Wildschwein und Einstein

Andreas Rausch adaptiert die respektlose Collage-Methode Frank Zappas für einen Comic, dessen Stilmix und Analogiewahn überwältigend ist

Der Kritiker Pete Johnson streckte die Waffen, als er 1966 in der „Los Angeles Times“ Frank Zappas „Freak Out“ besprechen sollte: „Falls jemand dieses Album besitzt – vielleicht kann er mir verraten, was, zum Teufel, das Ganze überhaupt bedeuten soll“ Das Gleiche könnte man auch von „Zappaesk“ (Ehapa, 19 Euro) sagen, Andreas Rauschs wildem, ganz und gar absurdem, realitätsverbiegendem, naja, psychedelischem Comic-Trip durch den Zappa-Kosmos.

Diese ingeniöse Adaption ist Rauschs Debüt als Comic-Schaffender, im Brotberuf zeichnet er Storyboards für Kino und Fernsehen, illustriert Bücher und arbeitet, wenn’s mal wieder nicht reicht, auch noch in einer Keramikwerkstatt. Als ich ihn zum Spaß frage, ob er mir vielleicht verraten könne, was, zum Teufel, das Ganze bedeute, weiß er so recht nicht, was er darauf antworten soll. Muß er auch nicht, man kommt schließlich selbst drauf! „Zappaesk“ ist vor allem genau das – ein Comic-Freak-out, eine kongeniale Anverwandlung der eklektizistischen, Hoch- und Populärkultur mischenden, assoziativen und nicht zuletzt ganz und gar respektlosen Collage-Methode Zappas. Wie der Debussy, Stravinsky, Varese und andere klassische Avantgardisten mit Elvis Presley, Muddy Waters, Johnny „Guitar“ Watson, Spikejones und vergessenen Doo-W)p-Stars wie Lightnin‘ Slim amalgamiert, betreibt auch Rausch einen gewaltigen Stilmix: Da werden die einschlägigen Arbeiten von Robert Crumb, Gilbert Shelton, Ralph Steadman, Calvin Schenkel, Roger Price zitiert und gleichberechtigt neben die musealen E-Künstler Gustave Dore und Rene Magritte gesetzt – mitunter auf einer Seite!

„Wenn Shelton und Crumb einfließen“, wendet er ein, „dann ist das eigentlich eher zufällig. Ich habe mir wohl deren Zeichenstil einfach angewöhnt, weil das die Helden meiner Jugend sind. Wenn das jemand erkennt, dann ist das schmeichelhaft und okay, aber es ist nicht beabsichtigt. Crumb und Zappa haben übrigens beide ihre Karriere als Postkartenzeichner begonnen, und beide haben gesagt, daß sie erst während dieser alltäglichen Arbeit erkannt haben, wie bizarr der Alltag tatsächlich ist, ohne daß man etwas hinzufugen müßte. Und da bin ich doch ganz glücklich, daß ich auch als Postkartenzeichner angefangen habe.“

Insofern sind Bizarrerie und Groteske auch Rausch absolut geläufig. Er hangelt sich an Topoi und Motiven vor allem der Zappa-Songs und -Biographie entlang und stellt mit einem sehr offenen Analogieprinzip allerlei gewagte Verweiszusammenhänge her. Er kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen, von einem C-Horrorfilm-Persiflage mit einem riesenhaften Pudel zu dem in „Faust I“ („Studierzimmer“-Szene!), von dort zu der Weltformel „Titties and Beer“ usw. usw.

