Weihnachtsgeschenke: Die besten Reissues und Boxsets 2016

Bowie, Sting, Dylan, Reed, Elvis und viele mehr – Sie lieferten die wichtigsten Boxsets und Reissues 2016.

Frank Sinatra – All Or Nothing At All

Zum 100. Geburtstag: eine Großdokumentation samt CD und die Anthologien „Ultimate Sinatra“ und „A Voice On Air“

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Im Jahr 1971 hatte Frank Sinatra keine Lust mehr. „A Man Alone“, ein Album mit elegischen Songs und Texten von Rod McKuen, war ebenso ein Fiasko gewesen wie 1970 „Watertown“, ein Konzeptalbum über eine gescheiterte Liebe. Er war Frank Sinatra, und er verkaufte jetzt 30.000 Platten. Bei „Sina­tra & Company“ versuchte er es noch einmal mit Liedern von Antônio Carlos Jobim.

Zwei Galakonzerte für einen Hilfsfonds für Filmschaffende erklärte Sinatra, sprunghaft wie immer, zu seinem „Retirement Concert“. Von der Schauspielerin Rosalind Russell wird er als „the greatest entertainer of the century“ angekündigt, der „a decision“ getroffen habe. Sie kämpft mit den Tränen, als sie „Ladies and gentlemen … Frank Sinatra“, ohne Ausrufungszeichen, sagt. Sinatra schreitet, schwerer geworden, im Smoking zwischen Mikrofon und Barhocker einher, entbietet „Nancy (With The Laughing Face)“ und „My Way“, die linke Hand greift langsam aus, und dann kommt der Moment, als er sich noch einmal als „saloon singer all my life“ bezeichnet, und jetzt mimt er einen Betrunkenen, der in ein Bierglas weint, weil die „Angel Eyes“ für ihn erloschen sind. Sinatra zündet sich eine Zigarette an, dann singt er die letzte Zeile: „Excuse me while I … disappear.“

Er ist verdammt gut

Natürlich kam er zurück, schon zwei Jahre später, mit „Ol’ Blue Eyes Is Back“, und triumphierte im Madison Square Garden. Der Film „All Or Nothing At All“ dokumentiert ausladend die Scharaden und Affären des Genies, aber es ist das CBS-Special mit Walter Cronkite von 1965, das ihn gespenstisch sichtbar werden lässt: Bei dem Interview guckt er treuherzig und beäugt Cronkite zugleich misstrauisch, wägt jedes Wort und lenkt virtuos von Mobstern und Geschäften ab. Man sieht ihn auch im Studio, wo er „It Was A Very Good Year“ aufnimmt, über „popping p.s“ scherzt und dann in der Mitte des Orchesterklangs steht, manchmal halb verdeckt vom dirigierenden Gordon Jenkins. Als er mit gesenktem Kopf das Playback hört, kann man erkennen, dass er weiß: Es ist verdammt gut. Das war es fast immer.

Zum 100. Geburtstag erscheinen „Ultimate Sinatra“, vier CDs mit fantastischen Songs, und die Box „A Voice On Air 1935–1955“ (Sony) mit Radioaufnahmen für Columbia: die junge Stimme vor dem Lebensbruch, Aufnahmen der Hoboken Four, mit Tommy Dorsey, Doris Day und Bing Crosby, Schnipsel, Gags und Jingles.
Sein Saloon war eine Welt.

(Universal) Arne Willander

Blues Band – Complete Albums 1965–1980

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Alle Alben der Blues-Band um den virtuosen Mundharmonikaspieler

Zum Bandleader war der notorisch verschlossene Einzelgänger zunächst eher nicht qualifiziert. In einer Monografie über Mike Bloomfield von 2000 erinnert sich der Gitarrist an seine ersten Begegnungen mit dem Kollegen Butterfield: „He was a bad guy. He carried pistols … I was scared to death of that cat.“ Elektra-Produzent Paul Rothchild gelang es trotzdem, den Gitarrenvirtuosen als Mitglied für Butterfields Band zu gewinnen.

