The Doors: Das Jahr der Eidechse

Jim Morrison war das verführerischste Versprechen der Rockmusik. Warum finden uns seine Songs noch heute?

Ray Manzarek orgelt. Ein swingender Groove, der zu einem monotonen Akkordwechsel mutiert, die Bühne ist dunkel. Jim Morrison tigert von links nach rechts. Vor dem Mikrofon hält er an. John Densmore schlägt auf die Bassdrum. Jim Morrison schreit. Er steht mit geschlossenen Augen hinter dem Mikrofonständer, sein Gesicht wirkt weich wie eine Kälbchenschnauze. Noch trägt er die Brokatweste über dem schwarzen Hemd, darunter eine enge Lederhose und einen breiten Silbergürtel. Das Licht ist fahl. Links hockt Ray Manzarek hinter seiner Orgel, den Kopf dicht über den Tasten, der Fuß im weißen Schuh schlägt unablässig den Takt. Rechts steht Robby Krieger.

Er trägt Löckchen und geht ein paar kurze Schritte. Auf einem Podest hinter Morrison sitzt John Densmore am Schlagzeug. Hinter der Band ein paar Dutzend akkurat übereinandergestapelter schlanker Lautsprecherboxen. 52 sind es insgesamt, 7000 Watt. Der Bühnenboden schimmert grün, es gibt keine Lichteffekte, die Inszenierung ist karg und schön. Und Jim Morrison Amerikas begehrtester Rockstar. Die Doors geben das bis dahin größte Konzert ihres Lebens. Es ist der 5. Juli 1968. Die Luft ist auch am Abend noch warm, 17 Grad, ein leichter Wind. Die Hollywood Bowl sieht aus wie eine große Muschel mit Bänken davor, hinter ihr sind die berühmten Buchstaben in der Ferne zu sehen. „Die Bowl war der Heilige Gral“, sagt Bruce Botnick, der Toningenieur der Band. Die Beatles spielten hier. Und nun die Doors.

The Doors

Die Arena ist ausverkauft, 18.000 Menschen kommen. Auch Mick Jagger. Aber zuvor will er sich den Mann aus der Nähe ansehen, den so viele für noch attraktiver halten als ihn. Am Vormittag hatte Stones-Produzent Jimmy Miller im Büro der Band angerufen, ein paar Stunden später fahren er und Mick Jagger in einem brandneuen Cadillac vor, steigen aus und schlendern mit den Doors den Sunset Boulevard runter zu Mu Ling’s Chinese Restaurant. Dort sitzen Morrison und Jagger an einem Tisch, der Rest der Band und Jimmy Miller an einem anderen. Der Produzent redet viel. Die beiden Männer am Nebentisch haben sich nicht so viel zu sagen. Jagger wird später gnädig auf die Frage antworten, wie ihm die Band gefallen habe: Die Jungs seien nett, das Konzert etwas zu lang gewesen.

Jim Morrison wirkt sediert an diesem Abend. Er bewegt sich langsam, aber meist steht er auch bloß hinter dem Mikrofonständer und leckt seine Lippen. Er trägt ein silbernes Kreuz um den Hals. Wenn es sehr leise wird, wenn Ray Manzarek nur noch zwei Töne spielt, kann er das Publikum in der Freiluftarena quasseln und kichern hören.

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Wenn Jim Morrison überhaupt etwas hört. Als er die Augen öffnet und in die Reihen vor ihm starrt, schwankt er kurz und brüllt dann: „Wake up!“, und wenn man diese Szene heute, 50 Jahre später, sieht, ist man peinlich berührt von der Ernsthaftigkeit des Befehls. Denn heute, 50 Jahre später, ist Morrisons Gedichtvortrag zu der Improvisation seiner Band nur schwer zu ertragen, ist das sich anschließende „Light My Fire“ eine Erlösung. „Ich wünschte, wir wären besser gewesen“, schreibt John Densmore in seiner Autobiografie. „Jim kam nicht aus sich heraus, und es war das erste Mal, dass ich ihn auf der Bühne rauchen sah.“ „Das Publikum hätte sich Leidenschaft gewünscht“, urteilte der Kritiker Harvey Perr nach dem Hollywood-Bowl-Auftritt in der „Los Angeles Free Press“. „Es wollte keinen Morrison, der cool dasteht und seine Lieder singt. Doch was das Publikum wollte, war exakt das, was die Doors offenbar nicht wollten.“

