Die kleine Band der traumlosen Tage

Die Leute rufen in Konzerten von ZWAN nie nach Songs der Smashing Pumpkins. Trotzdem ist Billy Corgans Supergroup eine vergangenheitsbewusste Band ohne Rock'n'Roll-Illusion

Der Zwan-Merchandising-Stand verkauft auch Stoffbeutel. Der pastellfarbig gestreifte Drudel mit dem Gitarrenkopf, der auf dem Plattencover und der Website steht und als Wandaquarell für den Kindergarten gut wäre, glänzt hier auf möglicherweise hochwertigem Gewebe, denn die Tasche kostet 20 Euro. Sie wird (anders als die T-Shirts) selten gewünscht, so bleibt es eine hübsche Verstellung, wie ökologisch aufgeklärte Alternafive-Rock-Fans am Samstagmorgen Schwarzwurzeln, Fair-Kaffee und Klopapier in ihrer Zwan-Tasche nach Hause tragen. Die Leute, deren Stiefel man zu den besten Zeiten von Billy Corgans Smashing Pumpkins bei Konzerten immer ins Gesicht bekam, sind ja längst von zu Hause ausgezogen, müssen selbst Geld verdienen und für sich einkaufen, haben allerdings noch keine Kinder, die sie in die Berliner Columbiahalle zum zweiten der zwei Deutschland-Auftritte von Billy Corgans Zwan hätten mitbringen können. Es ist nicht ganz voll, es ist mehr erwachsenes Publikum da.

Trotz allem, was in den vergangenen Monaten erst sehr, dann immer weniger exklusiv über die Band und Corgans Heimkehr, die neue Natürlichkeit und unbedingte Lebensliebe berichtet wurde: Es gibt auch bei Zwan dieses pädagogische, latent besserwisserische Element, das die Leute am konzeptkünstlerischen Ende der Smashing Pumpkins so verachtet haben. Zwan bringen als erstes natürlich gleich einen Rausschmeißer, das Titellied von „Mary Star Of The Sea“, aufP latte schon knapp 14 Minuten, hier noch länger. Deutlicher könnnen sie den Zuhörern nicht zeigen, für was die sich mit dem Kauf von Album und Ticket eigentlich entschieden haben. Der kahle Riese Corgan spielt sein unendliches Solo auf einer roten Flying V. die wie ein Giganten-Amulett von seinem Hals baumelt Die Musik heute abend handelt vom unaufgeklärten Glauben daran, dass der Sound Illusion und Glück schafft, dass drei Gitarren deshalb besser sind als zwei. Zwan sind so Prä-Punk wie Queen oder Styx, obwohl sie ganz anders klingen.

Zwan klingen wie die Smashing Pumpkins. Das hat jeder gehört. Obwohl sie eine Indie-Supergroup sind, ist es unwahrscheinlich, dass Fans der anderen Musiker – von Matt Sweeneys Chavez, Paz Lenchantins A Perfect Circle und David Pajos Slint, seinen M-Projekten oder Will-Oldham-Kollaborationen, zum Teil wiederum mit Sweeney „Mary Star Of The Sea“ mögen. Den entscheidenden Unterschied zwischen Corgans alter und neuer Band findet man versteckt auf der Pumpkins-DVD „Vieuphoria“: Da ist ein Heimvideo aus den frühen neunziger Jahren, in dem sich unter anderem Corgan und Drummer Jimmy Chamberlin mit einer Familientherapeutin über die gestörten Beziehungen in der Band aussprechen – der inszenierte Jux wurde spätestens in dem Moment bitter und wirklich, als Corgan im Juli 1996 nach einer Heroin-Tragödie auf Tour Chamberlin für zwei Jahre feuerte.

Vergleichbare Heimvideos von Zwan gibt es schon jetzt, und der Kontrast schimmert wie die Regenbogenfarben des neuen Logos: Hier übt Billy Corgan in der Umkleidekabine lustige Ziegensprünge mit der Gitarre, während Bassistin Paz und Chamberlin Händeklatschspiele ausprobieren. In den Vorab-Interviews haben sie vor allem Witze erzählt, für die Website hat einer die Kaffeekanne fotografiert. Sie wollen, dass wir glauben, dass sie sich vor dem Essen an den Händen fassen und im Chor etwas aufsagen, das sich reimt.