Die Debüt-LP erschien im selben Jahr wie B. B. Kings „Live At The Regal“ und „Hoodoo Man Blues“ von Junior Wells und Buddy Guy. Aber nicht diese beiden späteren Klassiker des Genres, sondern das auf dem Folk-Label erschienene Erstlingswerk des weißen Harmonikamanns mit dem jüdischen Gitarristen und den zum Jazz tendierenden Bandkollegen fand das größere Wohlwollen bei vormals Chicago Blues nicht sonderlich schätzenden weißen Musik­liebhabern. Ein Jahr nach dem Auftritt in Woodstock schaffte es der Ausflug in Jazz und Weltmusik auf „East–West“ sogar auf Platz 65 der „Billboard“-Hitparade.

Japan voraus

Danach verabschiedete Bloomfield sich, um das Projekt Electric Flag zu realisieren. Butterfield war ab sofort viele Jahre lang ein in allen Clubs Amerikas gern gesehener und hoch bezahlter Gast, solo wie mit neuen Bands. Später schaffte er es in den „Rockpalast“ und sang dort auch Randy VanWarmers Pop-Ohrwurm „Just When I Needed You Most“. Der Auftritt ist in diesem Schuber nicht enthalten, wohl aber die kompletten Studioaufnahmen und diverse rare Live-Mitschnitte, natürlich auch die zunächst als Debüt verworfenen „Original Lost Elektra Sessions“ – die ersten beiden Platten leider nicht in den klanglich weit besseren Remaster-Versionen, die Warner-Toshiba 2013 nur in Japan veröffentlichte.

(Rhino) Franz Schöler

Cream – The Singles 1967–1970

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Eine Box voller Ungereimtheiten, die etliche Fragen aufwirft, jedoch nur wenige beantwortet. Zunächst verwundert die im Titel angegebene Zeitspanne, denn die beiden frühesten der zehn vertretenen Singles erschienen bereits 1966, die letzte im Herbst 1969. Steht auch so im beiliegenden, durchaus informativen Booklet. Dort lesen wir auch den diskutablen Satz „In many respects, Cream were one of the last great singles bands as pop gave way to rock“. Unfreiwillig allenfalls, denn wie schlagzeilte „Melody Maker“ schon 1967: „Cream Declare War On Singles“. Eric Clapton begründete das im folgenden Artikel damit, dass Cream „very anti the commercial market“ seien. Und wusste doch nur allzu gut, dass mit LPs weit mehr zu verdienen war als mit Singles. Aber so war sie, diese Zeit zwischen Pop und Prätention: voller Merkwürdigkeiten und Selbsttäuschung.

Erfreulicherweise in Mono!

Cream waren ein wandelnder Widerspruch. Zur „Supergroup“ ausgerufen, da immerhin von Musikern formiert, die sich davor als Mitglieder der Yardbirds, der Bluesbreakers und der Graham Bond Organization einen Namen gemacht hatten, und medial entsprechend mit Vorschusslorbeeren bedacht, gab man vor, als „progressive“ Blues-Band an Hits kein Interesse zu haben. Und veröffentlichte mit „Wrapping Paper“ sogleich eine Pop-Single mit Music-Hall-Flair, von der sich Clapton und Ginger Baker öffentlich distanzierten, noch ehe sie wieder aus den Charts herausgefallen war, sehr zum Missvergnügen von Jack Bruce, der den Song mit­kom­po­niert hatte.

