Arctic Monkeys: Hinter Schloss und Schokoriegel

Die vielzitierten Jungs von nebenan sind die Arctic Monkeys längst nicht mehr - als erfolgreichste Newcomerband Großbritanniens stehen sie sehr unbequem zwischen Karriere- und Lebenserwartung.

Die Arctic Monkeys sind vor allem schnell. Schnell an der Spitze, schnell weg und wieder da, und, zum Beispiel bei Konzerten, schnell fertig. Dass die Bandmitglieder alle etwas leicht Wieselhaftes an sich haben, macht den Eindruck noch stärker.

Sportberichterstattung ist das, wie man sie noch nie erlebt hat im Pop-Talk, der Sachen zwar am liebsten total neu findet, aber jede Anmutung des Überstürzten ablehnt: Die Musik der Arctic Monkeys sei allerdings so schnell bekannt geworden, ganz von allein, wie es keine irdische Plattenfirma je hingekriegt hätte, heißt es. und auch die Musik selbst ist ja sehr schnell, und dann soll die erste Platte mit fast 364000 Exemplaren in der letzten Januarwoche 2006 auch noch das am schnellsten am meisten verkaufte Debütalbum irgendeines Künstlers in der 50-jährigen Geschichte der britischen Charts gewesen sein – heute stehen die Verkäufe bei weltweit über zwei Millionen -, und kaum sechs Wochen später wurde es schon vom „NME“ zur wichtigsten Platte in der über 200-jährigen Geschichte des Königreiches überhaupt ernannt.

Und ein gutes, mit allem üblichen Zeug wie Reading-Festival, „Saturday Night Live“-Auftritt und drei Brit Awards auf zwei Verleihungen hektisch durchgerocktes Jahr später kommt drunter- und drüber pünktlich das zweite Album. Da rast jemand quasi durch den Wald. Und eigentlich mögen wir das.

Es hat sicher nichts damit zu tun, dass die Arctic Monkeys so jung und potent wären und sich bei ihnen ständig so viel anstaut, dass es unbedingt rausmuss. Man kennt vielmehr die kurze Aufmerksamkeitsspanne des datenverseuchten Publikums – da wären die organisierten Kräfte blöd, wenn sie sich nicht so beeilen würden, die Monkeys durch alle Kanäle zu schießen. Obwohl zum Beispiel nach dem Auftritt kürzlich im Berliner Postbahnhof viele über die wahnwitzige Geschwindigkeit des Konzerts klagten, das nach einer knappen Dreiviertelstunde wieder vorbei war. Beim Probehören der neuen Platte „Favourite Worst Nightmare“ meinten dann noch mehr, dies sei eindeutig ein fahriger Schnellschuss, mit dem die Band sogar schon ihr eigenes Vergessenwerden beschleunige. „Oh, in five years time will it be: ‚Who the fuck’s Arctic Monkeys?'“ hat Sänger Alex Turner auf der EP, die drei Monate nach dem ersten Album in die Läden hetzte, ziemlich unrhetorisch gefragt, sicherheitshalber. Mick Jagger war beim ersten Nummer-eins-Hit aber auch erst 21, und es gibt ihn noch. Sollte diese Band-Karriere allerdings wirklich eine in erster Linie sportliche Angelegenheit sein, dann könnte die Zeit der Arctic Monkeys bald knapp werden. Los Angeles, die neue Heimat von David Beckham, wird sie nicht haben wollen.

Man muss schon sehr viele sogenannte Anti-Stars hinter sich haben, um darauf gefasst zu sein, nach wie wenig die Arctic Monkeys aussehen. Immer wieder fotografieren Leute sie von allen Seiten, in der Hoffnung, da wäre vielleicht noch irgendetwas zu finden, eine Seite an ihnen, die aber einfach nicht da ist. Sie stehen an der Schienenbrücke, die im ersten Stock des Berliner Postbahnhofs über die Straße geht, genau das richtige Nachmittagsfrost-Licht, damit die Fotos beim Entwickeln an Arbeiterklasse und leicht, aber nur leicht problematische Jugendliche erinnern. Die Mitglieder, drei sind 21, einer ist 20, kommen ja nicht mal direkt aus der Stadt Sheffield, sondern aus dem ländlichen Yorkshire-Vordorf High Green mit rund 10000 Einwohnern, wenig Arbeitslosen und vielen schönen Wanderwegen.

