The Weeknd Kiss Land

In unserer kleinen Reihe über die Geschlechterverhältnisse im Pop widmen wir uns heute den weltschmerzbeschwerten Männern und euphorischen Frauen im gegenwärtigen R&B. Zunächst zu den Männern! Abel Tesfaye alias The Weeknd sorgte erstmals 2011 mit drei selbst produzierten Mixtapes für Aufsehen, die er als kostenlose Downloads über seine Website vertrieb. Zu geisterhaft verlangsamten Indie-Pop-Stücken sang der seinerzeit gerade 21-Jährige mit müder Stimme über Weltschmerz, Sex, Selbstekel und Drogenkonsum und den inneren Zusammenhang zwischen diesen vier Phänomenen. Auf „Kiss Land“(Universal), seinem ersten regulären Album für ein Major-Label, singt er nun über Weltschmerz, Sex, Selbstekel und Drogenkonsum unter besonderer Berücksichtigung des Umstands, dass plötzlicher Ruhm und Reichtum alles noch schlimmer machen. Den Indie-und Witch-House-Appeal der ersten drei Alben hat er durch slick-luxurierenden Erwachsenenpop mit brausendem Phil-Collins-Schlagzeug ersetzt. Das kann man -wie viele amerikanische Kritiker bisher -als Anbiederung an den Mainstream rügen. Tatsächlich spitzt es nur in schlauer Weise die sonderbar selbstwidersprüchliche Inszenierung Tesfayes zu, der mit lieblichem Falsett von den erschröcklichsten Dingen kündet.

„Somewhere between psychotic and iconic“: So verortet sich auch der kanadische Rapper Drake, dessen von Weltschmerz, Sex, Selbstekel und Größenwahn geprägtes 2011er-Album „Take Care“ gern als glitzernder Hitparadenzwilling des Weeknd’schen Frühwerks aufgefasst wurde. Auf „Nothing Was The Same“(Universal) sind wohliges Wehleid und Nabelschau nun aber weitgehend dem Wunsch nach Weltveränderung gewichen. „I wanna take it deeper than money, pussy, vacation/And influence a generation that’s lacking in patience“, heißt es in „From Time“, und die innere Unruhe, die aus diesen Worten spricht, treibt Drake auch musikalisch in neue Höhen. Fabelhaft, wie er schon in der ersten Single „Started From The Bottom“ im Frühjahr seine Beats skelettierte und stolpern ließ. Und wie er seine ungemein geschmeidigen Raps nun auf Albumlänge mit ultraverlangsamten Southern-Rap-Samples, verwehten R&B-Stimmen oder ungut klackernden Industrial-Beats kombiniert – das hat in der aktuellen Sprechgesangskunst nicht seinesgleichen. Große Kunst!

Wie auch -um nun zu den euphorischen Frauen zu kommen -das Debüt der ebenfalls aus Kanada stammenden Sängerin und Produzentin Jessy Lanza. „Pull My Hair Back“(Hyperdub/Cargo) wurzelt mit seiner Mischung aus minimalistischen, aber druckvollen Beats und soulvollem Gesang im R&B-Futurismus der Neunziger. Ähnlich wie bei der Musik von The Weeknd und Drake, dürfte auch hier das Frühwerk von Timbaland zu den wesentlichen Inspirationen gehören. Wie sie Gesang und Elektronik verzahnt und ihre Stimme durch Sampeln und Rhythmisieren zum musikalischen Material macht: Das erinnert indes eher an das neuere Digital-Native-Songwriting von James Blake oder Julia Holter, und mit „Fuck Diamond“ und „Keep Moving“ hat Lanza auch umstandslos zum Tanz bittende Tech-House-Stücke im Repertoire.

Als Ergänzung zu dieser fabelhaften Platte hören Sie nun bitte noch die neue EP von FKA Twigs: Auf „EP2″(Young Turks/Beggars/Indigo) mischt die junge Londoner Sängerin die klangliche Experimentierlust von Jessy Lanza mit dem Weltschmerz der R&B-Männer und befreit sich doch in jedem Song, mit glockenhell emporstrebender Stimme, aus dem depressiven Dräuen ihrer Sounds. Dem für das nächste Frühjahr angekündigten Albumdebüt sehen wir jetzt schon mit größter Spannung entgegen.

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