Die zehn Singles, die Cream im UK oder in den USA herausbrachten, bietet die Box erfreulicherweise in Monoversionen. Musikalisch sind neben „Wrapping Paper“ vor allem „I Feel Free“, „Anyone For Tennis“ und „Badge“ hervorzuheben, letzterer Song von Clapton gemeinsam mit George Harrison geschrieben: Pop reinsten Wassers und meilenweit entfernt von all den Underground-Allüren des musikideologisch auf Tarnung bedachten Trios. „Badge“ heißt das fabulös beatleske Ding übrigens nur, weil Clapton Harrisons Handschrift nicht dechiffrieren konnte – George hatte „Bridge“ geschrieben.

(Polydor/Universal) Wolfgang Doebeling

David Bowie Who Can I Be Now? (1974-1976)

 Zweite Box mit Alben des großen Pop-Eklektikers – leider ohne überraschende Zusätze, dafür mit vielen Remixes
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„It’s hip to be alive“, sang Bowie in „Win“, abgemagert, kokainabhängig, sein Überleben verstand er als popkulturelles Statement. Eine pervertierte Form von Dasein für die Kunst. Obwohl er jene Zeit einmal als „die schlimmste meines Lebens“ bezeichnete, nahm der Brite mit „Young Americans“ und „Station To Station“ zwei mutige Alben auf. Ersteres firmierte als „Plastic Soul“ aus Philadelphia, ein Tanz mit den „Afro-Sheilas“; Letzteres war eine Hommage an Kalifornien, an Chanson („Wild Is The Wind“) und Funk („Stay“).

Beide Platten sind, wie ihr Vorgänger, „Diamond Dogs“, Teil der zweiten Bowie-Retrospektive, „Who Can I Be Now? (1974–1976)“, mit zwölf CDs und 13 LPs. Das Konzept von „Diamond Dogs“ war größer als die Musik selbst. Es gab eine Tournee mit futuristischer Hochhauskulisse, mit „1984“ ein Disco-Lied über den Orwell-Staat. Der Rest wirkte dagegen rückwärtsgewandt. Der Titelsong und „Rebel Rebel“ waren Glam, ein längst abgehangener Stil, vom Cover blickte uns noch der Vokuhila-Ziggy entgegen. „David Live“ erschien 1974 zur Reise, es war, endlich, seine erste Live-Platte. Aber „Spiders From Mars“-Stücke wie „Moonage Daydream“ fühlten sich in der Varieté-Version fremd an. Zum Glück kann man Pantomime nicht hören.

Herausragende Songs, aber fahrig kompiliert

Bedauerlich, dass für die Kollektion – wie für den Vorgänger, „Five Years (1969–1973)“ – wenige Perlen ausgegraben wurden. Und erstaunlich, weil Bowie zwischen 1975 und 1976 so wenige Outtakes wie nie hinterließ (sich hier also eine Gelegenheit für lückenlose Doku­mentation bot) und schon die Rykodisc-Fassungen ab 1990 ja mit Rarem à la „After Today“ oder dem Springsteen-Cover „It’s Hard To Be A Saint In The City“ aufwarteten. Die hier enthaltenen „Re:Call“-CDs versammeln Singleversionen: Bekanntes, geremixt und gekürzt. „Station To Station“ wurde von 10:14 auf 3:40 Minuten reduziert, beginnt mit der “Once There Were Moutains”-Melodie – was bei diesem Epos der Gefühlsschwankungen keinen Sinn ergibt.

Auch das im Vorfeld beworbene „The Gouster“-Album, eine „Young Americans“-Frühversion, umfasst dem Fan Vertrautes, wenn auch in diversen Mixen. Hier hätte man alles herausholen können – es kursieren großartige Bootlegs von 1974: Bowie im Chor mit Ava Cherry, auch „Shilling The Rubes“ und die Arbeit mit Luther Vandross, aus dessen „Funky Music“ Bowies „Fascination“ wurde. Das hätte den Werdegang der Kompositionen aufgezeigt. Dieses Boxset wird einem noch lange Kopfzerbrechen bereiten, denn es enthält herausragende Musik – fahrig kompiliert.

