Future of Music: HJirok – Flamencosängerin der Avantgarde

Das Duo HJirok ist ein Beleg für den Trend, die globale Musik mit lokalen Einflüssen und Sounds zu erden

Schuld hat mal wieder das Internet. Schon seit einer Weile sorgen Digitalisierung und kulturelle Globalisierung dafür, dass sich Popmusik weltweit immer ähnlicher wird. Die fettesten Beats, die geilsten Sounds, die erfolgversprechendsten Trends sind immer nur einen Klick weit entfernt. Was in Korea gefällt, rockt längst auch Arenen in Berlin und Bochum. „Als ich das erste Mal nach Nairobi reiste, hatte ich irre Erwartungen von total spannender Musik“, berichtet der Hamburger Musiker Sven Kacirek. „Doch dann lief in den Bars letztlich die gleiche Musik wie bei uns auch – und das ist in Tokio und Paris nicht anders.“

Wenn der Mainstream weltweit im Gleichschritt marschiert, lohnt sich der Blick in die regionalen Nischen zwischen Bangalore und Beirut. Nicht als Suche nach kultureller Authentizität oder hippen Sounds und Samples, wie zu Zeiten der Folktronica. Eher als Wechsel der Musiker-Perspektive, mit den Möglichkeiten des digitalen Wandels: Was geschieht, wenn sich eine Flamencosängerin entscheidet, ab sofort avantgardistische Dance-Music zu machen?

Von Arooj Aftab zu Rosalía

Ein Pop-Konzept, mit dem die Katalanin Rosalía spätestens seit dem Album „Motomami“ weltweite Erfolg feiert. Und das ist kein exotischer Einzelfall. Der kenianische Sänger und Songschreiber ­Olith Ratego betreibt mit Sven Kacirek seit Jahren das gemeinsame Projekt Odd Okoddo. Nicolas Jaar hat gerade erst „Telas“ remixed, das Album des schwulen pakistanischen Popstars Ali Sethi. Den Weg dorthin ebneten über die Jahre Künst­ler:in­nen wie Arooj Aftab, Omar Souleyman, Konono Nº1, aber auch Rhythm & Sound, mit ihrer epochalen Fusion von Minimal Techno und Roots Reggae.

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Die derzeit aufregendste Musik zwischen digital und regional kommt von dem Berliner Duo HJirok (gesprochen „HaSchirok“). Die kurdisch-iranische Sängerin Hani Mojtahedy und der durch Mouse On Mars bekannte Andi Toma servieren auf ihrem Debütalbum eine von Sufi-Songs getragene Musik, die mystisch und geheimnisvoll klingt, aber dabei auch enorm druckvoll und tanzbar. „In den Texten geht es um ein Versprechen“, sagt Mojtahedy, die vom Werk des kurdischen Schriftstellers Abdulla Pashew beeinflusst ist, „um den Tag, an dem Gewalt und Angst der Vergangenheit angehören.“

Ungezügelt und ekstatisch

In der sogenannten Weltmusik herrschte früher oft das Klischee einer heilen Idylle, eines verlorenen Paradieses, das leider oft so aufgeräumt und ­clean wirkt wie die von Einheimischen gepflegten Veranden der alten Kolonien. ­HJirok ist anders, ungezügelter. Wir hören Field Recordings aus dem nördlichen Irak, elek­tro­nisches Sirren und Mojtahedys betörenden Gesang. Der Beat kommt machtvoll und hüftenkreiselnd daher, getragen von mächtigen Bässen und arabischen Trommeln wie Tombak und Riq.

Etwas Ekstatisches und Stolzes liegt in dieser bis ins Detail präzise ausgearbeiteten Musik. ­HJirok ist dabei eindeutig das Projekt der Sängerin, sie schreibt die Songs und gibt den Kurs vor, den der Musiker und Produzent Andi Toma meisterlich umsetzt. Mojtahedy ist im kurdischen Teil des Iran aufgewachsen, im Haus ihres Großvaters kam sie schon früh mit der Musik und den Ritualen des Sufismus in Kontakt. Wegen der Repression durch die Mullahs floh Mojtahedy 2004 nach Berlin, wo sie eine Karriere als Sängerin und Stimme der kurdischen Diaspora begann.

Mit HJirok beweisen Hani Mojtahedy und Andi Toma das Potenzial einer post­kolo­nialen Pop-Musik. Die jahrhundertealten kulturellen Traditionen, die Poesie persischer Dichter, all das existiert hier weiter, aber verbunden mit einem neuen Klang und dem festen Bekenntnis zu Frau, Leben und Freiheit.

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