Die Achse des Guten – Michael Moore arbeitet mit fragwürdigen Methoden – und hat doch oft recht

Er hat viele Feinde und genießt es. So ist es nicht ohne Eitelkeit, wenn Michael Moore sich in seinem Film „Sicko“ (Start: 11.10.) über die Unmenschlichkeit des US-Gesundheitssystems seine Wirkung als Schreckgespenst bestätigen lässt. Die neun Monate alte, fast taube Tochter eines Mannes braucht Ohr-Implantate, um Sprechen zu lernen. Die Versicherung bewilligt aber nur eines. Zornig schreibt der Vater, ob es dem Vorstandschefgefallen würde, mal von Moore interviewt zu werden. Prompt ist das zweite genehmigt. Bei der Anekdote glaubt man. Moores Grinsen zu sehen.

Moore, der begnadete Entertainer, ist für beflissene Bürgerrechtler ein zweifelhafter Heiliger, aber auch ein Geschenk. Die schwergewichtige Rampensau erreicht mehr Öffentlichkeit als jedes Greenpeace-Spektakel. Nach Kapitalismus, Waffenwahn und Verschwörung knöpft er sich nun mit den an Rendite orientierten Krankenversicherungen ein weiteres fundamentales Problem der amerikanischen Gesellschaft vor. Viel bleibt nicht mehr. Al Gore hat mit „Eine unbequeme Wahrheit“ ähnlich unterhaltsam den Klimawandel thematisiert, Morgan Spurlock in „Super Size Me“ das Fast-Food-Übel.

In „Sicko“ schildert Moore wenig Neues, aber eine Reihe tragischer und gruseliger Beispiele für die unbarmherzigen Konzern-Prinzipien. Menschen sterben, weil sie sich Operationen nicht leisten können. Gutachter erhalten Prämien, sollten sie mehr als zehn Prozent der Anträge auf Kostenübernahme ablehnen. So genannte hitmen durchforsten Verträge und Vergangenheit von Erkrankten nach Fehlern als Kündigungsgrund. Für diese Gewissenlosigkeit zieht Moore eine sarkastische Analogie von Richard Nixons Sorge um den Profit des Marktführers Kaiser Permanente über Ronald Reagan, der noch als Schauspieler auf einer Schallplatte vor dem sozialistischen Elend einer staatlichen Gesundheitsfürsorge warnt, bis zu Hillary Clintons an Lobbyisten gescheiterte Reform.

Ob alles wasserdicht ist, kann man schwer beurteilen, und natürlich hat Moore sich die härtesten Fälle herausgepickt. Er ist ein Partisan, der keine Gefangene nimmt und dieselben Propaganda-Mittel nutzt wie seine Gegner. Das werfen ihm auch Debbie Melnyk und Rick Caine vor und weisen ihm auf ihrer DVD „Manufacturing Dissent“ verdrehte Fakten nach und emotionale Manipulation durch geschicktes Weglassen. Das können Deutsche in „Sicko“ gut nachprüfen, wenn Moore nach Europa übersetzt, in sein Schlaraffenland der Sozialleistungen. Er zeigt einen englischen Mediziner – wohlhabend, obgleich ihn der Staat entlohnt. Frankreich bezahle sogar Haushaltshilfen. „Alles wirklich kostenlos?“, fragt Moore stets mit gespieltem Staunen wie in einer Werbeshow. Diese Grundversorgung ist ein hohes demokratisches Gut. Dass die öffentlichen Kassen nahezu pleite sind, erwähnt der Märchenonkel nicht. Dafür sagte Ulla Schmidt kürzlich, man könne von Amerika lernen.

Sein größter Coup ist der ranschmeißerische Patriotismus während des Kuraufenthaltes beim Klassenfeind Kuba mit „Helden von 9/n“, die seither schwer erkrankt und im Stich gelassen worden seien. In einem von Castros Krankenhäusern wird ihnen geholfen. Umsonst, klar. Die Spontaneität ist gestellt, doch der Stachel sitzt. Wie auch bei seiner Selbstdarstellung als edler Spender für einen seiner Kritiker, der seine Website wegen hoher Arztrechnungen schließen musste. Moore ist ein Egozentriker, aber clever, amüsant – und auf der richtigen Seite.

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