Die „Stunde Null“

Natürlich steckte im Titel von Degenhardts Debütalbum nicht nur die Geisterstunde, sondern auch die „Stunde null”, die mit der Zerschlagung des NS-Staates vermeintlich angebrochen war. Der italienische Regisseur Roberto Rossellini hatte sich 1947 an einer objektiven Bestandsaufnahme des Lebens in der zerstörten deutschen Hauptstadt versucht und sie „Germania anno zero” genannt – Deutschland im Jahre Null. Doch schließlich hatte sich der Begriff als „Stunde null” verselbstständigt und stand für den vermeintlich radikalen Umbruch der deutschen Gesellschaft nach Kriegsende. Den hatte es allerdings gar nicht gegeben.  

Entgegen der anfangs radikalen Entnazifizierungspolitik der Alliierten setzte der erste Kanzler der Republik beim Aufbau des neuen deutschen Staats pragmatisch auf die Integration der Kräfte, die zuvor das System des Nationalsozialismus gestützt hatten: Lehrer, Professoren, Juristen, Verwaltungsbeamte – der Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, Hans Globke, war ab 1953 sogar Chef des Bundeskanzleramts und Adenauers engster Vertrauter.  

Der wirtschaftliche Erfolg schien dem Kanzler Recht zu geben. Die Westdeutschen verdoppelten in den Fünfzigern ihr Bruttosozialprodukt, verzehnfachten ihren Exportüberschuss und wurden zur erfolgreichsten Handelsmacht nach den USA. Zudem entwickelte sich Deutschland zu einer stabilen Demokratie. Zu stabil für eine lebendige und gelebte Volksherrschaft, wie nicht wenige Kritiker aus meist intellektuellen Milieus monierten. Adenauer, der aufgrund seines fortgeschrittenen Alters immer als ein Übergangskandidat für das Kanzleramt gehandelt worden war und schon aussah, als habe man ihn in Stein gemeißelt, herrschte mit autoritärem Führungsstil insgesamt vierzehn Jahre lang – nicht mal das Tausendjährige Reich hatte so lange durchgehalten.  

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