusche in „Super Bon Bon“ dürften hingegen im Format-Radio wenig Chancen haben.
Zu harsch auch bleibt die Intonation vom weißen Rapper M. Doughty. „White girl! White girl!“ mault er im gleichnamigen Song in Erinnerung an eine Verflossene – selbstredend geht es auf dem AIbum fast nur um Verflossene. Und um die Einsamkeit. Das letzte Stück stellt die Frage „How Many Cans?“, und die Antwort muß lauten: Gibt gar nicht genug Bier auf der Welt, um dein Mädchen zu vergessen. „Sleepless“ markiert den Ruhepunkt dieser nervösen Platte. Der Rhythmus ist in mittlerer Herzfrequenz gehalten, den verhaltenen Sound hat man sich folgendermaßen vorzustellen: Im tiefsten Schwimmbad der Stadt mit herausgelassener Luft auf dem Grund des Beckens liegen und die anderen über sich hinwegschwimmen lassen. Dann schlägt das Herz nur für sich.
Natürlich handelt „Irrisistible Bliss “ nicht vom unwiderstehlichen Glück, sondern nur vom Widerstehen. Also von der Isolation. Daß das Album nebenbei gut rockt, nennen wir mal ausgleichende Gerechtigkeit.