„Im Westen nichts Neues“ konnte nur mit Team-Spirit ein Welterfolg werden

Eine Masterclass-Reihe mit so ziemlich allen wichtigen Protagonisten hinter der Kamera von „Im Westen nichts Neues“ zeigt auf, wie der mit vier Oscars prämierte Kriegsfilm entstand.

Es mag untrügliche Zeichen geben, warum ein Film bei Publikum, Kritik und Preisjurys Erfolg haben mag. Recht eigentlich ist es doch aber stets ein kaum zu erklärender Glücksfall, warum manche Filme einschlagen und andere überhaupt nicht. Das gilt natürlich auch für die deutsche Netflix-Produktion „Im Westen nichts Neues“. Gewiss hatte der Kriegsfilm, die bereits dritte Adaption des literarischen Weltbestsellers von Erich Maria Remarque, sozusagen den tragischen Zeitgeist auf ihrer Seite. Aber als die ersten Drehbuchseiten geschrieben waren, hatte Russland noch nicht die Ukraine angegriffen. Und zuletzt gab es durchaus einige Filme, die sich mit Waffengewalt und Kriegshandlungen beschäftigten. Vier Oscars, dazu neun Nominierungen, auch in der Königskategorie „Bester Film“, sprechen eine eigene Sprache. Sieben BAFTAs vielleicht sogar noch mehr.

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Zufall sind solche Erfolge nicht, davon ist Karim Sebastian Elias überzeugt. Der Komponist hat beinahe nicht mehr zählbare Soundtracks für Film und Fernsehen aufgenommen und bildet an der Filmuniversität Babelsberg den Nachwuchs aus, wie sie die richtigen Töne treffen, um einen Film atmosphärischer zu machen.

Moderator und Erfinder der Masterclass-Reihe: Karim Sebastian Elias

Viele Künstler müssen zusammenarbeiten, um einen Film zu erschaffen

Professor Elias hat aber auch noch eine andere Mission, die er mit Leidenschaft ausfüllt: Er möchte zeigen, wie großartige Filme entstehen. Dafür hat er mit Hilfe seiner Filmhochschule und in Kooperation mit der Deutschen Filmakademie, der GEMA-Stiftung und ZDF Kultur eine so genannte Masterclass eingerichtet. Dafür interviewt er zahlreiche Protagonisten größerer Film- und Serienprojekte (zuletzt auch zur ZDF-Reihe „Der Schwarm“), spricht mit ihnen über Geistesblitze am Set oder in der Postproduktion, ärgert sich mit ihnen gemeinsam über Probleme, die fast das ganze Projekt zu Fall hätten bringen können und entlockt ihnen so einige Geheimnisse des Erfolges.

Ursprünglich vor allem für die Studierenden an der Filmuniversität in Babelsberg geplant, um Anschauungsmaterial zu bekommen, wurde das Publikum inzwischen größer. Es geht nicht nur darum, dass Kreative sehen, wie Kreative ticken. Es geht um die tiefe Nähe zum Film, um das Bewusstsein, wie das eigentlich entsteht, was schließlich für einige Stunden über eine große Leinwand oder eben einen 4K-Fernseher flimmert.

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Im Fall von „Im Westen nichts Neues“ sprach der Komponist, der im leidenschaftlichen Gespräch gerne nachhakt und manchmal wie ein neugieriges kleines Kind daherkommt, das noch jeden kleinsten Zaubertrick erklärt bekommen will, mit Regisseur Edward Berger, Kameramann James Friend, Tongestalter Frank Kruse, Kostümbildnerin Lisy Christl, Effektprofi Frank Petzold, Komponist Volker Bertelmann und noch einigen mehr. Es sind umfangreiche Dialoge mit neun verschiedenen Meistern ihrer Klasse geworden, die sehr ins Detail gehen. Insgesamt 12 Stunden Material.

