Dr. Dre – The Chronic

Was haben George Clinton, das beste Gras der Westküste, der Akai MPC-Sampler und die LA.-Riots um die Erschießung von Rodney King gemeinsam? Sie waren die zentralen Referenzpunkte für das wohl einflussreichste HipHop-Album der neunziger Jahre. Diese Platte war vieles zugleich: Die Initialzündung eines neuen HipHop-Stils namens G-Funk (eine Verneigung vor Funkadelics P-Funk), der den Rap jener Dekade dominierte. Es war der Beginn für Weltkarrieren der Dre-Fellows Warren G., Nate Dogg, Kurupt und Snoop Dogg. Und es war eine Abkehr von den die Rapmusik bis dahin dominierenden Produktions-Techniken Sampling und Scratching. Denn Dre, in der Szene bereits beachtet als Produzent der Old-School-Posse N.W.A., setzte lieber auf live eingespielte Instrumentals, anstatt sich durch die Musikgeschichte zu klauen. „The Chronic“ – eine Ehrerbietung an das während dieser Produktion säckeweise vernichtete Super-Marihuana gleichen Namens – etablierte überdies ein neues Tempo und Stilgefühl im HipHop: Weg von der hitzigen Beat-Hektik früherer Tage und rein in eine geschmeidig rollende Zurückgelehntheit aus Soulgesängen, Querflöten, betont zähflüssigen, dabei jedoch brutal knackigen Rhythmen und genredefinierenden Tieftöner-Bässen, die zur Lebensaufgabe für Subwoofer-Anlagen dies- und jenseits des Atlantiks wurden. Denn mit „The Chronic“ gelang Dr. Dre noch etwas anderes: Er brachte den Gangsta-Rap in die sauberen, weißen Vororte – ein Stil und Lebensgefühl, das bis dahin überwiegend der Soundtrack für betroffene Zielgruppen in amerikanischen Ghettos gewesen war. Anders als bei den unzähligen Nachfolgern des G-Funk, die sich per Definition mit den Insignien des ganz harten Kerls schmückten, waren die Drive-By-Shootings für Dr. Dre höchst real: Seine N.W.A.-Kumpels waren größtenteils ehemalige Bandenkrieger aus dem Problemviertel Compton. 1990 verlor er seinen Bruder Tyree durch eine Schießerei, und auch die Aufstände von Los Angeles im Frühjahr 1992 geschahen quasi um die Ecke seines Death-Row-Studios, wo dieses Album in den Monaten danach entstand.

So wurde die an sich lokale Ghetto-Problematik plötzlich zum globalen Mainstream-Phänomen: Über acht Millionen verkaufte Einheiten und ein Grammy Award sind Beleg genug. Und mit dem wenige Monate später veröffentlichten Snoop-Dogg-Debüt „Doggystyle“ manifestierte dieses bis heute einzigartige Produzenten-/ MC-Duo endgültig seine Sonderrolle als die innovative Triebfeder des HipHop der neunziger Jahre.

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