Die deutsche Gemütlichkeit

Sonntags in der kleinen Stadt: Die Familie geht geschlossen zur Kirche, anschließend darf der Vater in die Kneipe, und die Mutter macht den Braten, dann wird gegessen. Nach dem Pudding gibt’s eine Verdauungszigarre zu dudelndem Radio. Vielleicht schmettert Rudi Schuricke wieder mal seine „Capri-Fischer” oder der Schweizer Sänger Hazy Osterwald erklärt in seinem „Konjunktur-Cha-Cha” („Geh’n Sie mit der Konjunktur – geh’n Sie mit, geh’n Sie mit”), was die Welt im Innersten zusammenhält: „Geld, das ist auf dieser Welt, der einz’ge Kitt der hält, wenn man davon genügend hat.” Der Nachmittag wird auf dem Fußballplatz verbracht. Anschließend unternimmt man einen kleinen Spaziergang, und der Tag endet auf der Couch vor dem Fernseher.  

Das klingt idyllisch und heimelig, und auch wenn ich diese Beschreibung eines deutschen Sonntags dem gleichnamigen Lied aus dem Jahr 1965 entnommen habe und erst ein Jahrzehnt später auf die Welt kam, erkenne ich hier ein Muster, das sich mit meiner Kindheit deckt.  

Die helle Stimme, die diese Erzählung vom „Deutschen Sonntag” vorträgt, schneidet durch die hier geschilderte Gemütlichkeit hindurch. Man weiß nicht recht, ob der Mann belustigt ist oder sich ekelt, während er die Bewohner der Stadt auf dem Weg zum Hochamt beobachtet – „Familienleittiere” voran, sie untergehakt mit passenden „Hütchen, Schühchen, Täschchen” –, er die Bratendüfte riecht, die dampfenden Dessertschüsseln hinter den Fenstern stehen sieht, das Klirren des Geschirrs und das Blubbern der Soßen hört, bis ihm der süß-säuerliche Geruch in die Nase steigt, wenn die Stadt ihr Bäuerchen gemacht hat. Wenn er die treuherzig über die krachenden Knochen lachenden „Schinkenspeckgesichter” auf den „Schlachtfeldstätten” beschreibt, die beim Fußball nicht etwa gern mitspielen, sondern vielmehr mittreten, mitschießen, mitstechen würden, weil sie sich für ihren Alltag rächen wollen, die sich aber andererseits untertänigst bücken, wenn sie nach dem Spiel beim Gang durch die Stadt ihrem Chef begegnen, und sich schließlich zum Ausklang ihres Tages über harmlose „Mattscheibenspäßchen” beömmeln, statt darüber nachzudenken, wie sie ihr einfältiges und ödes Leben wohl verändern und verbessern könnten. Ganz sicher ist nur, dass der Sänger selbst bei diesen Sonntagsritualen ums Verrecken nicht mitmachen will. 

 

„Wenn’s blank und frisch gebadet riecht, 

dann bringt mich keiner auf die Straße. 

Und aus Angst und Ärger lasse 

ich mein rotes Barthaar steh’n 

und lass den Tag vorübergeh’n, 

hock am Fenster, lese meine 

Zeitung, decke Bein mit Beine, 

seh, hör und rieche nebenbei 

das ganze Sonntagseinerlei!“

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