Karim Sebastian Elias lässt sich von Kostümbildnerin Lisy Christl zeigen, welche Kleidungsstücke ausgewählt wurden

Manche Videos, die HIER auf ZDF Kultur zu sehen sind, gehen fast zwei Stunden. Zu begutachten sind immer wieder Szenen aus dem Film und dazu der Kommentar, wie sie entstanden sind. Es handelt sich dabei allerdings nicht um eine Art klassisches Making Of, wie man es in dem Fall von Netflix auch von dieser für deutsche Verhältnisse außergewöhnlich aufwändige Produktion kennt (das Streamingportal stellte allerdings fleißig Bilder zur Verfügung), sondern eher um eine hochkonzentrierte Annäherung an so ziemlich alle Gewerke, die an dem Film beteiligt waren.

Zu verstehen gilt es dabei, was für Maske, Ton, Schnitt, Szenebild und auch für die Produzenten wichtig ist, wie sie für „Im Westen nichts Neues“ kreativ sein mussten, was es bedeutet, von einem Tag auf den anderen zu reagieren, wenn plötzlich der Kunstschnee ausgeht (aber die Wintersequenz noch nicht im Kasten ist) oder ein bestimmtes Kostüm fehlt, ohne das eine Szene nicht authentisch abgebildet werden kann.

Beim Film müssen oft schnell Entscheidungen getroffen werden

Jeder, das wird sofort klar, wenn man nur eines der Videos schaut, hat da im Laufe seiner Karriere und mit der Erfahrung vieler erfolgreich absolvierter Filmproduktionen im Rücken so seine Kniffe parat, die manchmal eigensinnig sein mögen. Sie sind aber auch nötig, weil das Drehen eines Films zuweilen einem Himmelfahrtskommando gleicht und niemand am ersten Drehtag so recht weiß, wo man am letzten stehen wird. Oder ob es noch weitere geben wird, weil etwas nicht gepasst hat oder das Ergebnis mit Nachdrehs oder Nachproduktionen (etwa bei Ton und Bild) schlicht besser werden könnte. Dann müssen manchmal über Nacht Entscheidungen getroffen werden, muss Geld in die Hand genommen werden, das vielleicht noch gar nicht eingeplant war.

Produzierte „Im Westen nichts Neues“: Malte Grunert

Wie die Masterclass-Clips zeigen, sind das, zumindest menschlich gesehen, gar nicht die größten Herausforderungen. Denn bei einer solchen großen Filmproduktion treffen eben auch viele markante Künstleregos aufeinander, die erst einmal zusammen einen Weg finden müssen. Auch das ist ein Grund, warum Filmemacher oft mit festen Teams arbeiten, weil sie wissen, wie sie miteinander umgehen müssen. Nicht immer ist das respektvoll, oftmals ist es gehetzt. In einigen Interviews von Elias in dieser Masterclass wird deutlich: Das Kommunizieren ist eine ganz schöne Hürde, aber bei „Im Westen nichts Neues“ gelang es eben besonders gut.

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Natürlich legte Filmkomponist Elias zunächst den Fokus auf die Soundtrackproduktion. Recht schnell ergab sich aber die Neugier, grundsätzlicher zu werden. Das ist auch wichtig, denn nur so wird klar, wie sehr eben der „Team Spirit“ die Produktion des Films prägte. Man inspirierte und half sich gegenseitig. Elias ist sich sicher, dass dies im Grunde die Erfolgsformel schlechthin für die Arbeit in seinem Metier, aber auch ganz generell beim Film ist. So tritt der Professor in seinen Masterclass-Interviews, aber auch im Gespräch zu seinem erfolgreichen und vor allem erkenntnisreichen Format wie ein echter Didakt auf, dem Vermittlung wichtig ist und der sich so dafür einsetzt, dass womöglich bereits der durch solche Masterclass-Momente entzündete Nachwuchs heimlich an einem Projekt werkelt, das den Erfolg von „Im Westen nichts Neues“ noch einmal in den Schatten stellt.

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