Lob des großen BummBumm

Dies waren die fetten Jahre von Techno: Love Parade und Mayday wuchsen von Jahr zu Jahr und die verängstigten Feuilletonisten konstatierten anschwellende Sprachlosigkeit Der große Beat schien der Jugend jeden Gedanken zu zerhämmern. Nun sind jedoch magere Zeiten angebrochen, die Euphorie ist verrauscht Und die Partyhelden, zurückgekehrt aus den Stroboskop-Gewittern, sind keineswegs zu Analphabeten geworden. Sie setzen sich hin und tun etwas ganz Altmodisches. Nämlich Bücher schreiben. Die Hervorbringungen zum Thema Techno sind allerdings oft Schnellschüsse zum „Phänomen“ oder angeberische Erfahrungsberichte, Tenor: „Ich war dabei“. Auf die literarische Apotheose einer Ecstasy-Nacht wartete man bisher vergeblich. Die Frage, die Reich-Ranicki stets zu stellen vergaß: Wer schreibt den großen Mayday-Roman?

Dafür kommt nur einer in Frage: Rainald Goetz, der bajuwarische Dichter-Rave, unser Mann im Gewühl. Schon immer konnte er prima Nachtleben-Prosa schreiben – aber seit ihn vor einigen Jahren das Techno-Fieber erwischte, gibt’s kein Halten mehr. Goetz‘ neues Buch heißt „Rave“, wird mutig als „Erzählung“ vermarktet und spielt zwischen München, Ibiza und Berlin, auf den Wummer-Parties dieser Welt. Erzählt werden Abenteuer von Rainald und den Jungs. Manchmal tauchen Frauen auf, aber meistens bleiben die Männer unter sich. Pillen schlucken, „abfahren“, ein bißchen reden. Etwas Klatsch und Tratsch aus dem Medienbetrieb serviert er nebenher – so wird das Buch auch für Nicht-Raver aus jenem Betrieb interessant Und das alles in aufgewühlter Prosa, mit starken, leuchtenden Worten.

Aber „Rave“ will mehr sein als nur ein poetischer Szenebericht Goetz begnügt sich nicht damit, dem unbekannten Techno-Tänzer ein Denkmal zu errichten. Es wird gepredigt, das Hohelied des Techno-Gottes wird angestimmt – das Lob des großen Bumm-Bumm. Man müsse sich den Text „betend“ vorstellen, heißt es. „Ave Maria, gratia plena“. Das Techno-Evangelium. Der Psalm: „Baß Baß Baß“. Aber was für ein Gottsuchender ist das, der die Hände vor einer Baßbox faltet?

Rainald Goetz 1983: Diese Schriftsteller-Karriere beginnt mit einem Schlitz. Einer Wunde auf der Stirn. Er fugt sie sich selbst zu, vor dem Publikum des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs in Klagenfurt. Gleichzeitig liest der studierte Medikus seinen Text „Subito“ vor, der präzise beschreibt, wie die Epidermis beim Einschneiden verletzt wird. Aber was ist ein Text, verglichen mit der gleichzeitig realen Selbstverstümmelung? Damals ließ er den Text zum Nebengeräusch verkommen – und das sollte von nun an sein Programm sein:

Die Intensität des Lebens über die Literatur zu stellen und nur noch Literatur zu akzeptieren, die sich auf Höhe des Lebens bewegt „Wir brauchen eine Kulturverteidigung“, schrieb er im Klagenfurt-Traktat „Lieber geil angreifen, kühn totalitär roh kämpferisch und lustig, so muß geschrieben werden, so wie der heftig denkende Mensch lebt“ Dann kamen die Romane: „Irre“ (1983) war ein Horror-Trip durch die Psychiaterie und „Kontrolliert“ (1988) ein literarischer Besuch in dem Hochsicherheitstrakt von Stammheim. Er ging stets dorthin, wo der Schmerz war, und litt. Doch die Erlösung war nahe.

Ernst Jünger hatte einst sein „inneres Erlebnis“ im Krieg gefunden, Gottfried Benn schloß sich aus lauter Nihilismus den Nazis an. Rainald Goetz wählte die ihm gemäße, freundliche Variante, die der Neunziger: Im „rundrum glücklichen Jahr“ 1991 entdeckte er Techno. Seitdem scheint er ununterbrochen auf Parties zu sein. Zwischendurch stellte er sich dem Berliner DJ-Triumphator WestBam als Eckermann zur Verfügung („Mix, Cuts 8t Scratches“), jetzt ist „Rave“ da und alle sind entsetzt darüber, daß ein Mittvierziger wie Goetz bei der Love Parade mitmarschiert Für Goetz selbst hat sich wenig geändert: „Rave“ läßt keinen Zweifel daran, daß eine echte Party besser ist als ein Buch über eine Party. „Rave“ ist seine Feier des echten, des intensiven Lebens, poetisch überhöht zu einer Techno-Religion. Literarisch bedeutet dies einen ferlust von Spannung und Vielschichtigkeit Und so gibt es jetzt kaum noch Brüche oder Widersprüche bei Rainald Goetz, seine Welt wird immer hermetischer.

Aber wo alles nur noch super ist, da droht der Kitsch. Und etwas, das vielleicht noch viel schlimmer ist: Langeweile.

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