The Doors, v.l.n.r.:Jim Morrison, Ray Manzarek, Robbie Krieger and John Densmore

So war es. Und es war gut so. Und was man damals nicht wusste: Jim Morrison hatte vor dem Konzert nicht nur getrunken, er hatte auch LSD genommen. Vielleicht ist der seinerzeit gefilmte und als DVD erhältliche Auftritt auch deshalb von einem Stoizismus, einer kargen Eleganz und weit weg von der schweißnassen Entäußerung anderer Bands ihrer Zeit, beispielsweise der von Steppenwolf und den Chambers Brothers, die in der Hollywood Bowl das Vorprogramm bestritten. Im Vergleich erinnert die Hollywood-Bowl-Performance der Doors eher an die Bühnenästhetik von Velvet Underground. Das Publikum rief unterdessen nach „Light My Fire“. „Jim war zunehmend angewidert von dieser Art Zuschauer“, schreibt Ray Manzarek in seiner Autobiografie (nur Robby Krieger schrieb keine). „Die Leute kamen wegen des Spektakels, nicht wegen der Musik. Sie wollten sehen, wie Jim sich in den wilden Mann verwandelte. Der tiefgründigen Psycho-Show des Leadsängers in schwarzem Leder konnten sie nichts abgewinnen. Sie wollten eine Freak-Show, zu der die Band ihre beliebtesten Titel spielte.“

1968 war das beste Jahr der Doors. Zum ersten Mal füllten sie große Arenen, erreichten ihre Konzerte eine existenzialistische Intensität, die zwischen karger Präsenz wie in der Bowl, konzentrierter Präzision wie im März im New Yorker Fillmore East und durchgeknallter Aggression pendelte, wie sechs Monate später bei ihrem Auftritt in Kopenhagen. Manchmal verpasste Morrison auch ein Konzert: In Amsterdam war er derart bedröhnt, dass die Doors als Trio auftreten mussten. Die Coolness, die Jim Morrison auf der Bühne ausstellte, war eine brüchige. Sie war magisch, wenn er auf dem schmalen Grat zwischen Irrwitz und Agonie balancierte, ohne abzustürzen. Tatsächlich haben die Doors ihre Performances eingeübt, hatte Morrison, der früher aus Schüchternheit mit dem Rücken zum Publikum gesungen hatte, seine Posen gewählt, ihrer Wirkung war er sich durchaus bewusst, aber manchmal entglitten sie ihm, blieb vom Adonis bloß ein Wrack auf den Bühnenbrettern.

Jim Morrison hatte die Kultur der Sixties als ihre gepeinigte Seele betreten. Als Sohn eines Marine-Admirals, als Kind einer durch die Strenge und die Rhythmen der Armee geprägten Familie, die von Dienstort zu Dienstort quer durch den Süden der USA umzog, hatte er schon als Schüler die schweren Franzosen und die Dichter der Beat-Generation, insbesondere Jack Kerouac und Arthur Rimbaud, gelesen, und selbst Verse geschrieben. Als junger Mann verließ er nicht einfach seine Eltern, sondern brach den Kontakt komplett ab. Er studierte Filmwissenschaften, machte sogar seinen Abschluss. An der Uni hatte er den smarten Ray Manzarek kennengelernt und wurde schließlich Sänger in dessen Band, Rick And The Ravens. Die zerbrach rasch, John Densmore und Robby Krieger heuerten 1965 an, und Morrison stiftete den Namen, The Doors. Der Rest ist Geschichte.

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Im Sommer 1968 also stand die Band im Zenit ihres Erfolgs. Nicht nur die Konzerte waren groß – mit „Hello, I Love You“ landeten die Doors zum zweiten (und letzten) Mal einen Nummer-eins-Hit. Ihr drittes Album, „Waiting For The Sun“, kletterte ebenfalls an die Spitze der „Billboard“-Charts, als erste und einzige ihrer sechs Platten. Es war der Sommer der Studentenunruhen und Straßenschlachten, der Schüsse auf Andy Warhol und Robert Kennedy, der Sommer der Haare und des Hedonismus. Es war der Sommer, der auf den Summer of Love folgte. Politisch aufgeladen und desillusioniert. Es war der Sommer der Funkiness von Sly Stone und Jimi Hendrix und des Rückzugs in die amerikanischen Wälder, den The Band und The Byrds antraten. Es war der Sommer – oder dann schon Winter –, in dem das Toiletten-Graffiti-Cover der Rolling Stones zensiert wurde und die Beatles ihr neues Album in einer weißen Hülle veröffentlichten.

