Frank Schulz – Der Antiheld trägt Noppen-Socken

Wenn der Hamburger Autor FRANK SCHULZ einen Thriller schreibt, stockt dem Leser nicht der Atem, ihm bleibt die Luft weg - vor Lachen.

Ein Hüne, halb Mensch, halb Amphibie, splitterfasernackt, von oben bis unten tätowiert, zahnlos, ohrlos, einen abgenagten Poulardenknochen durch die Nase gezogen und Teufelshörner aus Teflon unter die Kopfhaut implantiert, kapert auf der Hamburger Außenalster den Ausflugsdampfer „Saselbeck“. Da bleibt selbst den Schlumper Shanty-Boys der „Hamburger Veermaster“ im Halse stecken. Nur Dagmar aus dem rheinischen Arnoldsweiler hält geistesgegenwärtig ihre Kamera drauf. Der Riesenlurch grunzt und schnauft. Erst nachdem er einen langen Dolch aus seinen Lefzen gezogen hat, ringt er sich – trotz dentaler und nasaler Beeinträchtigungen – eine menschliche Äuße-rung ab: „Tächau. Die For’äoufwoiwee biddeee?“ (auf Deutsch: „Guten Tag auch. Die Fahrausweise bitte?“).

Man muss kein Kriminologe sein, um zu erkennen, dass es sich hier mitnichten um einen Fahrtkartenkontrolleur handelt. Es hilft aber, ein Kenner der komischen Literatur zu sein, wenn man anhand der höflichen Frage des Hünen herausfinden will, wer hinter dieser grotesken Szene stecken könnte – das hamburgische „Tächau“, der Arno Schmidt’sche Hang zur Onomatopoesie, zur Lautmalerei also, dieser gestochen scharfe, ja, übersteigerte Realismus, der fast surreal wirkt: Das kann eigentlich nur Frank Schulz sein.

Der 1957 in Hagen bei Stade geborene Autor wurde mit seiner „Hagener Trilogie“ („Kolks blonde Bräute“, „Morbus Fonticuli“ und „Das Ouzo-Orakel“) um den süffelnden Studienabbrecher und Erinnerungserotomanen Bodo Morten zum Lieblingsautoren der trinkenden Denker und denkenden Trinker. Danach schlug er mit einem Naturlyrik-Bändchen und der Erzählungssammlung „Mehr Liebe“ ruhigere Töne an. „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ ist nun wieder Schulz in Hochform und voller Lautstärke. Alles wieder da: die Komik, die Sprachgewalt und Präzision, die Männerfantasien, der Kiez und die Kneipen.

Als „Suspense-Thriller mit grotesken Elementen“ kategorisiert der Autor diese Geschichte um den titelgebenden mittfünfziger Hartz-IV-Empfänger, passionierten Ping-Pong-Spieler und Noppensockenträger, der sich – das Finanzamt im Nacken und den Geburtstag seiner Gattin Edda vor Augen – entschließt, seine klamme Kasse mit Detektivarbeit aufzufüllen. „Als ich anfing, die Stimmung des Buches zu imaginieren, schwebte mir eine sphärische Mischung aus, Twin Peaks‘ und, Fargo‘ vor“, so Schulz. Und der an einer Hühnerkopfphobie leidende, tapsige Onno könnte locker aus einem Coen-Film stammen. Raymond Chandler schrieb einmal, ein Privatdetektiv dürfe im Roman in jedem Sinn realistisch sein, außer in einem – „in life as we know it such a man would not be a private detective“. So gesehen hat Schulz den perfekten Ermittler geschaffen. Er habe seine Figur abgrenzen wollen „von all den magenkranken Schweden, Tourettelern und Genies, die sich in der Ermittlerszene so tummeln“, erklärt er.

Seinen ersten Auftrag erhält Onno von Nick Dolan (klingelt’s?), einem Hamburger Pop-Titan und Initiator einer Erotik-Castingshow (ganz genau!). Der vermutet, dass seine Freundin, das katzenbergereske Fernsehstarlet Fiono Popo, einen anderen hat. Stimmt, wie unser Ermittler bald unter massivem Körpereinsatz herausfindet. Nur ist der Liebhaber in vielerlei Hinsicht einfach eine Nummer zu groß für ihn, wie überhaupt die unauffällige Observation nicht zu seinen Stärken zählt. Da sind ihm sein „Charisma für Arme“, seine Gutmütigkeit und Fähigkeit zur Empathie im Weg. Und so muss Onno sich schließlich entscheiden zwischen Geld und Gewissen, Freundschaft und Verrat, während sich vor seinen „indischen Kuhaugen“ Medienmenschen und Kiezlegenden in normale Menschen und normale Menschen in aquatisch-terrestrische Schaffner (s.o.) verwandeln. Der neue Schulz ist also eine Art umgekehrter „Froschkönig“, ein modernes Märchen, ein Spiel mit fantastischen und realistischen Figuren, dem wir mit dem Titelhelden und dem tüdeligen Streetworker Albert Loy alias Hein Dattel mindestens zwei Charaktere verdanken, denen wir im Alltag wiederbegegnen werden. Und auch den Fahrausweis wird man nach der Lektüre nicht mehr vorzeigen können, ohne vor dem inneren Auge in die Fresse eines Riesenlurchs zu starren.

„Onno Viets und der Irre vom Kiez“ ist beim Galiani Verlag erschienen und kostet 19,99 Euro. Die „Hagener Trilogie“ erscheint im April als Taschenbuch.

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