Who’s Afraid Of The Great American Drama? Zum Tod des Filmregisseurs Mike Nichols

Mike Nichols hat sich mit Filmen wie "Die Reifeprüfung" und "Who Is Afraid Of Virginia Wolf" in die Filmgeschichte eingeschrieben. Trotzdem wird er selten zu den großen Filmemachern gezählt. Dabei inszenierte er - oft mit satirischem Witz - die großen amerikanischen Dramen.

Nun werden noch einmal alle von „The Graduate“ („Die Reifeprüfung“) sprechen, weil der zweifellos wunderbare Film mit seinem eindringlichen Soundtrack von Simon And Garfunkel und der noch eindringlicheren schauspielerischen Darbietung von Dustin Hoffman so etwas wie ein Generationenfilm ist. Hier wird das Lebensgefühl einer gelangweilten Wohlstandsjugend im Aufbruch geschildert. Am Mittwoch (19. November) wurde bekannt, dass Mike Nichols, der Regisseur dieses Filmklassikers, im Alter von 83 Jahren gestorben ist. Wie kein anderer Filmemacher gelang es ihm in seinen Leinwandspielen die großen amerikanischen Dramen abzubilden.

Trotzdem wird Nichols – bisher – nicht zu den großen Filmregisseuren gezählt. Dabei hat er einer der erstaunlichsten Debüts in der Geschichte des Kinos abgeliefert: 1966 wagte er sich nach ersten Erfolgen am Theater daran, das wirklich sehr erfolgreiche und bis heute weltweit immer noch gespielte Stück „Who’s Afraid Of Virginia Woolf“ zu inszenieren – mit dem (zerstrittenen, versoffenen, ätzenden) Ehepaar Richard Burton und Liz Taylor in den Hauptrollen. Es ist erstaunlich, mit welcher Stilsicherheit und Eleganz es Nichols gelang, die Pointen der Vorlage adäquat in den filmischen Raum zu übertragen. Die expressiven Schwarzweißbilder und gewagten Kameraperspektiven verhalfen dem Kammerspiel zu einer außerordentlichen Dringlichkeit, die auch heute noch zu spüren ist. 13 Oscar-Nominierungen und fünf gewonnene Goldjungen (u.a. für Liz Taylor und Sandy Denis) waren der Lohn. Erstaunlich für einen Debütfilm.

Schon mit seinem zweiten Film „Die Reifeprüfung“, wieder nach der Vorlage eines Theaterstücks, hätte Nichols unsterblich werden können: Der Kultfilm gilt nicht nur als der 68er-Streifen, sondern markierte auch den Anfang der New-Hollywood-Ära, die experimentellen Filmemachern wie Steven Spielberg, Robert Altman und Francis Ford Coppola ermöglichte, ihre nicht selten abseitigen Fantasien auf die große Leinwand zu bringen. Diesmal gab es auch für Nichols einen Academy Award.

Doch die 1970er-Jahre brachten dem 1931 in Berlin geborenen US-Amerikaner kein Glück: Filme wie „Catch 22“, „Der Tag des Delphins“ oder „Die Kunst zu lieben“ scheiterten an der Kinokasse und ließen ihn auch den Rückhalt der Kritik verlieren, die zuvor ausnahmslos in Feierlaune war. Nichols zog sich aus der vordersten Reihe zurück und verlegte sich auf das Produzieren. Erst in den 1980ern wagte er sich zurück auf den Regiesessel und verhalf der großen Meryl Streep zu einigen facettenreichten Rollen („Sodbrennen“, „Silkwood“). Für „Silkwood“ hagelte es erneut Oscar-Nominierungen, selbst Cher ließ sich zu Höchstleistungen anstacheln und erhielt – neben Hauptdarstellerin Streep – ihre erste Nominierung („Beste Weibliche Nebenrolle“).

Weil Nichols in seinen frühen Filmen gezielt den Zeitgeist getroffen hatte, wurde erst spät klar, dass man es mit einem dezidiert politischen Filmkünstler zu tun hatte. „Sodbrennen“ reflektierte die Watergate-Affäre und „Silkwood“ die Tücken des Gewerkschaftskampfs. Dabei gelang es Nichols stets, mit großem Feingefühl starke Frauenfiguren zu zeichnen – nicht zuletzt in seiner treffenden Komödie „Die Waffen der Frauen“.

Ja, auch das vermeintlich leichte Komödienfach beherrschte der Regisseur – die deutschen Titel von „Birdcage – Ein Paradies für schrille Vögel“ und „Good Vibrations – Sex von einem anderen Stern“ verraten, welchen Weg der Humor hier einschlug. Nichols hatte Ende der 50er und Anfang der 60er lange Zeit in einer Comedy-Truppe mitgeblödelt und kannte sich mit diesem Metier bestens aus. Zu berühren wusste der Amerikaner aber stets mit Subtilität: „In Sachen Henry“ zeigte Harrison Ford von seiner verletzlichsten, berührendsten Seite.

Zur Jahrtausendwende gelangen Mike Nichols dann noch einmal mehrere Meisterwerke, die nun unbedingt noch einmal in den Fokus geraten sollten: Die HBO-Miniserie „Angels In America“ – wieder nach einem Bühnenstück, diesmal von Tony Kushner – ist sicherlich einer der Höhepunkte in seiner Karriere. Hervorragend besetzt mit Al Pacino, Meryl Streep, Emma Thompson und Mary-Louise Parker schildert der Film auf hochkomplexe und zugleich zärtlich-pathetische Art und Weise den Eizug von AIDS in die Lebenswelt seiner wenigen (hochstilisierten) Figuren. Man mag die Engelsszenen als Kitsch abtun, aber die schiere Wucht der Dialoge und die mutige, zuweilen surreale Inszenierung mit Anleihen an Jean Cocteau nehmen völlig für sich ein.

Dem Kino schenkte Nichols noch einmal einige Stoffe, die den Zuschauern eine Menge abverlangten: „Hautnah“ (wieder ein Theaterrstück, hier von Patrick Marber) zelebriert in einem elliptischen Erzählfuror ein aufreizendes Beziehungskarussell. Nathalie Portman spielte sich hier erst so richtig warm für ihre großen Rollen. „Der Krieg des Charlie Wilson“ – nun Nichols Vermächtnis – ist hingegen im Verbund mit der Drehbuchkunst Aaron Sorkins („The West Wing“, „The Newsroom“) der gelungene Versuch, mit einer verwegenen Satire die US-Außenpolitik zu demaskieren. Solche satirischen Stoffe sind derzeit Mangelware in Hollywood!

Auf all diese großen amerikanischen Dramen und Satiren, die im Herzen stets die Tragödie eines oder mehrerer an an ihrer Liebes- oder Handlungsunfähigkeit leidenden Außenseiter schildert, einen kräftigen Schluck Whiskey.

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