„Waiting For The Sun“ wird nie in die Reihe der großen 68er-Alben gestellt, es gilt als eine der beiden schwachen Doors-Platten – was ungerecht ist, denn die Platte ist besser als ihr Ruf: Sie ist ausgetüftelter und irritierender, wehmütiger und romantischer als die anderen Doors-Platten. Sie aufzunehmen war ein Kraftakt ohne Beispiel.

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Jim Morrisons Alkoholsucht hatte Anfang 1968 ein Ausmaß angenommen, das halbwegs diszipliniertes Arbeiten unmöglich machte. Die ersten beiden Alben, „The Doors“ und „Strange Days“, waren innerhalb von nur neun Monaten aufgenommen und veröffentlicht worden. Beide lebten von kraftvoll-geschmeidigen, irgendwie Sex verheißenden, Blues-informierten Popsongs (und ein bisschen Kurt Weill), und sie endeten mit epischen Entäußerungen, mit der Ödipus-Tragödie „The End“ und der suizidalen Sehnuchtshymne „When The Music’s Over“. Wenn Mick Jagger der Bauch der voll erblühten Gegenkultur war, dann stand Morrison für ihre Psyche. Und: Er war der erfolgversprechendste Superstar seiner Generation. Es gab einige Versuche, ihn von seiner Band wegzulocken, ihn mit einer Solokarriere zu einem singenden James Dean zu formen, zum Schauspieler zu machen, doch Morrison zeigte kein Interesse (außer am Film, aber er sah sich eher hinter der Kamera). Er blieb der Band treu, sie gab ihm, der zeitlebens nie eine eigene Wohnung besaß, Halt. Die drei Doors, vor allem Ray Manzarek und John Densmore, verhielten sich wie Erziehungsberechtigte. Morrison hasste ihre vorwurfsvollen Blicke, wenn er mal wieder sternhagelvoll auf die Bühne wankte oder ins Tonstudio, aber er schien sie auch zu brauchen. „Es war schwer mit ihm auszuhalten“, sagte Manzarek später. „Manchmal benahm er sich wie ein Redneck.“

1968 sollte das dritte Album folgen. Doch Morrison hatte seit Monaten nichts mehr geschrieben. Er betrank sich täglich. Im Suff pöbelte er Polizisten und Freunde und einmal sogar Janis Joplin an, die weinend davonlief. Die drei Bandmitglieder versteckten die Wild-Turkey-Flaschen, was natürlich nichts nutzte. Es blieb ihnen nichts übrig, als den dahinschlitternden Morrison zu navigieren. „Es gibt keine Gebrauchsanweisung, wie man als Rockstar zu sein hat“, sagt Toningenieur Bruce Botnick heute, der damals dabei war und nun auch das Reissue von „Waiting For The Sun“ eingerichtet hat. „Und schon gar keine, wie man als Rockstar überlebt.“

In seinem Buch schildert Manzarek eine Szene, die typisch für die Aufnahmesessions in den TTG-Studios in Los Angeles gewesen sei. Botnick will Morrisons Gesangspart zu „Five To One“ aufnehmen: „Er schraubte die Flasche auf, fuhr mit der Hand in einen kleinen Beutel hinein und griff drei oder vier bunte Pillen heraus. Bevor ihn jemand daran hindern konnte, hatte er sie auch schon eingeworfen und mit einem Schluck Kentucky-Bourbon hinuntergespült.“ Während die Band schimpfte und Bruce Botnick den Notarzt rief, baute sich Morrison vor dem Neumann-Gesangsmikro auf und verlangte mehr Hall. „Und ob ihr es glaubt oder nicht, er bekam den Take beim ersten Mal hin. Bei ‚get together one more time‘ verhaspelte er sich kurz mit dem Tempo, aber es war eine so leidenschaftliche Performance, dass wir die Aufnahme später für die Platte auswählten.“