Einer sonderlichen Begabung verdanken es die vier, dass sie auf Fotos fleckiger und aknepockiger aussehen als in Wirklichkeit. Eine Handball-A-Jugend in Jeans-Spargeln, Kapuzenpullis, es flimmert beige, grau und dunkelblau, nur der neue, nachgerückte Bassist Nick O’Malley posiert in Weinrot. Der Fotograf tut sich leicht, am zweiten der 20 Europa-Tage machen alle Arctic Monkeys ungefragt den Wieselblick, sind still, und ruinieren nichts. Sänger Turner diskutiert noch das am Abend anstehende Champions-League-Spiel Liverpool/Barcelona, das sie nicht gucken können, weil sie ja selbst spielen – der Fotograf tippt 1:0, Turner sagt: „Naaaa, irgendwas Komplizierteres! 3:2 vielleicht.“ Als Turner in einen beschwingten Trab verfällt, ruft ihm Schlagzeuger Matt Helders ein Wort hinterher, das man wohl mit „Schwulibert“ übersetzen würde.

Erlebt man denn noch genug Taugliches, wenn so die Tage dahingehen? „Och ja“, wispert Turner. „Die Musik, das ist ja nur eine Stunde am Tag oder so. Wir machen noch viele andere Sachen und bekommen viele Geschichten mit. Das heißt nicht, dass man über nichts anderes mehr schreiben könnte als über… das Catering. Oder so ähnlich.“

Öffentlichkeitsarbeit ist ein Problem. Es gibt Moderatoren, die die Arctic Monkeys für uninterviewbar halten. Sie berichten von Nasepopeln, SMS-Schreiben während des Gesprächs, von dehnbarer, peinlicher Stille. „Um das mal klar zu sagen: Sie sind richtig, richtig jung und stecken in einer verrückten Situation, mit der sie sich arrangieren müssen“, sagt James Ford von Simian Mobile Disco, der die frühen Plattenfirmen-Demos der Monkeys produziert hat und jetzt Teile des neuen Albums. „Sie sind die am wenigsten eingebildeten, unkompliziertesten Menschen, die man sich vorstellen kann. Dass sie unter dem ganzen Druck auf manche Leute trotzdem unnahbar wirken, ist kein Wunder. Ein bisschen schüchtern sind sie von Natur aus.“ Und, weiß Gott, keine sonderlich interessanten Typen. Nicht gebildet, aber intelligent genug, um ein angemessenes Schweigen nicht mit Schwachsinn zu planieren.

Wenn die Musik so schnell vorbeigeht, was bleibt denn dann? „Hmm… wir sind letztes Jahr in Berlin hoch auf den Turm, den Fernsehturm, ich und Nige“, sagt Alex Turner – Nige ist der offizielle Lieblingsroadie, der der Legende nach ein Doppel-Sandwich von Sainsbury’s komplett in den Mund kriegt. „In dem Dreh-Restaurant haben wir Eis gegessen. Das war touristisch. Coup Dänemark. Manchmal ist ein Spieß mit Glitter oben drauf. Super. Ich mag das. Die gute heiße Soße.“

„Ich wollte aufs Empire State Building“, sagt Gitarrist Cook, „aber die Schlange war so lang, das war mir zu blöd.“ Turner: „Ich war oben! Mit meiner Freundin. Nachts. Romantisch.“ „Romantic“ spricht er so klickernd aus, dass er im Notfall sagen kann, es war ironisch gemeint.

Was man von den Arctic Monkeys noch nie gehört hat: Dass dies ihr wahr gewordener Traum sei. Dass die Nummer eins und der Lancashire Cricket Ground in Manchester, wo sie im Juli vor je 50 000 Leuten ihre zwei größten Shows spielen werden, die Orte seien, an die sie immer gewollt hätten. Weil es nicht so ist. Sie sind eine grandiose, ungeheuer besondere Band, aber keine Künstler. Die Arctic Monkeys hätten auch als überzeugte, professionelle Skater oder, wie vorübergehend Gitarrist Jamie Cook, als Fliesenleger enden können, wenn nach dem ersten Auftritt als Rockband im September 2003 nicht alles so schnell in Fahrt gekommen wäre. Ein Langeweile-Projekt von Nachbarskindern, vom gescheiterten Musiker Geoff Barradale als Manager gepusht, Auftritte im Pub, wo sie laut Turner „am Ende immer ein Mikrofon im Auge und einen Trommelstock in der Nase“ hatten. Die berühmten Demo-CD-Rs, die sie verschenkten und die, ganz nach Plan, wie Shareware weiterkopiert wurden. Schokoriegel und Überraschungs-Eier stehen auf ihren Backstage-Ridern. Im Mai ging Bassist Andy Nicholson. Sie sagen noch heute, er habe ihnen nur schale Ausreden und keine glaubwürdigen Gründe genannt.

