ROLLING STONE präsentiert Glam!

Alle, die in den frühen Siebzigern dabei waren, erinnern sich noch, wenn auch mit sanftem Grausen: an die androgyn gestuften Koboldhaarschnitte, die lächerlichen Plateaustiefel, die buchstäblich atemberaubenden Jeans- unten grotesk weit, oben brutal eng. So sehr, dass die männlichen Geschlechtsteile hervortraten wie bei einem Relief. Ganz offensichtlich ging es um Sex, aber der Frontverlauf war längst nicht mehr so klar wie noch in den Sechzigern. Glam -oder Glam-Rock, wie manche sagten -war keine musikalische Bewegung. Dafür hatten Protagonisten wie Slade, David Bowie, Alice Cooper, Roxy Music oder die New York Dolls viel zu wenig gemeinsam. Das Rad des Rock wurde zwischen 1971 und 1974 nicht neu erfunden, sondern lediglich neu zusammengesetzt. Oft als hyperventilierende Collage -wie das rasante, mit Zitaten vollgestopfte Frühwerk von Roxy Music. Glam war die Geburt der Postmoderne im Pop. Mit Vollbart und ehrlichen Liedern konnte man dem Barkeeper der Korova-Milchbar jetzt

nicht mehr kommen, die Rock Dreams glitzerten mehr denn je. In seinem manierierten Interesse an Illusionismus und Metafiktion widersprach Glam jedwedem Anspruch auf künstlerische Authentizität: Bowie in Frauenkleidern, Reed im Lederschwulen-Outfit und Marc Bolan als kosmischer Glitzerengel mit Sternenstaub im Haar. Es war eine Zeit der maßlosen ästhetischen Übertreibung. Die Grenzen zwischen Kunst, Mode, Design, Musik -und nicht zuletzt den Geschlechtern – lösten sich zunehmend auf. Die Avantgarde fand ab jetzt in der Disco statt.

Die von ROLLING STONE präsentierte Ausstellung „Glam! The Performance of Style“ zeigt ab dem 14. Juni in der Frankfurter Kunsthalle Schirn einen großartigen Überblick über die britische und amerikanische Glam-Ära. Der Katalog der von der Tate Liverpool kuratierten Show zitiert zur Einstimmung einen überraschend treffenden Satz aus Herman Hesses 50 Jahre früher entstandenem „Steppenwolf“:“Die eine Hälfte der Musik, die lyrische, war schmalzig, überzuckert und troff von Sentimentalität, die andere Hälfte war wild, launisch und kraftvoll.“ Schöner kann man die Essenz von Glitter-Rock nicht auf den Punkt bringen. Es sei denn, man

heißt Bryan Ferry (Foto oben links) und trägt zum Swimming Pool einen weißen Tuxedo: „Above all, Roxy Music is a state of mind: Hollywood movies meets English Art School with a little Schopenhauer thrown in, both in the lyrics I write and the way we look I am, you might say, a collagiste.“

Als Student bei Richard Hamilton, einem der großen europäischen Pop-Künstler, ist Bryan Ferry der Inbegriff des Kunstproduktes Glam. Hamilton propagierte mit seiner Pinnwand-Ästhetik die Gleichberechtigung aller Kunst. Roxy Music handelten danach und verschmolzen den verruchten Glamour des Film noir mit grellen Experimenten, schwülem Fifties-Rock’n’Roll und der Haltung des Camp.

Ein Schwerpunkt von „Glam!“ liegt – neben Arbeiten von Künstlern wie Hamilton, Gilbert & George oder David Hockney – auf Modedesignern wie Antony Price und Ossie Clark und ihren schwelgerischen Entwürfen. Ganz wunderbar ist auch Bruce McLeans „Nice Style: The Art of Pose“ von 1971. Die „erste aller Poser-Bands“ hat sich komplett den „Aspekten der Performance und der Suche nach der perfekten Pose verschrieben“. Die Fotos sind zeitlos, denn die „Performance of Style“ ist längst ein essenzieller Bestandteil unserer Kultur.

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