Weihnachtsgeschenke: Die besten Reissues und Boxsets 2016

Bowie, Sting, Dylan, Reed, Elvis und viele mehr – Sie lieferten die wichtigsten Boxsets und Reissues 2016.

Pink Floyd – The Piper At The Gates Of Dawn

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Bei der erneuten, die steigende Nachfrage befriedigenden Vinyl­werdung ganzer Backkataloge geht man gern den Weg der Komplettboxen. Das gefällt dem saturierten Fan, weil so eine opulent ausgestattete Kiste im Regal etwas hermacht. Und die Plattenfirma profitiert davon, dass mit dem Weizen auch angefallene Spreu verhökert werden kann. Bei der Floyd-Wiederverwertung verzichtet man dankenswerterweise auf den Zwang zum Gesamtkonvolut, macht mithin individuelle Kaufentscheidungen möglich.

Erfreulich ist auch, dass man sich erkenntlich große Mühe in Sachen Mastering und Herstellung gab, auch wenn die Originalpressungen im Zweifel mehr Punch haben und die Cover-Flipbacks nur Fake sind. Bis zum Ende des Jahres sollen alle Floyd-LPs wieder auf Schallplatte vorliegen, in chronologischer Abfolge.

Phase der Transformation

The Pink Floyd nannten sich die Underground-Psychedeliker noch auf ihren frühen Singles, ihre Debüt-LP fächerte den ursprünglich monolithischen Sound auf und färbte ihn kaleidoskopisch. „The Piper At The Gates Of Dawn“ war 1967 noch ganz Syd Barretts Baby, schillernd und mehr als nur ein bisschen weird. „A ­Saucerful Of Secrets“ im Folgejahr bestand noch vornehmlich aus Barrett-Vorlagen, doch hatte der sich innerlich bereits davongemacht. Sein Surrea­lismus hing noch über den Sessions, seine naive Poesie sprach noch aus den Songs, doch gab sich nun elegisch und spacy, was zuvor verschrobener Pop war.

David Gilmour ersetzte Barrett, Roger Waters übernahm die Rolle des maßgeblichen Komponisten, die Band befand sich in einer Phase der Transformation. „More“ erschien im Sommer 1969, war kein reguläres Album, sondern lediglich der Soundtrack zu einem belanglosen Film, zweckgebunden also, in dieser seiner Funktion aber durchaus kongenial.

Mit „Ummagumma“  gelang Pink Floyd Ende desselben Jahres ein beachtlicher Spagat: Die Doppel-LP wuchert mit einer Live-Hälfte von hypnotischer Wucht, verzettelt sich indes auf der Studiohälfte mit ab­strusen Soundspielereien. Alle vier Bandmitglieder dürfen ihre Fantasien ausleben, nur partiell hörenswert freilich, es sei denn, man möchte einer Fliege lauschen, die zwischen den Kanälen herumsurrt, trefflich den Stereoeffekt demonstrierend.

(Pink Floyd/Warner) Wolfgang Doebeling

John Coltrane – The Atlantic Years In Mono

Meisterwerke und interessante Übergangsalben des Jazzmeisters

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Die Jahre bei Atlantic Records, von 1959 bis 1961, waren die entscheidenden für John Coltrane. In dieser Zeit nahm er seine ersten durchweg überzeugenden Alben auf, stieg aus dem Miles Davis Quintet aus und reifte zum Bandleader seines neu formierten Quartetts mit McCoy Tyner am Klavier, Jimmy Garrison am Bass und dem genialischen Schlagzeuger Elvin Jones. Eine Entwicklung, die man auf „The Atlantic Years In Mono“ allerdings nur bedingt nachvollziehen kann, denn die Mono-Masters vom ersten Meisterwerk des Quartetts, „My Favorite Things“ von 1961, und dem bei denselben Sessions entstandenen, erst drei Jahre später veröffentlichten „Coltrane’s Sound“ wurden ebenso wie die vom zweiten Atlantic-Album, „Coltrane Jazz“, bei einem Brand zerstört.

Diese Werke sind also in ihrer ursprünglichen Form – denn das war jeweils die Mono-­Fassung – nicht mehr rekonstruierbar. Eine Tragödie, die angesichts des überwältigenden Klangs des verbleibenden, in diesem Boxset repräsentierten Atlantic-Katalogs noch schwerer wiegt.