 (Plg/Warner) Sassan Niasseri

Manic Street Preachers Everything Must Go 20th Anniversary Edition

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Politische Statements in überbordenden Hymnen: Die „20th Anniversary Edition“ des Meisterwerks der wütenden Waliser

Die Manics wurden nie stärker geliebt als für ihr viertes Album, dabei standen schon mit der Vorabsingle alle Zeichen auf Konfrontation. „A Design For Life“ spiegelte das stark im britischen Pop verankerte Bedürfnis, Herkunft zu betonen. Selten klang Unterschicht so prächtig: „Libraries gave us power/ Then work came and made us free.“ Während das Orchester anschwillt, singt James Dean Bradfield davon, sich mit einer zerbrochenen Flasche das Gesicht zu zerkratzen.

Australischer Tourismus

Die „20th Anniversary Edition“ enthält auf zwei CDs, zwei DVDs und einer LP die bislang umfassendste Sammlung dieser Zeit. Lohnt sich? Hm. Entscheidender Kaufgrund müsste das bislang einzig unveröffentlichte Material sein, ein Konzert aus Manchester 1997. Und das ist wirklich furios. Die Manics stellen Edwards’ frühere Feuerstürme über missverstandene Revolutionäre („Faster“) dessen nicht zu Ende gebrachten Songskizzen sowie neuem, eigenem Material gegen-über. „Kevin Carter“, jenes Lied über den Fotografen, der sich nach Erhalt des Pulitzerpreises für sein Bild eines sterbenden afrikanischen Kindes umbringt, wird ihr politisches Statement. Moore spielt dazu die Trompete, als bliese er einen Henkersmarsch.

Die Sammlung der Remixe ist leider so bekannt wie die Klangpolitur des Albums selbst. Schlechter aber wird die Platte dadurch nicht. „Elvis Impersonator: Blackpool Pier“ vereint schon im Titel -jene Manics-typische Kombination aus Glam und mitleid-erregender Großmut, wie ihn nur Vorstädter hervorrufen können. Und es sind die B-Seiten, die besten ihrer Karriere, die „Everything Must Go“ in unseren Träumen zum glorreichen Doppelalbum machen: „Hanging On“, „Sepia“, „Horses Under Starlight“ … Songs für Richey, viele davon über eine Flucht des Trios nach Australien, um Abstand zu gewinnen. Der dortige Tourismusverband hatte ja keine Ahnung, fragte das – -zynische – „Australia“ für die Werbung an. Eine Chance für Subversion in Edwards’ Sinne, die die übrig gebliebenen Musiker gern ergriffen.
Sassan Niasseri

Fleetwood Mac – Tusk

Fleetwood Mac – „Tusk“ (Re-Issue und Box-Set)
Fleetwood Mac – „Tusk“ (Re-Issue und Box-Set)

Der letzte Geniestreich der Band mit Live-Versionen und Remixes

„Rumours“ (1977) legte die gescheiterten Liebesbeziehungen der Bandmitglieder offen, es blieb ein Scherbenhaufen. Das zwei Jahre später erschienene „Tusk“ war der Versuch, die Scherben unauffällig unter den Teppich zu kehren: nervöse Stille, leise Wut, dazwischen überfallartige Euphorie, ein „Geht doch!“, wie im Titelstück. Dafür engagierte Lindsey Buckingham die berühmten Marschmusikanten von Spirit Of Troy, und der Chor rief „Huga-Haga“.

Natürlich macht sich das erstaunliche Lied mit dem skandierten „Tusk!!!“ in seiner Live-Version heute zu Recht als Faust-in-die-Luft-Hymne lächerlich.

