The Rolling Stones – Love You Live; Still Live; Flashpoint; Stripped; Live Licks :: Ein Packen mit Remaster-Versionen von Stones-Live-Alben
Zu Scherzen war Mick Jagger nach dem Altamont-Fiasko (von den Maysles-Brüdern auf „Gimme Shelter“ dokumentiert und kürzlich vom 16mm-Material neuerlich restauriert auf DVD und in Blu-Ray-Version wiederveröffentlicht) anscheinend nicht mehr aufgelegt. Beim Auftritt im Madison Square Garden flirtete er Ende November 1969 noch mit allen stray cat girls im Publikum kokett mit der Bemerkung: „I think I bust a button on mah trousers, hope they don’t fall down… you don’t want mah trousers to fall down, now do you?“
Während der von Robert Frank in dem Film „Cocksucker Blues“ dokumentierten US-Tournee von 1972 verkniff er sich derlei Scherze. Einen offiziellen Live-Mitschnitt von dieser und auch von der Europa-Tournee, in deren Verlauf die Rolling Stones im Herbst 1973 zu absoluter Höchstform aufliefen, gab es leider nie. Erst vier Jahre später zog man einen solchen – dann allerdings nach dem spektakulären Erfolg von Peter Frampton auch gleich eine Doppel-LP – wieder in Erwägung. Das aus sechs Konzerten der Tournee von 1975/76 und einem Auftritt im El Mocambo in Toronto montierte Album entzückte Kritiker dann doch deutlich weniger als die Fans. Bis heute aus unerfindlichen Gründen grotesk unterbewertet, präsentierte „Love You Live“ unter anderem eine überragende Deutung von „Sympathy For The Devil“, die trotz Abwesenheit des virtuosen Spiels von Mick Taylor seinerzeit an die absolut brillanten Versionen von 1973 anknüpfte.
Noch weit harschere Kritiker-Schmäh verhinderte nicht, dass das knapp fünf Jahre später erschienene „Still Life“ (1,5) zur erfolgreichsten Live-LP überhaupt für die Band avancierte. Aus der rund 30 Songs umfassenden Set-List der Tournee, von Hal Ashby in dem Film „Rocks Off“ dokumentiert, wählte man nur ganze zwölf Songs aus, bei denen sich die Rolling Stones an Rock’n’Roll-Klassiker (Eddie Cochrans „Twenty Flight Rock“) wagten und bei denen Kritiker Robert Christgau zu ihren Cover-Versionen von Motown-Klassikern nur noch der Begriff „disgraceful“ einfiel („…primarily because of Mick, who has progressed from aging self-parody to old roue“).
In der Form konnten die Stones bei dem während der „Steel Wheels“-Tournee mitgeschnittenen „Flashpoint“ (2,5) und dem spektakulären „Live At The Max'“-Video nicht noch einmal präsentieren. Allerdings hatte hier so etwas wie das Blues-Intermezzo mit Willie Dixons „Little Red Rooster“ trotz der Präsenz von Eric Clapton bei weitem nicht die Klasse von El Mocambo. Nach den vielen, unter anderem als 3-CD-Set erschienenen Bootlegs dieser Tournee warb man für den eigenen Mitschnitt mit Zugaben, nämlich mit „Highwire“ und „Sex Drive“ in brandneuen und hier exklusiven Studioaufnahmen!
„Stripped“(3,5) fiel 1995 insofern angenehm aus dem zur Routine gewordenen Stadion-Rock-Rahmen, als es bei Club-Auftritten und Proben musizierte Aufnahmen präsentierte, noch dazu in der Setlist weniger abgenutztes Songmaterial wie „Shine A Light“, „Let It Bleed“ und „Wild Horses“. Einmal im Club vor so fanatischem wie anspruchsvollem Publikum, lief die Band dann doch gelegentlich wieder zu ganz großer Form auf. Um so bedauerlicher darum, dass unter den remastered neu vorgelegten Live-Platten ausgerechnet „No Security“ fehlt. Denn von vielen dieser Songs gab es nie zuvor Live-Mitschnitte der Band. Oder sagen wir mal so: keine offiziellen!
Unter dem Gesichtspunkt ist die zweite CD des „Live Licks“-Sets (4) denn auch die bemerkenswertere, weil hier Klassiker wie „Monkey Man“ oder „Rocks Off in famosen konzertanten Deutungen auftauchen und „Can’t You Hear Me Knocking“ in einer süperben Zehn-Minuten-Fassung. Der Gastauftritt von Solomon Burke (bei „Everybody Needs Somebody To Love“) war zwar nicht annähernd so denkwürdig wie später der von Buddy Guy im Beacon Theater in Scorseses „Shine A Lighf-Film, aber eine rührende Hommage allemal.
Beim Remastering beschränkte man sich im Übrigen hier mal nicht auf das eine oder andere Dezibel mehr Überspielpegel, das geriet ganz ordentlich.