Aber sogar als Außenstehender kann man sich vorstellen, wie unwohl er sich gefühlt hat. Es gibt da nämlich ein grundsätzliches, eigenartiges Missverhältnis zwischen diesen vier Typen und den Bühnen, Plattformen und Kontexten, auf und in denen sie erscheinen: Die wahnsinnige Geschwindigkeit hat die Arctic Monkeys automatisch an Orte gebracht, an die sie eigentlich nicht gehören. Wo sie bewundert und wie kleine Freaks bestaunt werden, wo hinter der Aufmerksamkeit immer etwas Herablassung steht: klein, picklig, trotzdem gute Plätze in der Gala!

Zur 2007er Brit-Awards-Verleihung im Februar, bei der sie die Preise „Beste britische Band“ und „Bestes britisches Album“ kriegten, kamen die Arctic Monkeys nicht. Video-Dreharbeiten. Sie schickten zwei Dankesreden – eine in Verkleidung als Village People, eine als „Wizard Of Oz“-Cast. Ausgestoßene Figuren, Freaks, aber wahrscheinlich war das nur Zufall.

„Der Vorteil an unserem Alter ist, dass wir keine Familien, Frauen und Kinder haben, keine Verantwortungen. Sonst könnten wir das alles nicht machen“, sagt Schlagzeuger Matt Helders. „Klar vermissen wir unsere Eltern, Freunde und Girlfriends. Aber wir sind eben nicht gezwungen, zu Hause immer physisch anwesend zu sein, wie andere Leute, die nach ihren Kindern schauen oder die Hypothek abzahlen müssen.“ So gesehen – und man hört es wahrlich selten, und vielleicht gilt es auch nur für ganz wenige Leute, und die Arctic Monkeys gehören zu ihnen – ist Rockmusiker auch nur ein Pendlerberuf mit etwas weiteren Wegen. Bei dem das sogenannte Showbusiness immer die fremdere der zwei Welten bleibt.

„Wenn wir nach einer Tour heimkommen, ist plötzlich wieder alles ganz normal“, sagt Helders. Fragen die Freunde dann, was die Arctic Monkeys auf den aufregenden, wieselflinken Reisen um die Welt erlebt haben? „Ja, die interessieren sich dafür, aber wir langweilen sie nicht mit Einzelheiten. Uns kommt es eher so vor, als ob wir viel mehr verpassen als sie. Was man da alles hört: Eine ist schwanger geworden, einer hatte eine Schlägerei, einer ist im Gefängnis… Oder wenn einer von den wirklich guten Freunden Geburtstag hat, alle gehen zusammen weg, haben einen tollen Abend- und man selbst ist nicht da. Oder man hört eine richtig lustige Geschichte und denkt sich: Wie gern wäre ich da dabei gewesen!“

Soundcheck in Berlin. Es scheint ihnen gut zu gefallen – vor allem Jamie Cook zieht die Diskussionen mit dem Techniker über seine Gitarren-Sounds mutwillig in die Länge. Alex Turner hält sein Instrument wieder sehr eigenartig, viel zu hoch, fast unter den Arm geklemmt, und wenn die Arctic Monkeys zum Einpegeln die Stücke ihrer neuen Platte spielen, Emo-Funk, Drillbohrer und Ohrfeigen, die niemand mitsingen können soll, wenn die soften Jungs von der beliebtesten neuen Band Großbritanniens auf der Bühne plötzlich etwas Technoides, Duracell-Häschenhaftes bekommen, like some rohots from 1984 – dann versteht man, dass sie mit den vielen vielen Landsleute-Gruppen, die romantisch und wütend aus ihren typischen Sozial räumen herausmusizieren, nicht das Mindeste zu tun haben.

Am Ende des Soundchecks, kurz bevor die circa fünfstündige, völlig nutzlose Wartezeit auf den Auftritt beginnt, üben sie noch eine Coverversion, für den nächsten Besuch in der BBC-Radioshow „Live Lounge“: „Is This It“ von den Strokes. War’s das schon? Sie spielen es notentreu, aber der Song ist viel zu relaxt für die Arctic Monkeys. Man spürt, wie sie sich am Riemen reißen müssen, um nicht loszuhetzen. Weil sie schnell fertig sein wollen, weil sie schnell nach Hause wollen.

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