Traumartiger Hall

Der Rest des Albums? Viel besser als sein Ruf, es reichte für die zweitbeste Platte der Band. Während Kritiker nur darauf warteten, den Egomanen Buckingham wegen seines Entwurfs einer Doppel-LP zu grillen – außerdem weil er jetzt Post-Punk-Blazer trug –, schrieben Stevie Nicks (mit „Sara“) und vor allem Christine McVie im Hintergrund weiter Geschichte. „Do you have to have me the way that I want you?“, singt die Keyboarderin zaghaft in „Brown Eyes“, dem Zentrum der 19 Songs. Noch besser ist ihr „Never Make Me Cry“: Das klingt so intim, so sehr nach Solobeitrag, dass es auf die anderen wie eine Strafe gewirkt haben muss. Mit „Tusk“ wurde deutlich, dass Fleetwood Mac – dieses Schicksal ereilt irgendwann jede Volksmusik­gruppe – am Ende nichts mehr kaschieren konnten. Treue ist eben nichts für die Ewigkeit.

Gegenüber dem 2004 veröffentlichten Reissue ist diese Deluxe-Box ein Gewinn, nicht nur wegen des Umfangs – Doppel-Vinyl plus fünf CDs und eine DVD –, sondern auch wegen der Alternativfassungen der Albumtracks. Remixe sind ja meistens die Hölle, aber der Remix von „That’s All For Everyone“ zeigt Möglichkeiten, die Buckingham damals ungenutzt ließ. Die eh schon fatalistischen Zeilen „That’s all for me/ Last call for everyone/ Must be just exactly what I need“ erhalten einen traumartigen Hall, und vor dem inneren Auge sehen wir den Gitarristen in ein Nirvana abdriften.

(Warner) Sassan Niasseri

XTC – Oranges & Lemons

Steven Wilson renoviert das Meisterwerk der Pop-Connaisseure

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Der Auftakt ist eine Einladung in einen musikalischen Gemischt­warenladen. In den 15 Songs, die auf den orientalisch angehauchten Opener, „Garden Of Earthly Delights“, folgen, spaziert die britische Band – Kennzeichen: „spleenig“ – durch die Pop-Geschichte, zwischen üppigen Beach-Boys-Gesangsharmonien und perfekt komponierten und arrangierten Kleinoden, als hätten Lennon und McCartney gemeinsam New-Wave-Songs geschrieben.
1989 veröffentlicht, stellt „Oranges & Lemons“ mit Raffinesse und Einfallsreichtum selbst das von Todd Rundgren produzierte Album „Skylarking“ (1986) in den Schatten: Hier klimpern Banjo und Fiedel im Progressive Country von „Scare­crow People“, da wird Jazzpunk zele­briert („Miniature Sun“), dort Django Reinhardt von den Toten erweckt („Pink Thing“).

Auch auch in der neuen, vom synthetischen Achtzigerklang befreiten Abmischung von Steven Wilson strahlen die damaligen Singles am hellsten: Andy Partridges charmant-verschrobene Liebeserklärung „The Mayor Of Simpleton“ und Colin Mouldings resignierter Steely-Dan-Shuffle „King For A Day“. XTC waren nicht unterschätzt, aber erfolglos. Die neue Edition auf Partridges Label, Ape, enthält eine Blu-ray mit Videos, dazu unveröffentlichte Songs und eine exquisite Surround-Abmischung.

(Ape) Fabian Broicher

Them – The Complete Them: 1964–1967

Fast alles von Van Morrisons legen­därer Rhythm’n’Blues-Combo

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Von Männern fortgeschrittenen Alters hört man in Plattenläden häufiger das Verdikt, Van Morrison sei im Vergleich zum frühen Mick Jagger der viel bessere Rythm’n’Blues-Sänger gewesen. Und was den stimmlichen Furor angeht, den das damals noch blutjunge Genie von 1964 bis 1966 bei der Belfaster Band Them veranstaltete, so kann man der Einschätzung sicher zustimmen. Natürlich hatten Them nicht die Songs, mit denen sich Jagger/Richards zur selben Zeit schon Plätze im Rock-olymp sicherten.

