Visionen vom Exzess

Das zentrale Thema der Menschheit: Sex hat unzählige Gesichter, Formen, Gefühle, Rhythmen – und obgleich schon vieles erforscht wurde, immer mehr darüber geredet oder gesungen wird, so bleibt doch etliches im dunkeln. Vom sexuellen Erleben handelt „Pure“, das neue Album der Golden Palominos. Anton Fier, Gründer und Produzent der New brker Musiker-Kooperative, ist sich im klaren darüber, daß andere Musiker in ähnliche Bereiche vordringen möchten. „Ich könnte mir auch vorstellen, daß Madonna mit ,Erotica‘ ähnliche Fragen anreißen wollte allerdings kam sie dabei trotzdem über bloßes Entertainment nicht hinaus.“

Weiß wie ein Tropfen Muttermilch sitzt der Titel auf dem Cover neben dem blutroten Profil einer weiblichen Brust: „Pure“ nährt existentielle Gedanken. „Sexualität und Spiritualität sind eng verwandt; in allen Kulturen haben die Menschen versucht, ihre animalischen Instinkte innerhalb des sexuellen Aktes zu transzendieren“, erläutert Fier. „Ziel war es, ein musikalisches Gleichgewicht zwischen männlicher Energie, dem Rhythmus, und weiblicher Energie, der Stimme, zu schaffen. Ich empfinde die weibliche Energie als stärker und schöpferischer als die männliche. Die Antwort liegt in der Ausgewogenheit; ich versuche das in der Musik zu reflektieren.“

Seit ihrer Gründung vor zwölf Jahren waren die Golden Palominos „immer eher eine Art Workshop oder Diskussionsrunde auf musikalischer Ebene, bei der es auch um den Schaffensprozeß mit Musikern aus anderen Bereichen geht, um das gemeinsame Experimentieren“. Anton Fier wählte auf der Suche nach größerer künstlerischer Freiheit den Selbstversuch: Für „Visions Of Excess“, der nach einem Buch von Georges Bataille benannten Palominos-Platte, machte er 1985 Bekanntschaft mit Alkohol. Seine fortschreitende Sucht dokumentieren Alben wie „Blast Of Siknce“, ^i DeadHorse“ -Stadien des allmählichen Verfalls, „düster und pessimistisch wie mein damaliger Geisteszustand“. Hätten in der Vergangenheit nicht so exzellente Musiker wie Fred Frith oder John Zorn zu ihm gehalten und ihn gefordert „ich hätte mich vermutlich selbst zerstört“. Den Wendepunkt markierte 1991 das Album „Drunk With Passion“, das mit der Sängerin Amanda Kramer erstmals dem weiblichen Prinzip mehr Raum gibt Drei Jahre später hat Fier seine Alkoholabhängigkeit überwunden. Die Frage nach „Sexual Healing“ bleibt unbeantwortet Die geistige und weibliche Kraft bei „.Pk»«“ vertritt die Sängerin und Komponistin Lori Carson. In den neun sinnlichen Szenarios macht sie subtile emotionale Schattierungen nachvollziehbar. Treibende Dancefloor-, träge Funk- und hypnotische Trance-Grooves entfalten dabei einen Sog. „Ich war immer an Musik ab Zugang zu einer anderen Dimension interessiert – was ja auch den Reiz von Ambient- oder Techno-Platten ausmacht. Die meisten Menschen suchen nach anderen Erfahrungen, manche probieren es mit Drogen. Dabei macht jede Form von Kunst diese Erfahrungen möglich, wenn man sich nur darauf einläßt.“

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