Weihnachtsgeschenke: Die besten Reissues und Boxsets 2016

Bowie, Sting, Dylan, Reed, Elvis und viele mehr – Sie lieferten die wichtigsten Boxsets und Reissues 2016.

The Who – My Generation

Das furiose Debütalbum, ergänzt um viele fabelhafte Raritäten

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Mit den High Numbers hatten die Herren Lambert und Stamp eine vielversprechende Nachwuchsband für ihren im Nouvelle-Vague-Stil geplanten Film über die Londoner Subkulturszene gefunden. Den Amerikaner Shel Talmy wählten sie als potenziellen Hit-Produzenten aus. Als das in The Who umbenannte Quartett am selben Dezembertag des Jahres 1965 wie die Beatles „Rubber Soul“ ihre Debüt-LP vorlegte und damit umgehend Platz fünf der englischen Hitparade erreichte, war das eine ausgesprochen schwere Geburt gewesen.

Anders als die Beatles zuvor benötigten die Who viele Monate für die Aufnahmen zu ihrer ersten LP. Im Lauf von Jahrzehnten veröffentlichte Pete Townshend immer weitere Outtakes aus den Anfängen – 2002 in der Deluxe-Edition von „My Gene­ration“ 16, für die definitive Boxset-Version jetzt 44, darunter Alternativ-Takes, mehrere Songs in ungekürzten Stereo-Mixes und fabelhafte Raritäten wie die bluesige Langfassung von „I’m A Man“ – mit der jazzigen Instrumental-Coda die ungleich hochkarätigere Interpretation als das für die LP verwendete Take. Eine Rarität ist unter den Mono-­Mixes der dritten CD auch die Version des Bo-Diddley-Songs mit anderer Gesangsspur. Die meisten liegen schon länger veröffentlicht vor, auch das Album im ursprünglichen Mono-Mix wurde hier unverändert übernommen.

Privatarchiv auf CD 5

Ein Trauerspiel sind die von Bob Pridden und Richard Whittaker für diese luxuriös ausgestattete Box neu erstellten Stereo-Mixes auf der zweiten CD. Die klingen im Vergleich zu den 2002 von Shel Talmy angefertigten Remixes so matt und grottig, dass man sich fragt, wer die für diese akustische Komplett­dokumentation der ersten Jahre freigab. Wie schwer aller Anfang war, hört man bei den elf Demos aus dem Privatarchiv von ­Towns­hend auf CD 5, daheim aufgenommen und alle schon typisch für seine über „Maximum Rhythm’n’Blues“ hinausgehenden Ambitionen. Das amüsante „The Girls I Could’ve Had“ und das alles andere als üble „My Own ­Love“ schafften es nie auf ein Who-Album.

(Polydor) Franz Schöler

The Band – The Last Waltz

Joni Mitchell, Neil Young, Dr. John, Bob Dylan, Eric Clapton und Van Morrison bei dem legendären Abschiedskonzert

Vor 40 Jahren sagte Robbie Robertson vor der Kamera von Martin Scorsese: „Wir waren 16 Jahre unterwegs. Ich kann mir 20 Jahre nicht vorstellen. Ich könnte es nicht einmal diskutieren.“ In der Nacht zum Thanksgiving Day, am 25. November 1976, verabschiedete sich The Band im Winterland in San Francisco. Sie sahen immer aus wie Bürgerkriegsveteranen – und der Bürgerkrieg, den sie überstanden, waren die 60er-Jahre. Sie kamen aus Kanada und traten mit Ronnie Hawkins auf, sie gingen nach Kalifornien, sie spielten in Fort Worth/Texas in Jack Rubys Club, sie trafen Sonny Boy Williamson, der Mundharmonika und Gitarre spielte und Blut in einen Napf spuckte, sie kamen nach New York und sahen die Tin Pan Alley mit all den großen Songschreibern, Leiber/Stoller, Doc Pomus, Carole King, und dann wurden sie die Band von Bob Dylan, und nebenbei nahmen sie einige der besten Americana-Platten überhaupt auf.

Sie waren also die Band.

Jetzt, bei ihrem letzten Walzer, haben sie tränende Augen und tiefe Augenringe von den Drogen, sie rauchen, als würden sie das Leben aus dem Tabak ziehen, und Richard Manuel, hohlwangig und bärtig, sieht aus wie der Tod. Neil Young singt „Helpless“ und hat vergessen, sich die Kokainspuren von der Nase zu wischen, was später umfangreiche Retuschen nötig macht und den Film verzögert. Dr. John am Piano ist aufgeräumt und fantastisch. Eric Clapton gniedelt „Further On Up The Road“, Neil Diamond singt mit großer Sonnenbrille und blauem Anzug sonor und unbeirrt „Dry Your Eyes“ – Robertson hatte sein Album „Beautiful Noise“ produziert.

Königin Mitchell

Dann kommt Joni Mitchell, die bei „Helpless“ schon im Hintergrund gesungen hat. Sie streicht Robertson wie miteidig über das verschwitzte Gesicht, sie weiß, dass er bekokst ist. Sie ist die Königin, die mit den Jungs spielen darf, wie immer. Ihr „Coyote“ degradiert alles andere zu Bluesliedern.

Aber Van Morrison ist Van Morrison, er bläst mit „Caravan“ alles weg, und niemand schlägt Bob Dylan und The Band, wenn sie „­Baby, Let Me Follow You Down“ und „I Don’t Believe You“ spielen. Das Finale ist „I Shall Be Released“, alle singen mit, Ringo Starr sitzt an einem Schlagzeug an der Bühnenseite.

Vor 15 Jahren gab es eine Box mit vier CDs. Jetzt gibt es all das, die Proben und Zugaben, und den Film auch. Richard Manuel, Rick Danko und Levon Helm leben nicht mehr. Aber der letzte Walzer spielt noch immer, und ein Paar tanzt dazu ewig, umschlungen und versunken, am Thanksgiving Day 1976.

(Warner) Arne Willander

John Cale – Fragments Of A Rainy Season

Der Konzertmitschnitt von 1992 wurde um acht Stücke erweitert

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Heute singt auch der Weihnachtsmann „Hallelujah“ – aber es war John ­Cale, der das Stück im Konzert sang, als es nur eine Ballade von Leo­nard Cohen war. 1992 erschien das Live-Album „Fragments Of A Rainy Season“ – John Cale am Klavier: „Dying On The ­Vine“ und „(I Keep A) ­Close Watch“ und „Cordoba“ und „Paris 1919“, deren Intensität in den Klavierfassungen noch stärker brennt.

John Cale poltert hier fast nie, er gibt nicht den Wüterich und nicht den Bratschenmann. Als Deuter ist der Romantiker noch genialischer denn als Songschreiber: Seine damals schon berühmte Version von „Heartbreak Hotel“ verwandelt den Song in das Verzweiflungslied, das es immer schon war.

Jetzt gibt es acht Stücke, die auf dem Album bisher nicht enthalten waren, darunter eine wüste Fassung von „I’m Waiting For The Man“, einige Songs mit Streichern, einige mit Gitarre – und das glühende, sehnsüchtige „Amsterdam“. Die Reihenfolge des Vortrags wurde geändert: Am Anfang steht nun die Dylan-Thomas-Triole von „Words For The Dying“.  Ist nun eine Doppel-­CD.

(Domino) Arne Willander

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