Es mag so sein. David Pajo steht zwar etwas abseits auf der Bühne, und es ist auch mit angestrengter Aufmerksamkeit nicht erkennbar, was er auf der Gitarre überhaupt spielt (viele vermuten, er sei bei Zwan nur für credibility zuständig). Nach wenigen Songs kümmert sich Raz Lenchantin um ihn, die offenbar die Rolle der Socialiserin spielt, geht rüber zu Pajo, rockt ihn scherzhaft an, lässt ihn wieder in Ruhe. Matt Sweeney mit seiner Kappe ist der Arbeitet, Chamberlin der wirbelnde Virtuose, Billy Corgan repräsentiert nach vorne. Breitet die Arme aus, spielt bei „Honestly“ mit den Zähnen und sucht nach jeder verrichteten Frontmann-Aufgabe den Augenkontakt zu allen anderen, lachend. Weil es nicht so gemeint war, aber Spaß gemacht hat Unsere kleine Band.

Und die Halle summt, von jedem Neil-Young-Solo, bei dem die Gedanken abschweifen, und von jeder schwärmenden Melodie. „Maybe we were born to love, maybe we were born to love each other“, singen Corgan und Lenchantin. Leider sind sie nicht ineinander verliebt, was nett gewesen wäre, also müssen wir alle gemeint sein. Es ist gut, im Zwan-Konzert mit jemandem zu stehen, den man sehr gerne mag. Billy Corgan war ein suggestiver Kunst-Despot, hier ist ein sehr suggestiver Liebhaber. Es waren knapp anderthalb Stunden, viele haben daran gedacht, den Titel eines Pumpkins-Songs zu brüllen. Keiner hat es gemacht.

Wenn sogar in der haltlos bescheuerten Verfilmung von Stuckrad-Barres „Soloalbum“ „The killer in me is the killer in you“ aus „Disarm“ zitiert wird (in der SMS, mit der die weibliche Hauptrolle mit der männlichen Hauptrolle Schluss macht), ist es noch sonderbarer, dass es bisher auch in fast keinem anderen Zwan-Konzert passiert ist „Und wenn, dann haben die anderen Zuhörer protestiert“, sagt Billy Corgan. „Bei einer sehr leisen Akustik-Show hat sich einer mal einen Pumpkins-Song gewünscht Alle haben sich zu ihm umgedreht und ,Shut up!‘ gerufen. Das war super.“ Dazu erhebt er sich aus der verkrampften Fötus-Stellung, in der er zehn Minuten auf dem Sofa ausgeharrt hat. Der Promoter hatte es noch als Beispiel für die beispiellose Disziplin genannt, dass Zwan am Morgen nach dem Konzert um neun Uhr ein TV-Interview gegeben haben. Die Band will hinterher nicht mal mehr daran denken, wer diese tolle Idee hatte.

Die Übernächtigen sind noch alberner als sonst, aber man kriegt Zwan nicht ohne Gruppendynamik, man darf nur mit allen zusammen reden. David Pajo sagt sowieso nichts (nur auf die Frage, was die Mitglieder gemeinsam hätten: „Wir essen alle gern.“), Sweeney und Corgan sind die Sprecher. Die zwei haben sich angeblich schon 1990 in Chicago gegenseitig geschworen, nach einem eventuellen Ende der Smashing Pumpkins eine Band zu gründen. „Wir versuchen, nicht darüber nachzudenken, was die Leute denken, weil das viel zu kompliziert ist“, sagt Corgan, aber auch die Schwur-Legende zeigt, wie unglaublich viel gegrübelt wurde. Es gibt bereits eine weitere Gruppe mit dem Namen Dijalizwan, in der dieselben Mitglieder andere Songs spielen, folkiger, mit Lenchantin an der Geige. Billy kann nicht Billy sein ohne die Spiele.

„Mary Star Of The Sea“ war früher eben „Porcelina Of The Vast Oceans“ von „Mellon Collie“ oder „Ava Adore“ von „Adore“. Die fast religiös idealisierte, sexualisierte Seefahrerin: Im wahren Leben ist es seit siebeneinhalb Jahren dieselbe Frau, sagt Corgan, obwohl er auf der Zwan-Platte vor frischer Leidenschaft zu zittern scheint. „Die Frau, die ich liebe, bringt mich gleichzeitig zum Wahnsinn. Davon handeln die neuen Texte. Ob das appellativ gemeint ist wie bei U2? Ich liebe U2, aber wenn man so universell verstanden werden will wie sie, muss man vieles doch sehr vereinfachen. It’s a beautifulday und so. Ich würde sagen: Der Tag ist schön, aber…“ – „“…aber wie auch immer, er ist schön!“ verbessert Sweeney, und Corgan: „Stimmt Despite allmy rage… I’m just abutterfly in your bloody net.“ Nur er darf die Pumpkins zitieren und verwandeln.