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Es fehlte an Songmaterial. Was Morrison in seiner Kladde fand, war eine Komposition im Stile der beiden genannten Großepen. Sie hieß „Celebration Of The Lizard“ und war aus verschiedenen Gedichten zusammengebaut, die Morrison irgendwann notiert hatte. Dass seine beiden Vorgänger an Pathos und Länge noch übertreffende Werk hatte Morrison bereits auszugsweise bei verschiedenen Auftritten der Doors reklamiert. Das 24-Minuten-Monstrum aufzunehmen erwies sich jedoch als unmöglich und kostete die Doors viele enervierende Stunden im Studio. Das Stück fiel auseinander, es fehlte jede Kohärenz. Am Ende blieb eine Vier-Minuten-Passage daraus übrig und landete auf „Waiting For The Sun“: „Not To Touch The Earth“, ein von Manzareks Orgel getriebenes, imposantes Düsterding, das von Gier, Tod, Outlaws und Sex handelt und die so unsterblichen wie albernen Zeilen „I am the lizard king/ I can do anything“ enthält. Das wurde er nie mehr los.

Jim Morrison

Ansonsten griff die Band auf Songs zurück, die bei den letzten Produktionen übrig geblieben waren, und improvisierte im Studio, „Hello, I Love You“ zum Beispiel, ein Lied, das Morrison schon 1965 geschrieben hatte. Außerdem trug Robby Krieger, der stille Gitarrist, drei Songs bei. Doch nie zuvor brauchte die Band derart viele Anläufe, um einen Track fertigzustellen – bei „The Unknown Soldier“ waren es 130 Takes. Und der ständig betrunkene Sänger verlor mehr und mehr das Interesse. Einmal schleuderte John Densmore seine Trommelstöcke auf den Boden und drohte, auszusteigen. Ein andermal jammerte Jim Morrison, er wolle nicht mehr in der Band sein. Am Ende blieben sie doch. Am Ende war es egal. Selbst ein Song wie „The Unknown Soldier“, der eigentlich kein Song, sondern ein etwas hüftsteifes Singspiel ist und bei seiner Bühnenaufführung von einem 16-mm-Film begleitet wurde, der eine Exekution zeigte, schaffte es in die Top 40. Es gibt Mediokres auf dem Album, das perkussive „My Wild Love“ und das von „Strange Days“ übrig gebliebene „We Could Be So Good Together“ etwa. Und es gibt Großartiges wie das wehmütige, weise, verheißungsvolle „Summer’s Almost Gone“ und das tänzelnde „Love Street“, einen Song über die Liebe im Laurel Canyon, wo Morrison zeitweise bei seiner Freundin Pamela Courson lebte. Oder den Furor von „Five To One“: „You’ve got the guns/ But we’ve got the numbers“, adressiert an die jungen Amerikaner, die von Vietnam genug hatten.

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Als „Waiting For The Sun“ im Juli veröffentlicht wurde, waren die Doors nicht bloß die Band der Stunde, sie waren die Band, die den Schmerz und Drang jedes Heranwachsenden unter der Bettdecke verstanden und in Songs voller geheimnisvoller Poesie übersetzt hatte. Sie alle wünschten sich, den Schrei des Schmetterlings zu hören, wenn sie die Nadel auf „When The Music’s Over“ absetzten, und die utopistische Forderung „We want the world and we want it now“ brachte das Gefühlsleben eines durchschnittlich rebellischen Teenagers (oder Studenten) wie kein zweiter Pop-Slogan auf den Siedepunkt. Auf „Waiting For The Sun“ fanden sie dann aber nichts Vergleichbares. Die beiden herausragenden Songs, „Summer’s Almost Gone“ und „Love Street“, erzählten andere Geschichten, ihr Sehnen war bereits rückblickend, Morrison war ja auch schon 24.

