Der Avantgarde-Komponist Steve Reich wird von jungen DJs mit Remixes gewürdigt

London 1992: Es ist die Blütezeit von Techno und Ambient Wieder einmal gibt es neue Drogen, eine neue Musik und junge, von sich selbst überzeugte Stars. Trotzdem hält der coole Reporter eines Londoner Lifestyle-Magazins einem alten Mann sein Mikro vors Gesicht: Steve Reich. Amerikaner, Komponist und neben Phillip Glass der bedeutendste Vertreter der Minimal Music. „Was halten Sie von The Orb?“, möchte der Journalist wissen. „Was, bitte, ist The Orb?“, fragt der Künstler zurück. – „Das wissen Sie nicht?“ – „Nein, nie gehört.“ Der Reporter greift in seine Tasche und gibt dem heute 62jährigen eine CD:“Little Fluffy Clouds“ von einer Gruppe namens The Orb.

Erst viel später, zu Hause in New York, hört Reich die Musik, und nun endlich versteht er die Frage: Abgesehen von ein paar Computer-Beats und einer Mädchenstimme ist das sanfte Techno-Stück nahezu identisch mit seiner Komposition „Counterpoint“.

Eigentlich war es klar, daß es soweit kommen würde, denn der New Yorker Avantgardist arbeitet schon seit den Sechzigern mit „repetitiven“ Elementen, also minimalen rhythmischen Verschiebungen, wie man sie auch in afrikanischer und balinesischer Musik findet Bei ganz frühen Stücken wie „Come Out“ experimentierte er (25 Jahre vor House!) sogar mit Tonbandschleifen, also frühen „Samples“. Obwohl Reichs Musik schon seit den Siebzigern ohne Elektronik auskommt, gilt er in der Techno-Szene als Visionär und Wegbereiter: Selbst Orchester-Werke wie „Musik For 18 Musicans“ transportieren straff organisierte, dabei aber äußerst phantasievolle Klangwelten, von deren Stringenz, Komplexität und Tiefe die meisten Ambient-Musiker vergeblich träumen.

Auf dem Album „Rieich Remixed“ haben Musiker zwischen HipHop, House und Ambient trotzdem versucht, E-Musik und Pop (mal wieder) zusammenzudenken. Die Ergebnisse sind erwartungsgemäß recht unterschiedlich – aber würden nicht auch die meisten Britpopper an der Aufgabe scheitern, die Songs der Beatles neu zu interpretieren? „Es ist nicht mein Album, es ist deren Album“, entzieht sich Reich zunächst der Bitte, das Talent seiner Remixer zu beurteilen. Dann lobt er aber doch die Interpretationen von Howie B, Andrea Parker und Coldcut Der „Megamix“ von Tranquility Bass dagegen hat ihn eher erheitert: „Das erinnert mich an eine amerikanische Fernseh-Show, ‚This Is Your Life‘ – meine gesammelten Werke im Schnelldurchlauf.“ Und über DJ Spookys Interpretation von „City Life“ sagt er sinnierend: „Ich habe dieses Stück nach dem Bombenanschlag auf das World Trade Center in New York geschrieben. Damals war die Stadt ein Chaos und das Stück ein Aufschrei: Mir reicht’s! Spookys Sichtweise ist meiner eigenen sehr ähnlich: Das ist keine Romanze zwischen ihm und der Stadt – so wie in Gershwins „An American In Paris“. Das ist ein finsterer, pessimistischer Blick.“

Ein paar Stunden nach dem Interview steht Reich am DJ-Pult des Pariser Clubs L’enfer. Es ist sein erster Club-Besuch seit den Sechzigern, damals war er zusammen mit seinem Freund, dem Grateful Dead-Musiker Phil Lesh, im Fillmore West. Und während Kurtis Mantronik an den Plattenspielern hantiert, gibt Spooky eine kurze Einführung in die DJ-Culture. Reich ist neugierig, stellt Fragen, wirkt lebhaft, lacht Wer ihm dabei zusieht, versteht, warum dieser gar nicht alt wirkende Meister nicht nur Bach bewundert, sondern auch Coltrane.

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