Ein Kosmonaut des Alltags

Mit reportagehaften Kolumnen und Kurzgeschichten mischt der russische Emigrant Wladimir Kaminer die Berliner Kultur- und Club-Szene auf

„Ich bin ein Berliner“ – aus dem Mund von Wladimir Kaminer klänge die Weltformel des bürgerlichen Nachkriegsdeutschlands vermutlich ähnlich markant wie aus dem „Sprachrohr“ des seligen JFK. Doch bei Kaminer trüge der Hintersinn humoristische Züge. Wladimir Kaminer ist eine Besonderheit in der quirligen jungen Autorenszene Berlins. 1990 kam er als Dramaturg aus Moskau, lernte Deutsch über Ausflüge ins Vietnamesische, und begann wenige Jahre später zu schreiben. Auf Deutsch. Mittlerweile reißen sich die Printmedien von TAZ bis FAZ um seine Kolumnen und Kurzgeschichten. Auf „Radio Multikulti“ (SFB 4) spricht er regelmäßig „Berichte eines Kosmonauten aus dem Alltag“. Er ist ständiges Mitglied der „Reformbühne Heim &. Welt“, er vertritt als Kulturkritiker die Thesen von der Demokratie ab befreiender Mangelerscheinung und vom Ende der hohen Kunst, und dann ist er noch Mitglied im Komitee „Verben für die Welt“.

Der Kosmos, aus dem Kaminer seine Signale sendet, ist der Prenzlauer Berg um die Szene-Treffs Torpedokäfer, Siemeck, Waiden, Cafe Burger und das Cafe Zapata im Tacheles: das west-östliche Mysterium zwischen Literaturschickeria und Proletenkultur, in dem sich immer mal wieder eine Manifest-geschwängerte Dichter-Bewegung formiert. Der Prenzlauer Berg, nach der Wende als Gegenmythos zu Kreuzberg entworfen, hat tatsächlich etwas von jener urbanen Chaotik, in der pfiffige Geister ihre Netzwerke aufbauen können. Mittlerweile oszilliert Kaminer – so TAZ-Kolumnist Helmut Höge – zwischen seinen Rundfunkstationen und diversen Kleinskunstbühnen und inszeniert nebenbei „dickste Dostojewskis“ in Friedrichshain. Mit seiner Bodenstation („Ground Control Olga Guru“, so Höge) ist er nur noch per Handy verbunden. Einmal im Monat trifft man ihn im Cafe Burger zur legendären „Russendisko“ – ein Tanzabend mit russischen Hits unter dem Titel „Wildes Tanzen in den Jahrestag der Großen Oktoberrevolution“. Dort können sich dann Dinge abspielen, die Kaminer wie folgt beschreibe „Das Publikum war jung und international Dazu gehörte unter anderem ein spanisches Fernseh-Team, das sich wahrscheinlich in der Oranienburger Strasse verlaufen hatte und überraschenderweise dann im Tacheles auftauchte. Auch eine Gruppe ehemaliger japanischer Touristen, die seit einem halben Jahr im Tacheles als verschollen galt, tauchte plötzlich wieder auf. Die Lokalredakteurin der .Berliner Zeitung‘ fand all das sehr aufregend und behauptete, dass nur die Russen so toll feiern können. Dennoch fühlte sie sich schon bald wie vergiftet und verlangte immer wieder nach Heilgetränken – wie etwa Kamillenoder Pfefferminz-Tee, die jedoch im ,Cafe Zapata‘ nicht ausgeschenkt werden. Trotz der großen Anzahl zahlender Gäste war der Geschäftsführer des ,Zapata‘ von den Russen im Großen und Ganzen enttäuscht, weil sie nicht so viel tranken, wie er es sich erhofft hatte. Der Umsatz an der Bar ließ zu wünschen übrig, die fünf Kisten von dem merkwürdigen Getränk JPuschkin-Leicht‘, das er seit einem Jahr auf Lager hatte und nun endlich loswerden wollte, verkauften sich nicht. Da dennoch die Mehrzahl der Gäste ziemlich schnell besoffen war, vermutete der Geschäftsführer, dass viele Russen nach alter Tradition ihre Getränke selbst mitgebracht hatten, und damit hatte er wohl gar nicht so unrecht,“

Kaminer ist ein Literat, der mit einfachen Worten Volltreffer setzt. Seine Kurzgeschichten sind phantastische Überzeichnungen des Alltags in Multikultiland und humorige Reminiszenzen an das Leben im „postkommunistischen Frühkapitalismus“ Russlands. Die Themen findet er vor seiner Haustür oder in seiner Militärzeit Und sollten ihm die Ideen doch mal ausgehen, hat er immer noch seinen 70-jährigen Vater, der im Berliner Seniorenkabarett, ,Die Knallschoten“ spielt Kaminer verpasst nie eine Vorstellung und bringt ihm stets frische Blumen mit.

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