Hurricane-Samstag 2013: Konfetti im Schlamm ist wie Blut im Schnee

Der zweite Tag des Hurricane-Festivals beginnt vielversprechend, die Wolken über Scheeßel sind zwar noch zahlreich, aber kein Regen quellt mehr aus ihnen – und es ist warm genug, dass die Schlammnarben zu begehbaren Rinnen ausbacken.

Gegen 14 Uhr 30, also fast noch morgens, betreten Hudson Taylor die Bühne im bereits güllewarmen, weißen Zelt. Wir sehen drei hippe junge Männer mit Popperfrisuren den Country-Folk der 70er Jahre interpretieren, zeitgemäß und platzsparend mit Drumcomputer statt Schlagzeug.  Optisch sind sie den Arctic Monkeys verpflichtet, musikalisch Crosby, Stills & Nash. Pop als Staffellauf der Einflüsse.

Das Kyteman Orchestra schickt gegen 16.30 Uhr apokalyptische Hymnen in den sonnendurchwirkten Wolkenhimmel. Man hat alles mitgebracht, was ein Orchester so braucht: Bläser, Chor, Pauken und mit Mastermind Colin Benders einen Dirigenten, der in Gedanken und Physis jedes Instrument ekstatisch mitfiebert. Fesselnd.

Teenager lieben Frittenbude, und Frittenbude mögen Teenager, auch wenn man angesichts des Jungvolks, das in Scharen vor der Bühne die Lambrusco-Tetrapacks schwenkt, etwas fremdelt. „Verrückt, dass ihr noch stehen könnt“ heißt es da von oben oder programmatisch als Ansage zum ersten Song „Ihr seid jung, wir sind kaputt!“. Anschließend packt die Band trotzdem den lange aus Angst um die eigene Credibility geschmähten Hit „Bilder mit Katze“ mal wieder aus. Die Menge feiert die Band ebenso wie die eben angebrochenen Schulferien.

Bloc Party wollen sich nach der Festival-Saison bis auf weiteres trennen, hatte Gitarrist Russell Lissack kürzlich verraten. Und vielleicht hat die Routine im Bandgefüge tatsächlich ein bisschen Überhand genommen, ihr Auftritt ist so tight wie ausdruckslos, besonders in ihren Gesichtern. Es beginnt zu nieseln, und auch vor der Bühne und an den Absperrungen beantworten viele Besucher die Frage, wie lange man noch bleiben soll, mit: „ich bin mal eben kurz weg“. 

Nach einem quälend langen Soundcheck – man musste offenbar alle Grundfunktionen der Konzertbühne durchchecken – betreten I am Kloot die etwas kleinere Red Stage am äußersten Rand des Festivalgeländes. Und dann fängt es leider auch auf einmal wieder zu regnen an, und es wird bis zum letzten Auftritt des Tages nicht mehr aufhören. Sänger John Bramwell nennt Gott deswegen einen Bastard und der Keyboarder trocknet eilig sein Instrument und wird dem tropfenden Publikum in einer Songpause dementsprechend mit „ und an den Handtüchern!“ vorgestellt.

Kasabian-Sänger Tom Meighan äußert wenig später mit ernster und ehrlicher Miene Respekt für die im Regen tanzenden Fans: „Das ist Rock ’n‘ Roll, ich danke euch“, ruft er ins Publikum während sich seine Band mit Headliner-Fleiß darum bemüht, durch Körperwärme Dampf zu erzeugen. Bizarrerweise werden gleichzeitig von hinter der Absperrung mit einem großen Schlauch Wassersalven ins Publikum gefeuert. Da wird wohl so mancher später im klammen Zelt die eigenen Beine umschlingen müssen. Auch das ist Rock ’n‘ Roll, jedoch die dunkle Seite.

Die Vermutung liegt nahe, dass Deichkind auf Festivals gerade deshalb so gut funktionieren, weil bei ihnen die im Suff ersonnenen Schnapsideen bei einer High-Tech-Firma in Auftrag gegeben, die Ausmaße eines Andrew-Lloyd-Webber-Musicals annehmen dürfen. Das ist Big-Time-Quatsch, Holiday on Ice (die Droge), LOL-Cats und LED-Light-Express in einem. Auch hat das zum ungelenken Show-Orchester angewachsene Kollektiv ihre Mülltüten-Couture offenbar mal wieder an den heißesten Trends der Festival-Druffies orientiert. Oder lief das umgekehrt? Eigentlich egal ob Huhn oder Ei, hier gilt: Hauptsache befruchtet und voll.

Die Menge feiert die Deichkinder trotz Regen trotz Schlamm trotz schwächelndem Bass und lässt zu den Elektro-Brettern noch einmal so richtig die Gummistiefel schmatzen. Sogar ein Medley der alten Hits aus HipHop-Tagen wird abgeliefert, Ferris MCs „Reimemonster“ inklusive. Das Bild, das nach dem Abmarsch der Massen im letzten Licht zurück bleibt, erzählt Geschichten von verhängnisvoller Schönheit: Konfetti im Schlamm ist wie Blut im Schnee.  

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