Krankheit zum Tode

Wie die Serie „Breaking Bad“ verzweifelt-komisch an der letzten menschlichen Front balanciert.

Während das Hollywood-Kino sich den Comic-Superhelden, dem Teenager-Klamauk, den romantische Komödien und dem 3D-Wahn ergibt, dreht das amerikanische Fernsehen die erstaunlichen kleinen Filme, die früher John Cassavetes, Paul Schrader, Abel Ferrara, Jonathan Demme, Jim Jarmusch, Hal Hartley inszenierten – mit den technischen und erzählerischen Mitteln (und der Intelligenz), die Steven Soderbergh für „Traffic“ oder Curtis Hanson für „The Wonder Boys“ zur Verfügung standen. Vince Gilligans Serie „Breaking Bad“ wirkt schon bei der kürzesten Zusammenfassung wie ein Hirngespinst, das kein Fernsehsender produzieren würde: Krebskranker Chemielehrer braucht Geld und kocht Crystal Meth, das er an Schwerkriminelle verkauft. Irr! Andererseits hat Vince Gilligan früher die „X-Files“ ersonnen, in denen die Grenzen der Wahrscheinlichkeit erheblich ausgeweitet wurden. Und wenn eine Serie in Albuquerque, New Mexico, angesiedelt ist, dann liegt ein ordentliches Quantum Surrealismus schon im Schauplatz begründet.

„Breaking Bad“ macht einen zunächst mit der Welt der amerikanischen Mittelschicht vertraut: Walter White vergeudet seine Kompetenz als promovierter Chemiker als Lehrer an einer High School; seine Unterrichtsstunden sind ähnlich deprimierend wie die von Michael Stuhlbarg in „A Serious Man“ von den Coen-Brüdern. Whites Ehe mit Styler ist längst in Ennui erstarrt, der sprach- und gehbehinderte Sohn Walter junior wird in der Schule gehänselt, und weil das Geld nicht reicht, muss Vater nach dem Schuldienst in einer Autowäscherei arbeiten. Als er vom Tresen in die Waschanlage versetzt wird, entdecken ihn dort dieselben Schüler, denen er am Vormittag das Elementesystem erläutert hat, auf dem Boden liegend. Nach dieser Demütigung kann es nur noch abwärts gehen. Und tatsächlich: Walter ist kurzatmig, er hustet immerzu – der Arzt diagnostiziert Lungenkrebs.

Die Dialektik von „Breaking Bad“ will es aber, dass die tragische Figur Walter White langsam zu einem Helden wächst, dass der Tod ihm die Freiheit gibt, von der er 50 Jahre lang nichts geahnt hat. Sein Stolz und sein Stoizismus standen ihm im Weg: Er hat es einst abgelehnt, bei der mit einem Kommilitonen gegründeten Chemiefirma mitzuwirken; mittlerweile ist der alte Freund Millionär. Bei dessen Geburtstagsfeier bietet er Walter einen Posten an und die Übernahme der Kosten für die Krebstherapie – doch Walter versteinert, weil Styler die Todeskrankheit verraten hat. Die mögliche (zumindest finanzielle) Rettung vor Augen, verlässt er zürnend die Feier.

Auch die Chemotherapie mit allen Nebenwirkungen mag Walter nicht wagen, weil er sein letztes Jahr in Würde verbringen will. In einer der erschütterndsten, brutalsten und komischsten Szenen hat Styler ihre Schwester Marie und deren Mann, den Polizisten und Drogenfahnder Hank, sowie Walter junior zu einer „Intervention“ im Wohnzimmer versammelt. Das Knautschkissen zeigt an, wer gerade die Redehoheit an. Der jovial-unbeholfene Hank stammelt redundante Klischees vom „Kämpfen“, Styler klagt an, der Sohn druckst herum. Dann erklärt sich der peinlich berührte Walter. Schließlich wird die Schwester gefragt, eine überdrehte Kleptomanin. „Ich finde, Walter hat völlig recht“, platzt sie heraus, zur Empörung von Styler.

Noch selten wurden die Schrecken der Krankheit so trostlos dargestellt wie in der ersten Staffel von „Breaking Bad“. Die Röhre mit ihrem Gelärme, die Pfröpfe, die am Oberkörper befestigt werden, der Gang zum Schalter nach der Behandlung und die Bitte: „Den Scheck erst nach Montag einlösen.“ Die Art, wie Bryan Cranston die absolute Erniedrigung darstellt, erledigt die gesamte Debatte um das amerikanische Gesundheitssystem. Walter verlässt den Unterricht, er erbricht sich in die Toilette, der mexikanische Hausmeister wischt auf und gibt ihm ein Kaugummi – derselbe Hausmeister wird später von Hank als Verdächtiger verhaftet, denn aus dem Chemielabor an der Schule sind einige Gefäße abhanden gekommen, wie die Inventarliste ausweist. Den biederen Walter hat niemand im Verdacht, so trottelig, angststarr und linkisch er sich auch verhält. Alle sehen in ihm den hoffnungslosen Fall.

Doch der Tote auf Urlaub verwandelt sich in den Herrn seines Schicksals. Mit dem jungen Jesse stellt er das Methylamphetamin her, und nachdem der Partner zusammengeschlagen wurde, bringt Walter es selbst zu dem Großhändler Tuco und deutet zitterig an, dass er bis zum Äußersten gehen würde, wenn er das Geld nicht bekäme. Als „Heisenberg“ stellt er sich vor – und mit dieser Mimikry (die bald von einen schwarzen Quäker-Hut unterstützt wird) durchläuft er eine Metamorphose, wie man sie von den Superhelden aus den Comics kennt, die wider Willen zu Außenseitern, Mutanten und Sonderbegabten werden. „Breaking Bad“ mischt den Hyperrealismus des familiären Alltags und die technoide Verwaltung des Sterbens (von Walter) mit grimmigem Slapstick und dem Klamauk des Todes (von Drogendealern und Gangstern). Fast ein bisschen traurig ist es, dass eine so herrliche Figur wie der mörderische und sentimentale Tuco erst liebevoll aufgebaut, dann aber allzu bald zerstört wird. Von den „Sopranos“ haben wir gelernt, dass allen Figuren dieselbe Empathie gebührt. Der Tod als gemeinsame letzte Front aller Menschen, im Sinne von Camus, wird von Walter herausgefordert. Aber diesen Sisyphos müssen wir uns nicht als glücklichen Menschen vorstellen.

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