Doch sie hatten den Gassenhauer „Gloria“. Sie schufen die definitive Version von „Here Comes The Night“. Sie verliehen Dylans „It’s All Over Now, Baby Blue“ eine ungeahnt balladeske Tiefe, nicht zuletzt dank der funkelnden Gitarrenmelodie. Und sie coverten manierlich amerikanische Klassiker wie „I Put A Spell On You“ von Screamin’ Jay Hawkins und Ray Charles’ „I Got A Woman“. In Stücken wie dem von Piano und Flöte getragenen „Hey Girl“ probte Van Morrison bereits die freie Improvisation, die er 1968 mit „Astral Weeks“ in kunstvolle Höhen treiben sollte.

Das vorliegende, drei CDs umfassende Boxset enthält sämtliche Studioaufnahmen mit Morrison, dazu Demos und Live-Mitschnitte, unterschlägt verständlicherweise jedoch die obskuren Werke, die später unter dem Namen Them veröffentlicht wurden.

(Sony) Max Gösche

Phil Collins – Face Value

Das Debütalbum von 1981 und „Both Sides“ in neuen Editionen

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1981 war das Jahr der großen Rhythmen: Kraftwerk veröffent­lich­te „Computerwelt“, Grace Jones „Nightclubbing“. Darein fügte sich Phil Collins mit seinem Solo­debüt und einem delirierenden Song, der womöglich Mitwisserschaft an einem Mord behandelt. „In The Air Tonight“ paart einen lauernd vor sich hin arbeitenden Drumcomputer mit einem der dramatischsten – und berühmtesten – Schlagzeug-einsätze der Popgeschichte. Produzent Hugh Padgham entwarf den „Gated-Reverb-Sound“: härtester Schall durch höchste Kompression.

Das Lied und große Teile von „Face Value“ drehen sich um Collins’ Scheidung. Seine Ex inspirierte ihn zu seiner besten Single, „I Missed Again“ mit Ronnie Scotts wie ein Schrei im Dunkeln klingendem Saxofon, und zu dem renitenten „I’m Not Moving“, dessen dezenter Vocoder­einsatz seinesgleichen sucht.

„Take A Look At Me Now“ heißt die Reihe, in der Phil Collins’ Alben auf CD und Vinyl neu aufgelegt werden, mit B‑Seiten, Live-Aufnahmen und Demos. Zum Auftakt gibt es auch das rührselige „Both Sides“ von 1993; Collins’
Akku war damals, mit 42, längst leer.

(Warner) Sassan Niasseri

Sting – The Studio Collection

Sieben Studioalben als LPs, zwei davon erstmals auf Vinyl

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Die beiden Klassik-Alben fehlen (sie erschienen bei Deutsche Grammophon), das Fusion-Epos „Bring On The Night“ auch (wohl, weil es eine Live-Platte ist), aber zumindest die ersten drei dieser sieben Werke demonstrieren, was Sting von 1985 bis 1991 leistete.

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Sting :: 57th & 9th

„The Dream Of The Blue Turtles“ bot Kriegs- und Kalter-Kriegs-Geschichten, erzählt mit den Mitteln des Jazzpop; „… Nothing Like The Sun“ war Lateinamerika, vor allem Chile, und die Weltmusik eines Briten in den USA; „The Soul Cages“ die Abschiednahme vom verstorbenen Vater, mit den Liedern aus einer britischen Seemannsstadt.

„Sacred Love“ und „Brand New Day“ erscheinen erstmals auf Vinyl. Auch wichtig: Dem Paket ist ein Download-Code beigefügt. Das ist, siehe die kostspieligen Bowie-Reissues, keine Selbstverständlichkeit. Dass die Box nicht die aktuelle Platte „57th & 9th“ enthält, die erschien zwei Monate später, hat vielleicht geschäftliche Gründe – irgendwannn kommt vielleicht das Vinyl-Set mit allen acht Studioalben.

(Universal Music) Sassan Niasseri

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