Geister-Stunden

Obwohl sich die Musik von The National weiter verdunkelt, erwartet die Band nun endlich eine strahlende Zukunft.

Es ist das eine politische Statement, das sich The National auf ihrem neuen Album „High Violet“ erlauben, aber es ist ihnen wichtig, deshalb soll es nicht unerwähnt bleiben – in „Afraid Of Everyone“ singt Sänger und Texter Matt Berninger: „With my kid on my shoulder I’ll try/ Not to hurt anybody I like/ But I don’t have the drugs to sort/ I don’t have the drugs to sort it out/ I’ll defend my family with my orange umbrella/ I’m afraid of everyone/ I’m afraid of everyone.“ Sein knurrig-schöner Bariton zeichnet das Bild eines überspannten American Dad, der dank des Einflusses des „giftigen“ Radios und Fernsehens am Rande der Paranoia wandelt. Die Musik, wie immer geschrieben von Aaron und Bryce Dessner, unterstreicht mit einem nervös-flirrenden Gitarrenrauschen den Zustand des Protagonisten.

„Der Song beschreibt den Status quo in Amerika“, erklärt Berninger. „Es ist furchteinflößend zu sehen, wie mächtig die Propagandamaschine von Fox News und Konsorten inzwischen geworden ist. Wie effektiv sie die Menschen erst verschreckt und verunsichert, bevor sie ihnen Ideen einsingt, die ebenso lächerlich wie unethisch sind. Das wollten wir zeigen.“

Während „Afraid Of Everyone“ einen düsteren Blick auf Amerika wirft, findet man in den übrigen zehn Songs Charaktere und Schicksale, die einem aus dem lyrischen Universum des Matt Berningers vertraut verkommen. Gescheiterte, strauchelnde Gestalten, die nachts mit Kopfhörern durch ein verlassenes New York streifen. „I go out with your headphones on again/ Walk through the Manhattan Valleys of the dead“, heißt es in „Anyone’s Ghost„, und das klingt wie die perfekte Szenerie, um die Musik von The National wirklich zu fühlen.

Dieses Wort mag abgeschmackt klingen, aber wer die fünf New Yorker einmal live gesehen hat, weiß, dass ihre inzwischen sehr stattliche Fanschar diese Musik nicht bloß hört sondern tatsächlich fühlt. Man spricht nicht, man starrt auf die Bühne, zieht abwechselnd die Stirn kraus oder lächelt in sich hinein – und singt schnell jede Zeile mit, die Berninger in sein Mikrofon brummt und singt.

Aaron Dessner weiß um diese Besonderheit: „Wir sind schon lange dabei, haben jahrelang auf ranzigen Fußböden geschlafen und vor einer Handvoll Leute gespielt – aber da waren immer diese ein oder zwei, die uns gebannt zuschauten und jede Zeile mitsingen konnten.“ Matt Berninger ergänzt: „Natürlich gibt es Fans, die ein wenig unheimlich und aufdringlich sind. Aber ich mag es, dass wir Verrückte im Publikum haben. Mir ging es nicht anders: Rockmusik hat diese Kraft. Man steht vor seiner Lieblingsband und hat das Gefühl, hier passiert gerade das wichtigste Ereignis im ganzen Universum. Es macht einen verrückt – und genau so soll es sein.“

Man kann vermuten, dass die Zahl der Verrückten nach der Veröffentlichung von „High Violet“ noch steigen wird. Denn das Album ist zwar ein dunkles – aber für ihre Verhältnisse gar eingängig. Kein „Grower“, wie die Vorgänger „Alligator“ und „Boxer“ noch bezeichnet wurden. Aaron Dessner trifft es ganz gut, wenn er „High Violet“ „auf eine dunkle, verspulte Art poppig“ nennt.

Mit The National hat man ein schönes Leben: Sie liefern verlässlich großartige Alben, sie sind eine der intensivsten Live-Bands – und sie pflanzen einem immer wieder wunderbare Zeilen und Lieder in Herz und Hirn. Was will man denn mehr?

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