Jim Morrison im September 1968 in Frankfurt

Der bildmächtige Poet schrieb bewegende und manchmal auch banale Lyrics, oft aus der Perspektive dessen, der etwas mit der Intensität des ersten Mals erlebt. Und er schrieb als Poet seiner Zeit: Der „scream of the butterfly“ ist dafür so typisch wie der Flokatiteppich. Aber „Break on through to the other side“ war eine geile Aufforderung gewesen, all das zu tun, was verboten war. Oder zumindest verpönt. Onanieren, Kiffen, Rumschreien zum Beispiel. Es war die Verheißung der Sixties, und es bleibt eine Verheißung bis heute, auch wenn kein 14-Jähriger mehr rot wird beim Onanieren (außer vor Anstrengung). Es waren Texte zwischen Begehren und Aufbegehren, Weisheit und Kitsch. Ein Rimbaud-Epigone? Come on, natürlich! Aber warum sollte das ein empfindsamer junger Autor auch nicht sein? Und seine Band klang dabei stets verführerisch (die Orgel!). Es war kein Zufall gewesen, dass Arthur Lee von der anderen tollen Mittsechziger-Los-Angeles-Band, Love, die Doors seinem Label-Chef Jac Holzman empfahl. Dieser Sound begründete eine kleine, feine Tradition, von den Seeds über die Stranglers bis zu den Bad Seeds. Aber bei keiner klang er so sexy. Und es waren doch bloß drei Musiker.

James Douglas Morrison wurde Teil des sogenannten Club 27.

Morrison schien jedoch die Position des Dichters mehr wert als die des Sängers. Und in den Momenten, in denen er den dichtenden Schamanen gab, ist das Patschuli zu riechen, das den Wörtern entströmt. Sein Lyrikband „The Lords And The New Creatures“ wurde zum Bestseller, auf wenig anderes war er so stolz. Die deutsche „Nachdichtung“ von Uve Schmidt erschien auf Recyclingpapier und lag bald in jeder WG herum. Bis heute werden Doors-Platten von nachrückenden Kohorten entdeckt, sprechen Morrisons Lyrics das Gemüt Heranwachsender an, wie es keinem anderen Rockdichter gelingt.

„Ich war es, der das Licht auslöschte (komischerweise nicht, wenn die Musik aus war, sondern wenn sie begann)“, erinnerte sich Diedrich Diederichsen 1991 anlässlich des Oliver-Stone-„Doors“-Spielfilms in „Spex“. „Ich setzte mir die pfundschweren Siebziger-Kopfhörer auf, legte ‚Absolutely Live‘ oder ‚Waiting For The Sun‘ auf die Dual-Kompaktanlage und verflüchtigte mich aus meinem Kinderzimmer in den von Morrisons mächtigem Mund geöffneten Hohlraum.“

Und was fand er da? Eine warme Höhle der Verheißung. Und eine wahnsinnig tolle Stimme. Jim Morrisons Stimme ist stark, tief, autoritär, und wie sich ihr Sänger vom Rest der Band abhob, stach auch seine Stimme unter den vielen anderen ihrer Zeit hervor. In seiner Stimme verstärkte sich die Sexualität, die er sowieso schon ausstrahlte, bevor er überhaupt den Mund aufmachte (und hey, sein Mittelscheitel fiel einfach besser als der von Mick Jagger), sie funktionierte losgelöst von der Performance und von dem Bild, das Morrison mit nacktem Oberkörper und mit den Kettchen seiner Freundin Pamela behängt zeigt, das ikonische Foto, das ihn als sexuell definierten, aber eben nicht eindeutig definierten Sextraum beschreibt.

Doch obwohl auch viele Schwule von ihm träumten (und in dem Vorwort zur deutschen Ausgabe seines Lyrikbands behauptet wird, er sei bisexuell gewesen), ließ Morrison keinen Zweifel daran, dass er Frauen bevorzugte. Da gibt es in seiner Biografie so wenig Geheimnis wie beim Alkohol. Ambivalent blieb nur Morrisons Körper-Rhetorik. Immer sexy, immer herausfordernd, manchmal waidwund, mitunter herrlich arrogant. Aber als er am 1. März 1969 auf der Bühne in Miami seine Hose öffnete, war der Zehn-Sekunden-Auftritt seines Penis sowohl Metapher (für, ähm, Größe) als auch grenzüberschreitende Geste. Denn der sexuelle Subtext sollte schließlich nur im Beat mitbrummen und sich nicht materialisieren. (Morrison wurde deswegen angezeigt, angeklagt und am Ende eines langen Prozesses wegen „unzüchtiger Entblößung“ und „vulgärer Sprache in der Öffentlichkeit“ verurteilt. Den Tatbestand der „Trunkenheit in der Öffentlichkeit“ indes sah die Jury lustigerweise nicht als bewiesen an. Für die Doors war die Hose-auf-Affäre ein Wendepunkt: Konzerte und Tourneen wurden abgesagt, Veranstalter, die sich überhaupt noch trauten, die Doors zu buchen, verlangten Klauseln in den Verträgen, die ein anständiges Verhalten des Sängers garantierten.)

