Marc Almond – Hamburg, Docks

Dreißig Jahre Marc Almond auf der Bühne – dreißig Jahre Herzblut und Tränen beim Tanz auf dem Vulkan. „Welcome to the beginning of the end of the world!“ begrüßt der 52-Jährige – wie immer in schwarz gehüllt – seine Jubiläumsgäste und bittet sie in den „Suicide Saloon“ und auf den „Dancefloor Of Destruction„.

Drei Dekaden hat die Schwulen-Ikone aus Southport den Schmerz der Einsamen, der Huren und Matrosen aufgesogen und ins Unendliche gesteigert, damit alle ihn überwinden können. Bei Soft Cell hat er ihn in Disco-Peitschen verpackt, mit den Mambas in bittersüße Symphonien und herzzerreißende Chansons, mit den Willing Sinners in Glamour-Pop-Torheiten. „Entertain Me“: Seinen Festtag beginnt Almond a capella und zelebriert fortan, begleitet von einer vierköpfigen Band um Gitarrist Neal X (Ex-Sigue Sigue Sputnik) und Schlagzeuger Dave Ruffy (Ex-The Ruts), reduzierte Versionen von Songs, die zu gut waren, um Hits zu werden. Vor allem Glam-Rocker Neal X übt sich dabei in vornehmer Zurückhaltung.

Rotes Licht und ein Samt-Lampenschirm am Konzertflügel vermitteln intime Jazzclub-Atmosphäre, und doch scheint das Docks fast zu platzen, so vollgepfropft ist es mit großen Gefühlen. Da, ein Stern! Ich fang‘ ihn dir! Du willst ihn nicht? „Broken Hearted And Beautiful“: Das Herz zerbröckelt in der Hand, aber gestorben wird aufrecht und geschminkt.

Dreißig Jahre ohne writer’s block: Marc Almond spendiert mit „Fun City“ seinen allerersten Song, neue Stücke wie „Trials Of Eyeliner“ und das sehnsüchtige „Sandboy“ wechseln mit fast vergessenen Juwelen wie „Sleaze“ und „Joey Demento“ – aus jenen Tagen also, in denen sich Almond-Fans „Gutter Hearts“ nannten. Das begeisterte Publikum intoniert „Bedsitter“ und feiert „Untitled“.

Jacques Breis „The Devil (Okay)“ wird zu einem tosenden Orkan, „Seedy Films“ schließlich zum Blues aus den Feuchtgebieten Sohos. Mitten im Stück hält der Brite inne, blickt wie ein Pantomine ins Publikum, um den jeweiligen Song dann zu einem furiosen Finale zu führen. „Ich klinge ein bisschen wie Marlene Dietrich heute“, entschuldigt er sich für die anrauschende Erkältung. „Ich könnte mich natürlich auch optisch so geben!“

Dass er mal den Text vergisst wie bei „What Makes A Man“ – geschenkt! Der Schnitzer fügt sich ins Rahmenprogramm, als wäre er ein weiterer Teil der süperben Dramaturgie: „Mein Kopf ist wie ein Schweizer Käse!“, entfährt es Almond hierzu.

Anschließend ein letzter Schluck aus der Teetasse, ein kurzes Beben um die geschönte Nase … Einen winzigen Moment lang ziert sich Almond noch, doch dann bricht er wie ferngesteuert los mit dem, was heute natürlich auch noch kommen muss – „Tainted Love“, Soft Cells Electropop-Klassiker von 1981 und für viele wohl immer noch der Song, mit dem sie diesen Mann am ehesten in Verbindung bringen. Am heutigen Abend so unnötig wie eben auch unvermeidlich – und trotzdem der perfekte Abgang nach zwei Stunden „Bread & Circus“. Dagegen ist Robbie Williams ganz kleines Kino!

Wir kamen als Verlierer – wir gingen als Sieger.

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