Modalmagie

Essenziell sind hier vor allem drei Alben: Coltranes Labeldebüt mit dem Vibrafonisten Milt Jackson, „Bags & Trane“, der Nachfolger, „Giant Steps“, auf dem die Rhythmussektion des damaligen Miles Davis Quintets zu hören ist, und das letzte Atlantic-Album, „Olé Coltrane“, für das der Saxofonist sein Quartett um den Bassisten Art Davis, den Trompeter Freddie Hubbard und vor allem den Klarinettisten und Saxofonisten Eric Dolphy erweitert hat. Die übrigen drei hier enthaltenen Alben sind eher wegen einzelner Tracks interessant.

Auf „Coltrane Plays The Blues“ entwickelt das Quartett vor allem in „Mr. Knight“ einen unwiderstehlichen Groove, und das trotz seines Titels eher zahme „The Avant-­Garde“ ist spannend, weil Coltrane auf „The Blessing“ erstmals bei einer Aufnahmesession Sopransaxo­fon spielt – das Instrument, auf dem sich der Zauber der Coltraneschen Modalmagie wenige Monate später etwa auf dem Titeltrack von „My Favorite Things“ voll entfalten sollte.

(Rhino) Maik Brüggemeyer

Kris Kristofferson – The Complete Monument & Columbia Album Collection

Zum 80. Geburtstag: eine Box mit allen Studio-Alben bis 1981, drei Live-Alben und zwei CDs mit Raritäten und Demos

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Von Kris Kristofferson wie von allen großen Songschreibern lässt sich sagen, dass er ein amerikanisches Leben führte und eines, das nur in Amerika möglich war. Er studierte Literatur, er war Lehrer, Journalist und beim Militär, er flog Hubschrauber zu den Bohrinseln im Golf von Mexiko, er war Musiker, Schauspieler, Hallodri, Liberaler, Sinéad-O’Connor-Beschützer. Seine Frau, Lisa, sagt, dass sein Spitzname in den 70er-Jahren „Kris Pissed-off-erson“ war. Er ist 80 Jahre alt.

Amerikaner nennen solche Männer „Outlaw“, vor allem wenn sie  Country Music machen. Kristofferson schreibt solche Songs, und auf seinem ersten Album, „Kristofferson“ von 1970, sind neben etwas schwülstigen Balladen und Vaudeville-Stücken, manchmal in der Nähe der leichteren Songs von Townes Van Zandt, ja von Scott Walker, drei seiner besten und berühmtesten Lieder: „Me And Bobby McGee“, „Help Me Make It Through The Night“ und „Sunday Mornin’ Comin’ Down“. Er hatte praktisch alles gesagt. Auf „The Silver Tongued Devil And I“ (1971) sagte er in „The Pilgrim – Chapter 33“, „The Taker“ und „Loving Her Was Easier“ noch mehr.

Besuch im Pornokino

Er hätte ein richtiger Star werden müssen, er nahm Platten mit Rita Coolidge auf und spielte mit Barbra Streisand in „A Star Is Born“ und in Sam Peckinpahs „Convoy“. Dann kam Michael Ciminos Einwanderer-Epos „Heaven’s Gate“, die Apotheose des ruhigen, schweigsamen Typen, der die Schlacht überlebt und den Krieg auch, der Film war wunderschön, aber er lebte nicht, und Kris­tofferson spielte keine Hauptrollen mehr, aber sehr viele Nebenrollen.

Diese Box endet ungefähr zu der Zeit: mit dem Album „To The ­Bone“, 1981. Kristoffersons Zeit waren die 70er-Jahre, als der sogenannte Rebell die einzig gültige männliche Ausprägung war. In „Taxi Driver“ (1976) schenkt Robert De Niro, der Kristofferson nicht kennt, Cybill Shepherd eine Platte von ihm, denn sie hatte ihn mit Kristoffersons gemeißelter Wendung „a walking contradiction, partly truth and partly fiction“ beschrieben. Nach einem Besuch im Pornokino gibt sie ihm das Album wütend zurück: Sie hat es sowieso schon.

Abgesehen von den Schallplatten-Monumenten der Americana enthält die Box drei Live-Alben (von 1970, 1972 und 1992), dazu eine CD mit „Extras“ (darunter Songs mit Dolly Parton, Brenda Lee und ­Willie Nelson) und eine CD mit Demos. Ein amerikanisches Kultur-Erbe.

