Ein stilles Herz

Juni 2006 Anfang Mai starb in Brisbane im Alter von 48 Jahren völlig unerwartet Grant McLennan, Songschreiber, Gitarrist und Sänger der Go-Betweens. Eine persönliche Würdigung des kleinen, klugen, sanften Mannes und großen Künstlers.

Am Morgen des 6. Mai habe ich in meiner neuen Wohnung einen antiken Apothekerschrank aufgestellt, in den ich meine Platten einsortieren wollte. Die alten Schildchen „Antibiotika“, „Magen & Darm“, „Auge“, „Ohr“ etc. zum Sortieren der Medikamente waren noch an den jeweils dafür vorgesehenen Fächern angebracht. Die ersten Platten, die ich einordnete, waren die der Go-Betweens – unter „Herz“. Ich hörte dazu ihr Album „Tallulah“ von 1987 und erwischte mich dabei, wie ich mitsang, als Grant McLennans „Cut It Out“ lief – ein von dem damaligen Hitmacher Craig Leon vollkommen klinisch produzierter Song, der damals innerhalb der Band nicht besonders beliebt war und den auch ich nie recht gemocht hatte: „Ah, but I know with a heart like that/ In times like these with a heart like that/ You cut it out.“

„Du musst alles, was du über das Lied weißt, vergessen, dann funktioniert es“, hatte Grant mal gesagt und recht behalten. „Das muss ich ihm im nächsten Monat erzählen“, dachte ich übermütig. Denn im Juni wollten die Go-Betweens nach Europa kommen, um in London ihre neue Single aufzunehmen.

Doch dann klingelte das Telefon. Bernard MacMahon von Lo-Max Records aus London war dran: „Ich habe die allerschrecklichste Nachricht. Grant McLennan ist vor zwei Stunden gestorben.“ Ich musste mehrere Male nachfragen, bevor ich es begriff, oder sagen wir besser: bevor ich verstand, was er mir sagen wollte, denn begreifen kann ich es immer noch nicht. Seit ich diese Band persönlich kennenlernen durfte, war es immer nur um die Zukunft gegangen. Wo und wann man das nächste Album aufnehmen würde, wie viele Songs man schon habe und wie gut sie seien. Ich erinnerte mich, wie Grants Freund und – mit einer längeren Unterbrechung – seit fast 30 Jahren musikalischer Partner Robert Forster mir im Oktober 2005 beim Konzert in Regensburg euphorisch berichtete, Grant habe nie bessere Songs geschrieben als in den letzten Monaten, sei in absoluter Top-Form. Und als ich in der Silvesternacht das letzte Mal mit Grant sprach, war er bester Laune. Der Dauer-Junggeselle hatte sich verliebt, und von den Erlösen des letzten Albums „Oceans Apart“ hatte er sich in Brisbane ein Häuschen gekauft. Wahrscheinlich das erste Mal überhaupt, dass das Musikerleben ein bisschen Geld abwarf. Ich erinnerte ihn daran, wie er mir stolz berichtet hatte, dass er im Sommer 1982 bei W.H. Smith in Notting Hill die gebundene Ausgabe von Umberto Ecos „Der Name der Rose“ unter dem T-Shirt aus dem Laden geschmuggelt hatte. „Yeah, but this was before Hollywood“, lachte er. Stimmt, zu der Zeit schrieben die Go-Betweens gerade die Songs für ihr zweites Album „Before Hollywood“ in London auf – und knapp ein Vierteljahrhundert später spielten sie auf der Geburtstagsparty von Cate Blanchetts Mann ihr allerletztes Konzert.

Der 6. Mai war in Brisbane ein lauer australischer Herbsttag gewesen, kein Wölkchen am Himmel. Grant hatte all seine Freunde eingeladen, um das neue Haus und seine Beziehung zu Emma zu feiern. Er wollte sich vor der Party noch ein bisschen hinlegen. Als die ersten Gäste eintrafen und der Hausherr nicht aufgetaucht war, schaute jemand nach und fand Grant McLennan reglos auf seinem Bett liegend. Wahrscheinliche Todesursache: Herzinfarkt. Dabei wirkte er immer so fit. Er war schon lange nicht mehr der leicht untersetzte Sidekick des schlaksigen Robert. Ich erinnere mich, wie ich die Go-Betweens im November 2004 bei den Aufnahmen zu „Oceans Apart“ im Studio besuchte. Robert haderte, er müsse wieder zurück auf „rockstar weight“, während der schlanke Grant gleich in den Einkäufen wühlte, die Bernard MacMahon der Band mitgebracht hatte, und mit großer Zielsicherheit eine Flasche Rotwein herauszog.

