Hurricane 2013: Maschinengewehre – und schöne Engelsmusik. Der Freitag.

Ein orange glühender Fast-Vollmond macht die trancehafte Stimmung perfekt. So war der Hurricane-Freitag mit Rammstein, The National, Portishead, Sigur Rós und mehr.

Freitag: Unfassbar schlechtes Wetter hat sich pünktlich zum Festivalauftakt eingestellt. Der Wind schneidet den Regen seitlich an, so dass man sich nicht mal unter Bäumen oder Dorfbäckermarkisen in Sicherheit bringen kann. Das Festivalgelände ist Mousse. Donnerstag Nacht hatte ein rabiates Unwetter den Boden bereits derart aufgeschwemmt, dass der nun fallende Regen Schichten noch oben brodelt, die man sonst nur aus geologischen Sediments-Grafiken kennt. Viele Gäste sitzen vor zerschmetterten Zelten, einige grillen in den Ruinen bereits ihr Frühstück. Im ortsansässigen OBI sind die Gummistiefel zum Glück nur FAST ausverkauft. 73.000 Leute sind laut Berichten bereits am ersten Tag vor Ort.

Die Arkells beginnen überpünktlich fünf Minuten vor 15:00 Uhr, nicht lange, nachdem der letzte starke Regenschauer über dem Gelände niedergegangen ist und auch nur kurz, nachdem das eigentliche Festivalgelände seine Tore geöffnet und die erste Besucherwelle in sich aufgenommen hat. Wie man sieht, kommen ihre Mitsingrefrains der Auftakt-Euphorie der vor die Bühne gespülten Zuschauer sehr entgegen. Viele sind es allerdings noch nicht.

Kurz vorm Auftritt der Shout Out Louds scheint dann auf einmal mit überraschender Vehemenz die Sonne, seltsam, aber nicht verwunderlich – ein starker Wind ändert das Wetter und Klima im Minutentakt. Von irgendwoher wehen Seifenblasen über das wartende Publikum, vor ein paar Minuten wären die noch von schweren Regentropfen zerschossen worden, jetzt dürfen sie glänzen und schimmern. Auch die Band fühlt sich von den höheren Mächten geehrt und spielt energetisch auf. Sänger Adam Olenius ist verblüfft, als das Publikum ihm die Refrains vor der Nase wegsingt – er lässt es lächelnd geschehen. Der erste Festivalmoment im Sinne von Mutter Woodstock: „Let The Love flow.“

Die Sonne, sie sollte leider an diesem Tag nicht wiederkommen. Für einen kleinen Sonnenbrand auf der Nasenspitze hat es bei manchem trotzdem gereicht. Oder war das schon der Alkohol?

19:30 brettern die Hives auf die grünen Mainstage und lassen es sich nicht nehmen, alle Bühnenansagen auf Deutsch zu radebrechen. Wobei: Sänger Pelle Almqvist hat auf den Bühnen dieses Landes offenbar ganz gut die Sprache der Einheimischen gelernt, noch ein paar hundert dieser Festival-Gigs mehr, und er spricht sie fließend. Überhaupt sind The Hives Konzert-Dienstleister per exellcence, dazu passt auch Pelles Ansage, dass er gar nicht mehr wisse wie oft seine Band schon auf dem Hurricane gespielt hat, er  könne es jedenfalls nicht mehr zählen. Aber er weiß, auf welche Knöpfe er drücken muss: „Seid ihr  froh, dass es nicht mehr regnet?“, shoutet er übers Gelände. Die Schleudertrauma-Rockstandards der Hives sind ähnlich effektiv, aber leider auch nur ähnlich originell wie seine Bühnenansagen.

Im Gegensatz dazu The National. Bei denen wird erst mal ganz ernsthaft die eigene Musik vorgestellt – bis jemand offenbar versucht Unterwäsche auf die Bühne zu werfen und dabei nur die stiernackige Security der ersten Reihe trifft. Frontman Matt Berniger lässt sich das Textil reichen und muss feststellen, dass es sich doch nur um ein Shirt seiner eigenen Band handelt. Ein Ereignis mit Symbolcharakter, geradewegs auf das Konzert verweisend: Enttäuschend, es sei denn, man ist Fan.

In der beginnenden Abenddämmerung versöhnt dann ein großer Regenbogen die Festival-Besucher mit den vielen Schietwetter-Stunden. Als Foto wird es simultan via Facebook und Twitter um die Welt gehen. Ein Festival zu besuchen heißt ja auch vor allem Erinnerungen teilen.

Beth Gibbons von Portishead klemmt wie immer mit zwei Händen am Mikrophon und saugt mit ihrer Stimme das Licht aus dem Tag: Plötzlich ist alles schwarz und weiß und ein orange glühender Fast-Vollmond macht die trancehafte Stimmung perfekt. Dazu passend schickt die Band grobkörnige Visuals über die Bühnen-Leinwände, in kurzen Cartoons geht es da irgendwie um Einsamkeit und Entfremdung.  Ein Mädchen in der zweiten Reihe zuckt zu den Stakkato-Takten von „Machine Gun“ hin-und her, und ihr Kopf rastet dabei immer wieder ruckartig ein wie eine Schreibmaschine – sie ist dabei so versunken, dass sie beim Ausschwenken ausversehen die Lippe ihres Boyfriends blutig schlägt. Der verzeiht es ihr jedoch, in dem er sie fest von hinten in die Pärchen-Mangel nimmt. Eine Gruppe weniger sensibler Festival-Recken feiert den Song unterdessen eine Reihe weiter, als wäre er ein Industrial-Nackenklatscher von Rammstein. Ist halt doch irgendwie Metal, das alles.

Till Lindemann von Rammstein hat sich Backstage mit Make-Up dreckig und klebrig gestylt, bevor er mit Band und lautem Knall die Bühne entert. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, er käme direkt aus den bereits genüsslich verwahrlosten Camping-Plätzen, die da hinten irgendwo verwaist im Dunkeln liegen – alle 73.000 Besucher scheinen direkt vor die Bühne geströmt zu sein, um dem Spektakel beizuwohnen. Der Auftritt startet mit Pyro-Technik und Geballer, Lindemann legt sein ganzes Gewicht in das durchweg massive Großkaliber-Konzert. Flatz Flatz Flatz, ein Wachshammer. Die Funken sprühen, das Feuer tost, die Mannen müssen Haut aus Leder haben. Am anderen Ende des Geländes antwortet ein Riesenrad (Hallo Coachella!) mit lustigem Blinken auf das bedrohliche Tosen, dass Rammstein da entfesseln. Wie ein naiver kleiner Bruder scheint es instintiv zu wissen, dass das alles nur Spaß ist. Noch dazu wirken die Kanonenschläge in der Ferne seltsam zeitversetzt.

Der letzte Act am Freitag ist dann Sigur Rós. Was für seltsame Engelsmusik die doch machen, und was für einen erstaunlichen Klang die Menschen im Jahr 2013 doch ganz selbstverständlich als Musik akzeptieren! Und dass das dann so vielen gefällt, und sie dazu selbstvergessen vor der zweitgrößten Bühne hin-und herschwanken …das kommt einem hier dann doch wie eine sehr gute hoffnungsvolle Tatsache vor. 

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