Einmal austoben

Nick Cave hat mit seinen Bad Seeds-Kollegen unter dem Namen Grinderman eine rohe Blues-Krawall-Platte aufgenommen

„Waren wir wirklich zu laut?“, fragt Nick Cave und zündet sich eine Zigarette an. Gestern ist er in Stuttgart aufgetreten und freut sich jetzt über ein energisches Kopfschütteln. Denn er hat immer noch nicht verdaut, was nach dem Konzert vorgestern in Nürnberg passiert ist: In mehr als 100 E-Mails haben sich Leute beim Veranstalter über den Lärm beschwert. Warren Ellis, der neben Nick Cave sitzt und der mit seinen Elektro-Bouzoukis, Violinen und Gitarren die Dezibelzahlen maßgeblich in die Höhe getrieben hat, versteht das auch nicht: „Rockmusik basiert doch auf dem Konzept von Lautstärke“, sagt er, „und die meisten Rockalben klingen viel besser, wenn man den Regler aufdreht.“ Während Bassist Martin Casey, der eigentlich nie was sagt, stumm nickt, gibt sich Schlagzeuger John Sclavunos jedoch verständnisvoll: „Die Leute in Nürnberg haben wahrscheinlich einen gemütlichen Abend erwartet und wurden von uns nur etwas überrumpelt“, sagt er, „ich glaube jedoch nicht, dass das heißt, dass sie Grinderman nicht mögen würden.“

Denn die vier Leute, die bei der so genannten Nick-Cave-Solo-Performance auf der Bühne lärmten, sind identisch mit der Band Grinderman, die jetzt ihr Debüt vorlegt: eine Platte, die definitiv zu den Rockalben zählt, die man gefälligst richtig laut zu hören hat. Es geht krachig, poltend, nölend zu. Die düster-romantische Seite von Nick Cave sucht man vergeblich, stattdessen kommt man sich vor wie in einer Ausnüchterungszelle. „Grinderman leugnet meiner Ansicht nach aber nicht die Sachen, die ich mit den Bad Seeds gemacht haben, ich mag weiterhin auch die stimmungsvollen, melancholischen Songs“, sagt Cave. „Ich glaube nur, dass wir im Moment das Bedürfnis haben, herauszufinden, was passiert, wenn wir mal ganz woanders hingehen.“

Woanders hingehen heißt in diesem Fall für Nick Cave auch, den Flügel links liegen zu lassen und sich als Gitarrist zu verdingen: „Ich kann nicht wirklich Gitarre spielen“, behauptet er, „und während ich beim Klavierspielen immer wieder in vertraute Muster und Akkordfolgen abrutsche, kann mir das an der Gitarre nicht passieren.“ Ellis nickt eifrig: „Wenn Nick Klavier spielt, weißt ich eigentlich immer, was als nächstes kommen wird. Wenn er Gitarre spielt, habe ich meistens keine Ahnung.“

Grinderman ist eine Art Abenteuerspielplatz für Nick Cave. Ein Austobe-Projekt, bei dem er spontan und unberechenbar sein darf. Dinge, die bei seiner Stammband verboten sind: „Bei den Bad Seeds sind wir einfach zu viele Leute. Wenn man da anfängt, spontan zu sein, klingt es schnell schlampig“, erklärt Warren Ellis. Und wenn wie beiden Bad Seeds bis zu zwölf Menschen zusammen Musik machen, ergeben sich irgendwann ganz von selbst feste Regeln des gemeinsamen Musizierens: „Bei Grinderman haben wir versucht, ganz ohne solche Regeln zu arbeiten und alles wegzuschmeißen, was wir nicht brauchen“, sagt Ellis. „All das historische Gepäck wollten wir loswerden“, so Cave.

Die kathartische Wirkung, die ein Projekt wie Grinderman hat, hält Nick Cave für lebensnotwenig für einen so komplexen Organismus wie die Bad Seeds, für die er zurzeit schon wieder Songs fürs nächste Album schreibt. „Wenn wir solche Projekte nicht hätten und wir alle in London leben und womöglich abends auch noch ständig zusammen mit unseren Frauen ausgehen würden, würde es die Band schon lange nicht mehr geben“, sagt er. Gleichwohl will er Grinderman nicht als Nebenprojekt bezeichnen: „Das würde nicht der großen Bedeutung gerecht werden, die die Band und die Platte für mich haben.“

Die meisten Grinderman-Songs sind bei einer überlangen Session entstanden, für die das Quartett fünf Tage lang ein Studio gebucht hatte. ,Wir sind dort mit absolut gar nichts angekommen“, sagt Cave, „und haben dann einfach nur gespielt. Fast die ganze Zeit nonstop.“ Und wie die Musik sind auch die Texte aus Improvisationen entstanden. „Ich habe meistens einfach das gesungen, was mir gerade in den Sinn kam und später daraus die Texte gemacht.“

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