Vorgetäuschte Jungfräulichkeit ist das Unangenehmste an Musikern, die in neuen Bands etwas eigentlich gar nicht so Neues versuchen: Der Sprachregelung zuliebe leugnen sie oft die ganze Geschichte, die sie selbst und ihre Zuhörer in den Köpfen mit sich herumtragen und die bestimmt, wie ihre Musik klingt, welche Assoziationen sie auslöst Zwan dagegen sagen, es sei sehr wichtig, dass alle Mitglieder ihre Unschuld schon verloren hätten. Wenn im Proberaum oder bei Sitzungen zu viel erklärt werden müsse, meint Sweeney, wäre alles nutzlos. Dann setzt sich Billy Corgan, der erst jetzt richtig wach ist, hoch auf und hält den gewaltigen Schlussmonolog, der erschöpfend erklärt, was Zwan ist, soll und werden wird.

„Ich würde sagen: Die Lebenswirklichkeit ist viel, viel komplizierter, als es oft den Anschein hat, das weiß jeder. An Zwan gefallt mir, dass wir uns uneingeschränkt dieser Lebenwirklichkeit stellen. Da ist sehr wenig Idealismus dabei. Jimmy und ich, wir haben den Rock’n’Roll-Traum gelebt und wir können heute hier bezeugen, dass es ein Haufen Kacke ist. Wir mussten erst komplett die Selbstkontrolle verlieren und uns fast umbringen, um das zu merken. Und deshalb laufen wir nicht mehr herum und reden über Hirngespinste, sondern wir reden über das wirkliche Leben.“

,Jimmy zum Beispiel ist eben Vater geworden, er ist verheiratet und versteht zum ersten Mal was es für ein Opfer ist,

auf Tour zu sein und die Familie nicht zu sehen. Das ist das, was an Zwan so healthy ist: Es ist uns wichtig, dass jeder als ganz reale Person in dieser Band sein kann und dass wir gegenseitig darauf aufpassen, dass es allen gut geht, dass alle erfüllt und motiviert sind. So, wie sich die Mitglieder einer Familie gegenseitig unterstützen, und nicht: Hilfst du mir, dass mein Rock’n’Roll-Traum wahr wind? Musik zu machen ist das Einfachste. Das Schwierigste im Leben eines Musikers sind die vielen Stunden, in denen man wie ein Bekloppter dasitzt und die Wand anstarrt.“

Wenige Minuten später wird er am Fenster stehn, auf den Postdamer Platz hinabschauen und Matt Sweeney erklären, dass in Chicago genau die gleichen städtebaulichen Fehler begangen worden seien.

Hier brauchen wir wieder das berühmte Zitat von Sharon Osbourne, die den Managerposten bei den Smashing Pumpkins nach ein paar Monaten „aus gesundheitlichen Gründen“ aufgegeben hatte: „Billy Corgans Gegenwart macht mich körperlich krank.“ Egal, was er behauptet, natürlich ist Corgan noch immer ein Narziss und Besserwisser und ein oft verspulter Künsder, und die meisten Leute, die Zwan nicht mögen, mögen sie deshalb nicht, weil Corgan dabei ist.

Überrascht sein müssten sie trotzdem. Auffällig viele Mitglieder der Grunge- und College-Rock-Klasse von 1991, bei denen man im Gegensatz zu den politisch motivierten Bands aus Olympia/Washington nie den Eindruck hatte, ihr musikalischer Ausstoß sei besonders dringlich, sind in letzter Zeit schockartig zurückgekehrt. Audioslave, also Rage Against The Machine und Chris Cornell, Evan Dando, die Nirvana-Reste, aber ausgerechnet Billy Corgan hat genau die richtigen Leute gefunden und von allen das beste AIbum gemacht. Corgan hat ein Konzept gefunden, das ihm eine neue, lange Frist bis zum nächsten Durchdrehen setzt. Nicht jeder Irre muss von seiner Manie gefressen werden. Corgan kann eh niemand fressen, weil keiner es schaffen würde, ihn zu verdauen.

In Chicago soll er kurz vor Weihnachten ein Zwan-Konzert unterbrochen haben, um jedem seiner Mitspieler ein Geschenk zu überreichen. Ein schöner Tag, trotz seiner Wut

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