­(Sony) Arne Willander

Nina Simone – The Philips Years

Eine Box mit sieben Mittsechziger-Platten der großartigen Sängerin

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Sie wollte die erste schwarze Konzertpianistin werden, doch man ließ sie nicht studieren. Stattdessen spielte Eunice Kathleen Waymon als Nina Simone in den Nachtclubs von Atlantic City und wurde eine der besten Sängerinnen aller Zeiten. Ihr verrauchter, zärtlicher, intensiver Alt ist ein gänsehautproduzierendes Wunder. Und ihr Anschlag am Piano hat die Energie eines Sprintweltmeisters. Dennoch war Nina Simone fast vergessen, als ein Chanel-­Werbeclip „My Baby Just Cares For Me“ 1987 weltweit in die Charts katapultierte.

Zu diesem Zeitpunkt litt sie längst unter einer ausgeprägten bipolaren Störung, konnte kaum noch auftreten. Ruhm, Niedergang, politische Kämpfe, eine sie ausplündernde Scheidung lagen hinter ihr. Und die Enttäuschung über die nie heilende Wunde, die der Rassismus in ihr Leben und die amerikanische Gesellschaft gerissen hatte. Die ­große Jazz- und Soulsängerin war eine laute, radikale Stimme der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung gewesen, das tighte, explizite „Mississippi Goddam“ zeugt davon. Und sie sang, wie niemand sang. Verletzt und zornig ist ihre Version von „I Put A Spell On You“; mitreißend, vibrierend, beschwörend das zehnminütige „Sinnerman“, unendlich zart ihr „Black Is The Color Of My True Lover’s Hair“.

Spätes Ehrendiplom

Die erwähnten Songs sind auf den sieben Platten (wahlweise CDs) enthalten, die Simone zwischen 1964 und ’67 bei Philips veröffentlicht hat und die nun in einer angemessen schlichten, schönen Box wieder­veröffentlicht werden (nur die Philips-Compilation „Sincerely Nina“ fehlt). Ein Schatz: jeweils 180 Gramm schwer, klanglich satt und in wattierte Hüllen gepackt.

Zwei Tage vor ihrem Tod 2003 wurde Nina Simone übrigens mit dem Ehrendiplom der Universität ausgezeichnet, die sie in den 50er-Jahren abgelehnt hatte.

(Philips/­Verve/Universal) Sebastian Zabel

Klaus Schulze – Irrlicht

Frühe Klangwunder des deutschen Ambient- und Elektronik-Visionärs

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Nachdem er als Schlagzeuger der Krautrock-Bands Tangerine Dream und Ash Ra Tempel bereits mit ­musikalischen Konventionen gebrochen hatte, beschloss Klaus Schulze Anfang der Siebziger, sich ganz den elektronischen Klangmöglichkeiten zu verschreiben. Sein Debütalbum, „Irrlicht“ von 1972, ist die Blaupause für Ambient und Drone Music. Inspiriert von der Ästhetik der Musique concrète, enthält es keine Synthesizer, sondern ausschließlich Orgelsounds und ein Orchester, das Schulze durch eine damals völlig neuartige Filtertechnik so verfremdete, dass daraus ein abstraktes, futuristisches und in sich vollkommen enigmatisches Klanggemälde entstand, dessen Zauber und Innovationskraft auch Menschen zu würdigen wissen, die Ambient sonst für atmosphärischen Quatsch halten.

Moondawn mit Sinustönen

Nicht weniger mentale Offenheit und musikalische Abenteuerlust erfordert „Blackdance“ von 1974, bei dem Schulze Piano, Percussion und Gitarre nutzt und diese Instrumente wiederum ihres natürlichen Klangs beraubt, um damit Synthiestücke wie „­Some Velvet Phasing“ anzureichern. „Voices Of Syn“ beginnt als abgründiger Choral und steigert sich zu einem trance-artigen Kirchenorgel-Techno. „Picture Music“, nur ein Jahr später veröffentlicht, wirkt dagegen für heutige Verhältnisse, in denen man gewohnt ist, in jedem Großstadt­café mit Electro beschallt zu werden, fast schon gefällig. Die Abwesenheit von Rhythmen, die Schulzes Alben bis dahin ausgezeichnet hatte, wurde nun gefüllt mit wild piepsenden und pulsierenden Sequencern. Kraftwerk hatten gerade den Electro-­Pop erfunden, und Schulze wollte wohl darauf hinweisen, welches Verdienst er daran hatte.

Sein vielschichtigstes Werk war dann 1976 „Moondawn“, das all die Experimente mit Sinustönen, Phasenverschiebungen und Rückkopplungen, Orgeln, Moogs und Drums zu einer hypnotischen Space-Sinfonie vereint. Die neu aufgelegten Alben wurden um ausführliche Linernotes, Interviews mit Schulze und Bonustracks ergänzt.

(MIG/Indigo) Max Gösche

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