„In Zappas Werk ist ja dieser Gedanke von der ,Conceptual Continuity‘ immanent, auf die er sich immer wieder beruft, und den wollte ich erfassen. Diese Analogien, diese Yerquickungen der unterschiedlichsten Dinge aus unterschiedlichen Epochen – eben auch ausgehend vom Zappa-Zitat ,Everything is happening all the time‘ -, die finde ich unglaublich faszinierend. Daß etwa die , Walpurgisnacht‘ aus dem ,Faust‘ gleichzeitig auch ,Titties And Beer‘ erklärt. Oder wenn ich Sokrates‘ Dialektik lese, dann habe ich auch gleichzeitig Zappa, der auf der Bühne steht und ,I Have Been In You‘ bringt Diese Logik des Widerspruchs in der Dialektik, die kann man voll und ganz auf Zappa beziehen. Das funktioniert Und seinen Song über das kleine Wildschwein, ,The Adventures Of Greggary Peccary‘, kann man wirklich mit Einstein erklären.“

Ja, aber wie sinnvoll ist es, das zu tun? Diese Beziehungsmanie, dieser furiose Analogiewahn ist zugleich Stärke und Schwäche des Comics. Man wird immer wieder überrascht und ist beeindruckt von den Affinitäten, die Rausch aufspürt, aber – das sind nun mal die Rezeptionsbedingungen der Collage – die Erzählung fasert aus, der Plot verliert sich im Episodischen. Geschlossenheit stellt sich nur auf der symbolischen Ebene her, und das macht die Lektüre nicht immer ganz leicht Erschwerend kommt hinzu, daß sie ihren Reiz nicht zuletzt aus den vielen Anspielungen und Zitaten bezieht. Rausch weist zwar im über 30seitigen Anhang recht akribisch nach, wen er da alles plagiiert, auf was er angespielt hat und was begleitend zu lesen oder zu hören sei. Mehr Spaß haben wohl dennoch die Zappa-Gemeindemitglieder, die den Resonanzboden selbstverständlich mithören und sich nicht erst die Pointe durch einen Blick in den Anhang erklären lassen müssen.

„Ja, wenn der Zappa-Fan Lust drauf hat, dieses Buch zu erleben, kann er einige Monate Spaß dran haben. Mich würde natürlich interessieren, wie dieses Buch wirkt auf jemand, der mit Zappas Werk nicht so bewandert ist“ Nun, jedenfalls sollte er mit semantischen Leerstellen leben können. Zumal Rausch auch davon abrät, „das Buch mit dem Finger im Anhang zu lesen. Am besten ganz einfach von vorne nach hinten. Der Anhang ist wie ein Feedback bei einem tollen Song, ein Ton, der nachschwingt, der kann aber das ganze Grundgefühl des vorangegangenen Songs noch einmal festigen.“

„Zappaesk“ ist denn auch kein neuerlicher Beitrag zur Zappa-Exegese, sondern eine künstlerische Anverwandlung des großen Genius und zugleich eine in seinem Geiste, also ein eigenständiges Kunstwerk, das sich ästhetisch von seinem Gegenstand emanzipiert. Mehrfach zitiert Rausch wie vor ihm schon Zappa – das Diktum von Edgar Varese: „The present-day composer refuses to die!“ Und das schafft er eben nur, indem er ein Werk hinterläßt, das nicht in seiner Zeit, in seinem Leben aufgeht – das absolute, überzeitliche, autonome Kunstwerk. Auch Rausch ist dieser L’art pour l’art-Ästhetik verpflichtet, und entsprechend ist die Biographie Zappas nur der Rohstoff, die Folie, die er virtuos überzeichnet „Es gibt ja die Leute aus dem Widerstand, die die 60er-Jahre-Sachen am liebsten mögen, dann die, die den Jazz-Rock mögen Anfang der 70er oder die Rock’n‘ Roll-Geschichten mit Wah-Wah-Gitarre Ende der 70er, es gibt die ,Titties and Beer‘-Fraktion, und es gibt die hochintellektuellen, die sich nur auf seine Sachen mit dem Ensemble Modern oder ,Lumpy Gravy‘ berufen. Ich wollte zeigen, daß man sich nicht für eine Zeit entscheiden soll. Eigentlich ging es schon 1959 los mit Soundtracks, die damals bereits geklungen haben wie das, was er auf der ,Civilization Phase III, also seinem Vermächtnis, gemacht hat Das schließt den Kreis, und alles dazwischen gehört unweigerlich zusammen.“ Conceptual Continuity eben!

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