Die Toten Hosen: Aus den blauen Bergen kommen wir

Bei ihrer "4 Tage - 4 Länder"-Tournee durch Deutschland, Österreich, Italien und die Schweiz stellten Die Toten Hosen die Kondition von 200 Fans, Freunden und Journalisten auf die Probe

Es ist ein bisschen wie im Pfadfinderlager. 200 Leute, überwiegend Erwachsene allerdings, finden sich in München zusammen, um übers Karnevalswochenende mit fünf Bussen ins Gebirge zu fahren. Der Einfachheit halber werden sie in Gruppen aufgeteilt, die wie Fußballvereine klingen: „Die Gelben“, „Die Roten“ und so weiter. Die meisten verwandeln sich schnell in „Die Blauen“: Knapp 1000 Dosen Altbier pro Bus hat ein Sponsor zur Verfügung gestellt. Die „4 Tage – 4 Länder-Tour“ der Toten Hosen verspricht, ein Schnellkurs in Sachen Hardcore-Touring zu werden.

In Füssen treffen sich Fans, Journalisten und Band-Angestellte erstmals, um von dort zum Gig im „Sonneck“ in Kleinweiler Höfen zu fahren. Am Alpengasthof „Hirsch“ und dem „Bärenstübl“ vorbei, schon ist der Club in Sicht. Normalerweise tanzt hier die Allgäuer Landjugend zu Gruftie- und Indie-Sounds. Vor dem Ansturm der Punks haben die bayerisch-patenten Ordner keine Angst. Sie lassen erst mal alle eine halbe Stunde vor der Tür im Regen stehen: „Drängelt’s ned, des dauert hoid sei‘ Zeit!“ Beim Support T.V. Smith hört kaum einer zu, weil noch die ersten Infos ausgetauscht werden müssen – „Können die Hosen überhaupt Ski fahren?“, „Wo kriegt man denn jetzt Schilling her?“. Als die Düsseldorfer schließlich auf die Bühne kommen, nehmen nicht nur das übliche Gedränge und Geschubse zu, sondern auch die begeisterten Kreischer:

„Campino“ schreit eine, und ihr Freund ruft „Cappuccino“, bloß um sie zu ärgern. Die neuen Songs vom „Unsterblich“-Album kommen gut an und klingen live deutlich härter. „Lesbische schwarze Behinderte“ ist der Hit des Tages, während die Anti-Hymne „Bayern“ in den hinteren Reihen schon umgedichtet wird: „Ich würde jederzeit zum FC Bayern gehen…“ Eine eigene Meinung hat noch nie geschadet. Größe auch nicht. Um hier etwas zu sehen, muss man schon auf Stelzen kommen – oder sich behelfsweise zwei Stunden lang auf eine Stuhllehne stellen.

Campino vergisst wie immer hin und wieder den Anfang einer Strophe, und wie immer macht das nichts. Dieses Mal haben sich die Hosen ja auch viel vorgenommen. Die mitreisenden Fans sollen nicht jeden Tag dasselbe hören, also wählt man zwischen 80 Songs aus.

Viele davon hat auch Campino seit Jahren nicht mehr gehört. Und der neue Schlagzeuger Vom schon gar nicht.

Die Decke im „Sonneck“ ist niedrig, doch auch hier gelingt es Campino, auf die Verstärker zu klettern und sich vom Publikum durch den Saal tragen zu lassen. Er landet auf der Theke, um „Guantanamera“ zu grölen. Vor Klassikern jeglicher Couleur haben die Hosen keine Angst Da wird alles verhackstückt: „Gary Gilmour’s Eyes“, „Should I Stay Or Should I Go“ und „You’ll Never Walk Alone“.

Nach viel zu wenig Schlaf treibt Reiseleiter Olaf am Samstagmorgen seine Gruppe zusammen, auf nach Österreich. Die erste Schneeballschlacht ist aus der Not geboren: Der Stau fangt gleich hinter Füssen an. In Ischgl angekommen, bleiben gerade noch drei Stunden zum Skifahren. Bassist Andi ist der klare Sieger. Er fährt gleich in seinen Jeans, weil er sowieso nicht hinfällt. Der Ski-Jet-Set wirkt angesichts der chaotischen Hosen-Busse leicht irritiert, aber der Höhepunkt soll erst noch kommen. Die Disco „Madlein Wunderbar“, im Keller eines Nobelhotels gelegen, wirkt schon auf den ersten Blick bizarr für einen Hosen-Gig: Stoff-Rosen in großen Pötten zieren Podeste, auf denen sonst Go-Gos tanzen, „Schlumberger“-Banner und Lichterketten komplettieren das gediegene Ambiente. Ab Mitternacht wird ein DJ aus Ibiza zur „Boy meets Girl“-Nacht auflegen. Olaf hat schon angekündigt, dass der Laden „ein bisschen Schicki-Micki“ sei: „Was ihr mit der Disse macht, is mir egal. Meinetwegen könnt Ihr ’nen Moli reinwerfen.“ Macht natürlich keiner. Aber einige lustige Szenen gibt es schon. Da will ein Kellner „VTVA“-Moderator Tobi Schlegl rauswerfen, weil er eine Rose stiebitzt – „noch so a Ding und du fliegst!“ Unser Lieblingsfan, der „Schmutz“ aus der Schweiz, wird dank seiner roten Irokesen-Frisur von etlichen Hotelbewohnern verdächtigt: „Gehört der zu dieser Band?“

Die Hosen scheinen sich auch etwas über die Location zu wundern, machen aber das Beste daraus. Zwar hält Campino eine kurze Ansprache zur Lage der Nation („In Deutschland gibt es genauso viele Rechtsextreme, nur machen die ihr Kreuzchen halt bei der CSU“), ansonsten ist schon ein bisschen Faschings-Stimmung. Es gibt „Carnival In Rio“ und „10 kleine Jägermeister“. Selbst die 80-jährige Mutter des Hotelbesitzers soll begeistert gewesen sein.

„Von jetzt an geht’s bergauf, verspricht Campino am Sonntag auf dem Weg nach Vals in Südtirol. Ein Fan schlägt vor, die Tour um eine Woche zu verlängern, aber Gitarrist Breiti ist jetzt schon geschafft: „Dann müsst Ihr die Band austauschen!“ In Vals findet auf 2100 Metern das „höchste Konzert Europas“ statt, wie Andi so gern erzählt. 600 Fans werden mit der Seilbahn auf die „Jochtal“-Bergstation gekarrt Um dem Andrang gerecht zu werden, mussten sämtliche Tische der Gaststätte mit der Flex entfernt werden. Bei „Azurro“ fehlt leider der Text, und Campinos „toter Punkt ist erreicht“.

Erste Ermüdungserscheinungen treten indes vor allem bei den Fans auf, so mancher schläft fast im Stehen ein. Mit einem hat Campino aber Recht: „Ich habe noch mit keinem gesprochen, der genervt war von der Scheiße.“ Am vierten Tag ist dann der Buskoller perfekt. Dafür wird in der „Bolgenschanze“ bis zum Morgengrauen gefeiert. In ganz Davos gibt es kein Taxi mehr, was jetzt aber nicht mehr stört. Zum Hotel kann man noch schwanken. Breitis Ziel ist erreicht: „Ihr solltet mal sehen, wie anstrengend Touren ist!“

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