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Alkohol ist eine blöde Erklärung. Was Morrison und seine Fans ersehnten, war ein Über-sich-Hinausgehen und ein Sich-Vereinigen. Ein Höher. „You know that I would be a liar, if I was to say to you/ Girl, we couldn’t get much higher.“ Das war ein Versprechen, und es demaskierte die Elternlüge, dass es für alles eine Grenze gebe. Die Erfahrung der 60er-Jahre war eine andere: Es gab ein Weiter, Höher, Stärker, Intensiver. Und wer es erlebte, wollte es für immer bei sich halten oder, besser noch, es steigern. Es heißt in „Light My Fire“ eben „higher“ und nicht „better“ (wie es die Redakteure der „Ed Sullivan Show“ angeblich von Morrison verlangt hatten). Morrison wiederum verlangte eine Unmittelbarkeit, die dem Prinzip der Performance widerspricht. Oft suchte er fast aggressiv die Resonanz des Publikums. Wurde sie ihm verweigert, wurde er gar verspottet, was mitunter geschah, reagierte er mit beleidigtem Rückzug oder stärkeren Provokationen. „An dem Tag, an dem ich wirklich zu meinem Publikum durchdringe“, sagte Morrison im Interview mit der „Los Angeles Free Press“ im Sommer 1968, „wird alles vorbei sein. Wo sollte man danach hingehen? Wenn alle eins würden, und sei es nur für den Bruchteil einer Sekunde, könnten wir niemals zurückkehren. Nein, ich glaube, das kann niemals geschehen. Nicht so, wie es in meinem Kopf geschieht.“

Jim Morrison und seine Cousine Pamela Courson

Am Ende des Jahres 1968 überschritten die Doors ihren Zenit und konnten den immensen und so auch nicht erwarteten kommerziellen Erfolg nie wiederholen. Je mehr Morrison soff und schluckte, je unwichtiger ihm die Bewunderung der Mädchen wurde, je weniger er als Apostel (oder Schamane) der Befreiung vom Muff der 60er-Jahre-Eltern wirkte, desto freier und zugleich verlorener schien er sich zu fühlen. Bevor Morrison nach Paris ging, Heroin nahm und in einer Badewanne den Rockstar-Tod starb, nahmen die Doors aber noch ein verblüffendes Jazz- und zwei großartige Blues-Platten auf. Doch das ist eine andere Geschichte. Denn 1968 waren es noch ein paar Hektoliter und persönliche Tragödien bis zu „Riders On The Storm“, dem schönsten Schwanengesang der Popgeschichte.

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Was bleibt? Jim Morrison als tragische Ikone. Alkoholiker und Drogenfreak, Frauenaufreißer und Hedonist, ein zwischen Agonie und Manie schwankender Performer, ein weißer Bluessänger mit elektrisierender Stimme, ein wortmächtiger Dichter von schwankender Qualität, ein einsamer Rumtreiber. Er war schlank und schön und der Posterboy der Gegenkultur. Er wurde dick und ließ sich einen Bart wachsen. Er nahm ab und rasierte sich. Dann wurde er wieder dick und bärtig. Er vereinigte Sexiness mit Coolness und Pop mit Poesie, und über allem orgelte Ray Manzarek. Er hatte kein politisches Anliegen. Er hatte eine Sehnsucht und eine Wut, und im Suff zog er die Hose runter.

Der Mythos Morrison wirkt bis heute: ein Adonis der Adoleszenz, von lieblosen Eltern in die Welt geworfen – wer wollte ihn nicht in die Arme schließen? Samt seiner unsterblichen Erkenntnis „Music is your only friend/ Until the end“.

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