Grant lebte wohl nicht sonderlich gesund, liebte die schönen Dinge des Lebens. Mit seiner warmen, offenen Art, seiner Belesenheit und vor allem diesem leisen, verschmitzten Humor war er die ideale Gesellschaft für eine durchzechte Nacht. Man bekam, wenn man mit ihm plauschte, nicht so eine perfekte Inszenierung geboten wie bei einer Konversation mit der kapriziösen Diva Robert Forster (die man am besten zu einer Tasse Tee genießt), dafür hatte man das Gefühl, er ließe einen näher an sich heran. Ich habe seit dem 6. Mai oft an die wenigen Stunden, die ich mit Grant McLennan und die vielen Jahre, die ich mit seinen Songs verbracht habe, denken müssen. Es ist ein komisches Gefühl, zu wissen, dass diese sanfte Stimme, die mich schon so lange begleitet hat, nun von einem anderen Ort kommt. „The railroad takes him home/ Through fields of cattle/ Through fields of cane.“

Diese Zeilen stammen aus „Cattle And Cane“, dem Go-Betweens-signaturetune, den Grant 1982 in London für seinen verstorbenen Vater auf der Gitarre von Nick Cave schrieb. Zuvor waren die Go-Betweens vor allem die Band von Robert, denn er war es gewesen, der Grant auf dem Campus der University of Queensland fragte, ob er nicht in seiner Band mitspielen wolle – und das, obwohl Grant gar kein Instrument beherrschte (aber er trug ein Filmmagazin und eine Ry-Cooder-Platte in der Hand – das Filmmagazin erweckte Roberts Aufmerksamkeit, über die Platte sah er hinweg). Und Robert war es auch, der die Songs schrieb, während Grant sich abmühte, den Bass zu beherrschen, um schließlich mit seinem melodischen, gegen Roberts schroffe Akkordik und Lindy Morrisons verquere Rhythmik gesetzten Spiel dem metallischen Folk der ersten beiden Alben unverkennbar seinen Stempel aufzudrücken. „Cattle And Cane“ war sein Durchbruch, machte ihn zum gleichberechtigten Songwriter und die Go-Betweens, die fortan von der Spannung zwischen dem melancholischen Melodiker McLennan und dem fiebrigen, effeminierten Forster lebten, zu einer der spannendsten Bands der Achtziger. Für nicht wenige sogar – wie man nicht erst seit der großen Anteilnahme an Grants Tod weiß – zur absoluten Lieblingsband.

Als Robert und Grant in den Neunzigern getrennte Wege gingen, wirkten sie jeweils ohne den anderen ziemlich verloren. Anfang 2000 entschieden sie sich für ein leises Comeback, nahmen „The Friends Of Rachel Worth“ in einem kleinen Studio in Portland, Oregon auf, vergewisserten sich ihrer selbst mit „Bright Yellow Bright Orange“ und wollten es mit „Oceans Apart“ noch einmal so richtig wissen. Es ist seltsam, Grants Lieder von diesem Album jetzt wieder zu hören. „Die meisten Songs handeln davon, dass man ein Problem, eine kritische Phase oder was auch immer gemeistert hat. Es ist, wie wenn man aus der Dunkelheit in den Sonnenschein läuft“, erklärte Grant mir voriges Jahr. „Ich weiß, es gibt auch einige Songs, bei denen das auf den ersten Blick nicht zuzutreffen scheint, aber ich denke, auch die enden mit einer Art Transzendenz.“ Vor allem „Boundary Rider“, mit dem er die in „Cattle And Cane“ erzählte Geschichte weiterspinnt – und, wie wir heute wissen: abschließt -, wirkt gespenstisch: „So you reach for things/ You’re never satisfied/ You’re running down the years/ And to know yourself is to be yourself/ Keeps you walking through these tears.“ Eigentlich war der Song nur als B-Seite gedacht und rutschte erst in letzter Sekunde auf Roberts Vorschlag aufs Album. Jetzt ist es der feierliche Abschluss eines kaum zu überschätzenden Lebenswerks.

Das hätte Grant mit seinem ausgeprägten Sinn für Poesie in Kunst und Alltag sicher gefallen, wie auch sein stiller Tod inmitten all seiner Freunde, der eine Party in eine Totenwache verwandelte. Vielleicht lacht er irgendwo sein sanftes leises Lachen. Ich werde es vermissen. „I tried to tell you/ I can only say it when we’re apart/ About this storm inside of me/ And how I miss your quiet, quiet heart.“

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