Das zweite Leben

Suzanne Vega ist zum Familienmenschen geworden und hält ihre Heimatstadt New York auf einem Album fest

Die Meldung ist nicht überraschend: Suzanne Vega hat ein Album über New York gemacht. Das letzte, eher persönliche Werk „Songs In Red And Grey“, erschien im September 2001, kurz nach den Anschlägen auf die Twin Towers – Vega kam sich dann etwas fehl am Platz vor, zumal die Journalisten nicht über die Platte reden, sondern Befindlichkeiten aus New York hören wollten. Gemeinsam mit ihren Freunden des „Greenwich Village Songwriter’s Exchange“ – einer Art Komponistenclub – stellte sie eilig die Compilation „Vigil“ zusammen, doch ein erschöpfendes Statement war das für sie offenbar nicht. Verständlich für Vega, deren Leben und Karriere aufs Engste mit der Stadt verbunden ist – von der Kindheit in der Familie des puertoricanischen Stiefvaters in East Harlem über die ersten Konzerte in den Clubs der neu erwachenden Folk-Szene in Greenwich Village bis zu den Riesenerfolgen der ersten beiden Alben, die Vega zur New York icon machten. „Es war einfach das Offensichtlichste, meine Beobachtungen der letzten sechs Jahre zum Thema eines Albums zu machen“, erklärt Vega, „die Stadt hat eine schwere Zeit hinter sich, und das Trauma sitzt tief. Ich wollte einfach ausdrücken, wie es ist, derzeit in New York zu leben.“ Wobei „Beauty & Crime“ nicht nur die Gegenwart in Schnappschüssen festhält. Drei, vier Lieder sind klare Blicke in die Vergangenheit, mit denen Vega sich ihrer Herkunft vergewissert, gleichzeitig aber auch vom Verschwinden erzählt. Auch in „Ludlow Street“- von dem des 2002 gestorbenen Bruders Tim Vega, zu dessen Tod sie sich noch immer nicht äußern mag. Vegas Lyrik ist wie sie immer war: effizient und distanziert, ohne emotionslos zu sein. Auf Papier sehen diese Texte oft gar nicht wie Strophen und Refrains aus, eher wie Erzählungen oder Briefe. „Es ging mir um Zeit und darum, wie sie vergeht und die Dinge mitnimmt – eben sind da noch zwei Hochhäuser, jetzt nur noch Staub und Knochen. Es geht auch um Ebenen von Zeit, darum, etwas festzuhalten.“

Vega sagt solche Sätze, wie sie ihre Texte komponiert: knapp, streng, literarisch, etwas herrisch, in einer Art also, die man in ihrem zahmen, mit weicher Stimme gesungenem Songwriter-Folk nicht wahrnimmt. Aber die Vorstellung von der romantischen Suzanne Vega war ja schon in den Achtzigern ein Missverständnis zumindest der deutschen Jute-Jugend, die Vega für eine der ihren hielt.

Insgesamt, sagt Vega, habe sie mit ihrer Platte ein „modernes Statement“ abgeben wollen und meint damit das Verschwimmen der Geschichte, das Patchwork der Biografien – jenen alten kulturwissenschaftlichen Hut mithin, der in New York wohl schon immer etwas mehr zum Alltag gehörte als anderswo. Weil sich auch in der neuen Musik diese Modernität widerspiegeln sollte, schaute Vega ihrer 13-jährigen Tochter Ruby (aus der Ende der Neunziger geschiedenen Ehe mit Mitchell Froom) über die Schulter und versuchte sich an Garage Band, der Recording-Software von Apple. Mit mäßigem Erfolg: Nach einigen Wochen bestellte sie sich einen befreundeten Tontechniker ins Haus, der sie dreimal pro Woche am Mac trainierte und so behilflich war, die Demo-Vorlagen fürs später mit Jimmy Hogarth und Tchad Blake im Studio produzierte Album fertigzustellen. „Beauty & Crime“ ist eine durchaus schöne Platte, geräumigund im Detail charakterstark produziert und deshalb zumindest nicht unzeitgemäß. Zumal Vegas – natürlich nur umkleideter, im Kern unveränderter – Songwriter-Folk ja derzeit ganz gut ins Musikgeschehen passt. „Ich erkenne schon, dass sich in New York etwas Neues entwickelt hat“, konzediert Vega, „es sind neue Clubs entstanden, die Anti-Folk-Szene ist sehr aktiv, und durch neue Technologien entstehen andere neighbourhoods, die vielleicht nicht physisch, aber genauso real sind.“

Im August letzten Jahres hat die „Mother of MP3“ (Karlheinz Brandenburg legte die Algorithmen für seine bahnbrechende Kompression anhand von „Tom’s Diner“ fest) das allererste virtuelle Konzert in Secondlife.com gegeben – richtig als animierter Avatar, live und mit virtuellem Stellvertreter-Publikum. „Diese Dinge passieren mir“, tut Vega ab, „weder suche ich sie aktiv, noch widme ich ihnen übermäßig viel Zeit.“ Die ist nämlich für allerlei andere Dinge verplant: die Familie mit Ehemann Nr. 2, Paul Mills, einem Poeten und umtriebigen Anwalt für Menschenrechte, das Engagement für „Amnesty International“, Peter Gabriels Organisation „Witness“, gelegentliche Arbeit fürs Radio sowie – Überraschung – die „New York Times“. Die bat Vega kürzlich um einen Beitrag zu der amüsanten Diskussion, ob Bob Dylan auf seinem letzten Album den mausetoten Bürgerkriegs-Poeten Henry Timrod nun bestohlen oder im Sinne der Folk-Tradition rechtmäßig weitergegeben hat. „Er hat geklaut, das kann man nicht anders sagen“, sagt Vega ungerührt, „was denken die Leute denn? Dylan ist ein outlaw, der immer macht, was er will. Mich hat gewundert, dass überhaupt jemand überrascht war.“ Klare Worte, wie gehabt.

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